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Britta Haßelmann
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Lukas K. •

Weshalb will die Ampel den EU Direktwahlakt 2018 ratifizieren?

Sehr geehrter Frau Haßelmann,
das Bundesverfassungsgericht hat erst 2011 die 5%-Sperrklausel gekippt und 2014 kurz vor der EU-Wahl die 3%-Sperrklausel. Der Direktwahlakt 2018 fordert nun Mitgliedsstaaten dazu auf, eine Sperrklausel zwischen 2% und 5% zur EU Wahl einzuführen. Auch Deutschland wäre dazu verpflichtet. Im Ampel Koalitionsvertrag steht dazu: "Wenn bis zum Sommer 2022 kein neuer Direktwahlakt vorliegt, wird Deutschland dem Direktwahlakt aus 2018 auf Grundlage eines Regierungsentwurfes zustimmen". Warum will die Ampel einem Wahlakt zustimmen, der eine mit dem deutschen Grundgesetz nicht vereinbare Regelung enthält? Soll hier die Kompetenz des BVerfG umgangen werden, nur um die Sperrklausel einzuführen? Und warum wird einem möglichen neuem Wahlakt nur Zeit bis Sommer 2022 gegeben? Haben die letzten sieben Jahre nicht bewiesen, dass wir keine Sperrklausel auf EU-Ebene brauchen?
Vielen Dank schonmal für Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen,
Lukas K.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

 Sehr geehrter Herr Lukas K.,

vielen Dank für Ihre Frage. 

Den neuesten Vorschlag zur Änderung des EU-Direktwahlaktes begrüßen wir. Denn, wie auch im Koalitionsvertrag festgehalten (Koalitionsvertrag 2021, S. 131),  fordern wir seit langem die Einführung transnationaler Listen und das Spitzenkandidat*innen-Prinzip. Auch die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre unterstützen wir. Ebenso tragen wir den interfraktionell im Europäischen Parlament erarbeiten Kompromiss einer Sperrklausel für Länder mit nationalen Wahlkreisen mit über 60 Sitzen im Gesamtpaket mit.

Sperrklauseln, wie im Vorschlag enthalten, sind jedoch Eingriffe des Gesetzgebers in die Grundpfeiler des Wahlrechts. Daher ist eine kritische Abwägung aller in Betracht kommenden Argumente für und gegen solche Sperrklauseln entscheidend. Im Rahmen dieser Abwägung ist allerdings eine Unterscheidung von Bundestagswahlen und Europawahlen vorzunehmen. Die Rechtsgrundlagen für die Wahl des Europäischen Parlaments finden sich sowohl im europäischen Unionsrecht als auch im nationalen Wahlrecht. Für die Beantwortung der Frage ist es wichtig zwischen dem Direktwahlakt und der nationalen Umsetzungsregelung zu differenzieren.

In den von Ihnen genannten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in 2011 und 2014 wurde über die Verfassungsmäßigkeit eines Bundesgesetzes, dem Europawahlgesetz (EuWG), entschieden. Die nun geplante Reform betrifft eine Regelung auf europarechtlicher Ebene, d.h. Unionsrecht. Unionsrecht wird nicht am Maßstab des Grundgesetzes gemessen. Lediglich Verletzungen der sog. Verfassungsidentität (vgl. Ewigkeitsklausel, Art. 79 Abs. 3 GG) durch das Unionsrecht, also Verletzung der Grundsätze der Staatsstrukturprinzipien, können vom Bundesverfassungsgericht festgestellt werden. Eine solche Verletzung der Verfassungsidentität ist bei einer Sperrklausel wohl nicht anzunehmen. Eine Umgehung der Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts liegt nicht vor.

Mit freundlichen Grüßen,

Britta Haßelmann

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