Frage an Burkhard Lischka von Dieter G. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Burkhard Lischka !
Der Deutsche Bundestag hatte Ende 2010 eine Neuregelung der Sicherungsverwahrung verabschiedet, die zum 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist:
http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2010/32432993_kw48_sp_sicherungsverwahrung/index.html
Das Bundesverfassungsgericht(BVerfG) hat am 4. Mai 2011 in seiner Urteilsverkündung alle bisherigen Gesetze zur Sicherungsverwahrung ab 1998 bis einschließlich 2011 für verfassungswidrig erklärt:
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20110504_2bvr236509.html
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte(EGMR) hatte die Bundesrepublik Deutschland ebenfalls wegen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention verurteilt.
1. Welche Positionen hatten Sie persönlich vor den oben genannten Entscheidungen vertreten, und welche Positionen vertreten Sie heute ?
2. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber aufgegeben, erneut eine Neuregelung bis Mai 2013 zu beschließen. Ab welchem Datum wird das neue Gesetzgebungsverfahren eingeleitet und zu welchem Zeitpunkt ist mit einer weiteren Anhörung von Experten im Rechtsausschuss zu rechnen?
3. Die momentane Gesetzeslage nach § 66 ff. StGB sieht eine Erleichterung bei der Verhängung der vorbehaltlichen Sicherungsverwahrung im Urteil vor. Eine Wahrscheinlichkeitsprognose für zukünftige Straftaten reicht aus. Soll dies auch weiterhin so bleiben und warum ?
4. Der Begriff der "psychischen Störung" ist nach meiner Ansicht unklar definiert. Sollen unter diesen Begriff auch alle die Personen fallen, die eine pädophile Orientierung besitzen und allein dies ausreicht, um einen Pädosexuellen zur Sicherungsverwahrung zu verurteilen ?
5. Im Gesetzgebungsverfahren und bei den Anhörungen im Rechtsausschuss wurden bisher immer nur Experten mit ihren Gutachten angehört. Besteht eigentlich die Möglichkeit, dass sich auch die Betroffenen selbst - z.B. die Pädosexuellen - zu Wort melden und ihre Meinung äußern können ?
Für die Antworten danke ich.
Sehr geehrter Herr Gieseking,
das Bundesverfassungsgericht fordert ein Gesamtkonzept für die Sicherungsverwahrung, das stets darauf hinwirkt, durch eine Vielzahl von Angeboten und Therapien eine Wiedereingliederung von Untergebrachten in die Gesellschaft ermöglichen zu können. Diese Maxime entspricht auch meiner persönlichen Überzeugung.
Das Urteil macht klar, dass die Europäische Menschenrechtskonvention in unserer Rechtsordnung fest verankert ist. Es bestätigt aber auch, dass Straftäter, von denen unverändert die hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten ausgeht, auch in den Fällen der nachträglich verlängerten oder angeordneten Sicherungsverwahrung nicht ohne Weiteres auf freien Fuß gesetzt werden müssen.
Das entspricht zugleich den Grundlinien der Reform, die der Bundestag vor wenigen Wochen beschlossen hatte und die ich mitgetragen habe. Die SPD hatte hierbei im Deutschen Bundestag durchgesetzt, dass der Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung deutlich beschränkt wurde und nur bei Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung möglich sein soll. Dies war mir sehr wichtig.
In den kommenden zwei Jahren müssen sich Bund und Länder gemeinsam der Aufgabe stellen, das System der Sicherungsverwahrung grundsätzlich neu zu gestalten. Und sie müssen zügig damit beginnen. Welche konkreten Veränderungen im Lichte der Karlsruher Entscheidung zu treffen sind und wie ein neues Gesamtgefüge aussehen kann, muss sorgsam geprüft werden.
Ich hoffe, dass bis zum Herbst erste Eckpunkte vorliegen werden. Dies ist notwendig, damit die knappe Zeitvorgabe gehalten werden kann. Die SPD-Bundestagsfraktion wird diesen Prozess konstruktiv begleiten. Änderungen in Einzelnormen vorauszusagen oder einzufordern, halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für verfrüht.
Sobald eine Novelle vorliegt, über die konkret beraten werden kann, wird der Rechtausschuss des Deutschen Bundestages zu einer Anhörung einladen. Damit kann fest gerechnet werden. Sachverständige werden – dieses Verfahren gilt für Anhörungen zu allen Gesetzgebungsverfahren aller Politikbereiche – jeweils über die Fraktionen vorgeschlagen. Dabei können sowohl Wissenschaftler wie auch Praktiker oder Betroffene benannt werden.
Burkhard Lischka, MdB