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Britta Haßelmann
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Ines H. •

Frage an Britta Haßelmann von Ines H. bezüglich Gesundheit

Psychische Erkrankungen machen einen immer größeren Teil der Krankschreibungen aus, während die Wartezeit auf einen ambulanten Therapieplatz beim Psychotherapeuten häufig eine zumutbare Länge (3 Monate) überschreitet. Gleichzeitig stehen junge Psychotherapeuten nach der Bezahlung ihrer Ausbildung, die sie nach ihrem Studium mit etwa 20 000 € belastet, in der Regel ohne eine Zulassung zur Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen da. Während viele Patienten also unversorgt bleiben, wird die Psychotherapie trotz nachgewiesener Wirksamkeit für bestimmte Krankheitsbilder im Vergleich zu anderen Heilberufen stiefmütterlich behandelt - mit Folgen für Patienten, Therapeuten und die gesetzlichen Krankenkassen (denn eine chronifizierte Störung erfordert eine längere und teurere Behandlung). Werden Sie sich dafür einsetzen, an diesem Zustand etwas zu verändern?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau H.,

Sie haben völlig Recht, dass wir bei der Versorgung psychisch erkrankter Menschen vor großen Herausforderungen stehen. Der Behandlungsbedarf aufgrund psychischer Erkrankungen steigt seit Jahren kontinuierlich an und macht deutlich, wie wichtig eine bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige psychotherapeutische Versorgung ist. Es kann nicht sein, dass in zahlreichen Regionen, die sogar als überversorgt gelten, Menschen weder Anlaufstellen bei akuten Krisen finden noch in zumutbarer Zeit einen Psychotherapieplatz erhalten. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Bundesregierung tatenlos zuschaut, wie die Selbstverwaltung den gesetzlichen Auftrag zur Beseitigung der eklatanten Defizite in der psychotherapeutischen Versorgung verschleppt.

Wesentliches Problem ist, dass die Koalition aus Union und SPD kein Konzept dafür vorgelegt hat, wie in den nächsten Jahren ein bedarfsgerechtes Versorgungsangebot aussehen und geschaffen werden soll, das flexibel auf die individuellen Bedürfnisse von Menschen mit psychischen Erkrankungen eingeht. Wir setzen uns für ein bedarfsgerechtes, regionales, Zwang vermeidendes psychiatrisch/psychotherapeutisches und psychosoziales Versorgungsnetz für alle Altersgruppen ein, welches flexibel verschiedenste personenzentrierte und lebensweltbezogene Behandlungsformen ermöglicht: die ambulante Begleitung in den eigenen Alltag während, nach oder statt eines stationären Aufenthalts, teilstationäre Angebote, die enge Abstimmung mit gemeindenahen sozialpsychiatrischen Hilfen im gemeindepsychiatrischen Verbund, die Einbeziehung von Psychiatrie-Erfahrenen und Angehörigen sowie eine ambulante Krisenbegleitung. Es ist ein Unding, dass im ambulanten Bereich lange Wartezeiten die Regel und Hilfen nicht miteinander verzahnt sind. Menschen in psychischen Krisen brauchen frühzeitige niedrigschwellige Hilfen. Dazu muss das psychotherapeutische Angebot bedarfsgerecht ausgebaut werden. Mit zahlreichen parlamentarischen Initiativen haben wir Grüne uns in dieser Wahlperiode im Bundestag dafür eingesetzt, dass Hilfenetze für psychisch kranke Menschen ausgebaut werden (bspw. Bundestagsdrucksacke 18/9671 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/096/1809671.pdf , Bundestagsdrucksache 18/12282 http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/122/1812282.pdf ).

Zwar können Menschen in Krisen seit dem 1. April kurzfristig in einer psychotherapeutischen Sprechstunde klären, ob und welche Hilfe sie benötigen. Das Problem der langen Wartezeiten wird damit aber nicht gelöst. Denn die Anzahl der Behandlungsplätze erhöht sich dadurch nicht. Im Gegenteil: Die Reform der Psychotherapierichtlinie steht auf tönernen Füßen. Die Engpässe, vor allem im ländlichen Raum werden sich zuspitzen, wenn wegen der neuen Angebote noch weniger Zeit für die klassische Therapie bleibt. Allein das Wissen um die Notwendigkeit einer Psychotherapie hilft den Betroffenen wenig, wenn sie weiterhin monatelang auf den Therapiebeginn warten müssen.

Zu einer hochwertigen Versorgung gehört auch, dass Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten eine angemessene Vergütung für ihre Arbeit erhalten, die sie nicht immer wieder vor dem Bundessozialgericht erstreiten müssen. Dringenden Reformbedarf sehen wir auch bei der Psychotherapeutenausbildung. Die Große Koalition hat die dringend nötige Reform über Monate verschleppt und ihr Reformversprechen aus dem Koalitionsvertrag gebrochen. Das ist ein schweres Versäumnis. Wir setzen uns für eine zügige Reform ein, mit der die Grundlagen für eine Ausbildung nach hohen Qualitätsstandards und für eine angemessene Vergütung der Ausbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer vergleichbar anderer Berufsgruppen geschaffen werden. Die prekäre finanzielle Situation vieler Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Ausbildung ist nicht hinnehmbar und erschwert den Zugang zu diesem Berufsfeld. Dabei wird mit der Psychotherapeutenausbildung der Grundstein für eine bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige psychotherapeutische Versorgung gelegt.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit dieser Auskunft weiterhelfen.
Ihre Britta Haßelmann

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