Im März 22 gab es in Istanbul Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland. Laut Naftali Bennett gab es gute Chancen auf eine Einigung. Sollte es jetzt wieder Verhandlungen geben?
Die Ukraine legte damals einen 10-Punkte-Friedensplan vor und wollte auf die Nato-Mitgliedsschaft verzichten. (ab Seite 4)
https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Waffenstillstand_und_Frieden_Ukrainekonflikt_5_Sep2023.pdf
Laut Aussage des ehemaligen israelischen Präsidenten Naftali Bennett wurde die Friedensverhandlung aber von Boris Johnson und den USA gestoppt.
https://www.berliner-zeitung.de/open-source/naftali-bennett-wollte-den-frieden-zwischen-ukraine-und-russland-wer-hat-blockiert-li.314871
Boris Johnson hat am 4.4.22 im „The Times“-Magazin gefordert: „No settlement with Russia until Ukraine holds whip hand“. (Kein Übereinkommen mit Russland, bis die Ukraine die Oberhand hat) Er fuhr in die Ukraine und versprach, wie auch die USA, eine Menge Waffen.
https://www.thetimes.co.uk/article/no-settlement-russia-ukraine-nato-boris-johnson-pxfkbr27g
Wie denken Sie darüber?
Sollten jetzt wieder Friedensverhandlungen aufgenommen werden, um Tod und Leid endlich zu beenden?
Sehr geehrter Herr G.,
vielen Dank für Ihre Frage. Frau Haßelmann hat uns gebeten, Ihnen zu antworten.
Seit dem 24. Februar 2022 muss sich die Ukraine, ausgelöst durch den brutalen Angriffskrieg Wladimir Putins, gegen die Aggression Russlands erwehren und ist dafür auf humanitäre, wirtschaftliche und militärische Unterstützung anderer Staaten angewiesen. Diese ist unerlässlich für die Menschen in der Ukraine und das Bestehen der Ukraine als souveräner Staat, aber auch für die Verteidigung von Frieden und Freiheit in ganz Europa. Denn der Angriff Putins auf die Ukraine ist auch ein Angriff auf Europa und unsere Sicherheits- und Friedensordnung.
Noch im März dieses Jahres bezeichnete Vladimir Putin mögliche Verhandlungen mit der Ukraine in einem Interview – vor dem Hintergrund eines bestehenden Munitionsmangels bei der ukrainischen Armee - als „lächerlich“. Dies verdeutlicht, dass Friedensverhandlungen für die Ukraine nur aus einer Position der Stärke heraus Aussicht auf ein akzeptables Ergebnis haben können. Auch bei den Verhandlungen in Istanbul hat sich dies gezeigt. Nur aufgrund der im März 2022 gestärkten militärischen Situation der Ukraine war Russland in den Verhandlungen bereit, von Maximalforderungen abzurücken. Dennoch waren in den Verhandlungen bis zum Ende unter anderem die zukünftige Größe und Struktur des ukrainischen Militärs oder die Grenzziehungen nach Kriegsende ungeklärte Aspekte. Zudem belastete das Bekanntwerden der russischen Gräueltaten in Butscha mit Folterkammern, Massengräbern und 458 Toten für die Ukraine die diplomatischen Verhandlungen mit Russland.
Dennoch sind diplomatische Initiativen, wie die Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz, wichtig und richtig und Friedensverhandlungen von höchster Bedeutung. Die Bedingungen einer Verhandlungslösung dürfen aber nicht auf eine Kapitulation der Ukraine hinauslaufen, wie es die jüngsten Forderungen Putins zur Konsequenz gehabt hätten. Putin forderte als Vorbedingung allein für die Aufnahme von Verhandlungen den Abtritt von ukrainischen Regionen, die Russland teilweise erobert hat. Die Ukraine sollte sich aus den gesamten Gebieten der Regionen Donezk, Cherson, Luhansk und Saporischschja zurückziehen. Die Anerkennung der „neuen territorialen Gegebenheiten“, wie von Putin formuliert, würde damit beinhalten, dass die Ukraine nicht „nur“ die bestehenden Frontlinien als Waffenstillstandslinien akzeptiert, sondern sich auch aus Gebieten zurückziehen sollte, die Russland bislang nicht besetzen konnte. Diese Forderungen sind aus Sicht der Ukraine unannehmbar, da sie eine faktische Kapitulation bedeuteten. Zentral sind daher für Friedensverhandlungen die Wahrung der territorialen Integrität der Ukraine und wirksame Sicherheitsgarantien, die die Ukraine vor einem erneuten Angriff Russlands schützen.
Mit besten Grüßen
Team Haßelmann