Frage an Brigitta Nell-Düvel von Christoph M. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Nell-Düvel,
im Rahmen der letzten Reform unseres Gesundheitssystems wurde die Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen für Medikamente einiger Therapierichtungen wie Homöopathie, Anthroposophische Medizin, Phytotherapie weitgehend abgeschafft. Dies bedeutet in de facto eine Einschränkung der Therapiefreiheit für Patienten und Ärzte und ist umso bedauerlicher, als inzwischen Modellstudien vorliegen (IKK Hamburg), die aufzeigen, dass ein erweitertes Therapiespektrum aufgrund nachhaltiger Heilerfolge sogar ökonomisch sinnvoller ist als ein rein auf so genannte Schulmedizin beschränktes Therapiespektrum? Im Übrigen ist in den weiteren bekannt gewordenen Plänen der Gesundheitsministerin die Tendenz zur Schematisierung von Therapien und zur Einschränkung des Entscheidungsspielraumes der Ärzte erkennbar.
Wie stehen Sie zur Frage der Freiheit der Therapiewahl? Werden Sie sich im Falle Ihrer Wahl im nächsten Bundestag für den weiteren Erhalt der besonderen Therapierichtungen in Deutschland einsetzen? Wie ist der diesbezügliche Diskussionsstand in Ihrer Partei?
Mit freundlichen Grüßen
Christoph Matthes
Sehr geehrter Herr Matthes,
die natürlichen Arzneimittel haben heute AnhängerInnen quer durch alle Bevölkerungsgruppen. Angesichts der Risiken, die mit vielen chemisch-synthetischen Wirkstoffen verbunden sind, suchen viele PatientInnen eine schonende Alternative. Durch den umfassenden Gesundheitsbegriff, der sich mit den natürlichen Arzneimitteltherapien verbindet, fühlen sie sich stärker in ihrer Gesamtpersönlichkeit wahrgenommen. Die Naturarzneimittel sind damit ein wichtiger Bestandteil unseres Gesundheitswesens.
Die mit der Gesundheitsreform 2004 vorgenommene Streichung der Erstattungsfähigkeit verschreibungsfreier Arzneimittel durch die Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wurde von vielen Bürgerinnen und Bürgern als Diskreditierung der Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen wahrgenommen. Da der größte Teil der natürlichen Arzneimittel verschreibungsfrei ist, müssen die PatientInnen künftig fast alle Naturarzneimittel selbst bezahlen. Ausweichreaktionen hin zu chemischen Arzneimitteln, die auch weiterhin durch die GKV getragen werden, sind wahrscheinlich. Bündnis 90/Die Grünen haben diese Befürchtungen geteilt und haben deshalb innerhalb des Gesetzgebungsprozesses frühzeitig Ausnahmeregelungen für Naturarzneimittel gefordert. In dem von den Koalitionsfraktionen im Juli 2003 in den Bundestag eingebrachten Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz waren neben den Sonderbestimmungen für Kinder und behinderte Jugendliche auch Ausnahmeregelungen insbesondere für die homöopathischen und anthroposophischen Arzneimittel vorgesehen. In den Konsensverhandlungen zur Gesundheitsreform im Sommer 2003 konnten diese Ausnahmeregelungen trotz unserer heftigen Einwände leider nicht gehalten werden.
Wir konnten erreichen, dass verschreibungsfreie Arzneimittel weiterhin erstattet werden, sofern diese bei der Behandlung schwerer Erkrankungen als Therapiestandard gelten. Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen erhielt den gesetzlichen Auftrag, eine entsprechende Ausnahmeliste mit den definierten schweren Erkrankungen und den dazugehörigen verschreibungsfreien Medikamenten zu beschließen. Klare Vorgabe war, die Therapievielfalt zu gewährleisten, also Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen (Anthroposophie, Homöopathie, Phytotherapie) zu berücksichtigen.
Diesem Gesetzesauftrag ist der Gemeinsame Bundesausschuss nachgekommen. Die von ihm beschlossene Ausnahmeliste (“OTC-Liste”) nennt mehrere Dutzend schwere Erkrankungen mit den dazugehörigen verschreibungsfreien Medikamenten, die als Behandlungsstandard gelten. So kann der Arzt z.B. bei Herzerkrankungen auch weiterhin Aspirin auf Kassenkosten verordnen. Die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen werden berücksichtigt. So werden an pflanzlichen Präparaten auch Johanniskraut zur Behandlung mittelschwerer Depressionen und Ginkgoblätter-Extrakt zur Behandlung der Demenz genannt. Eine weitgehende Regelung gibt es für homöopathische und anthroposophische Arzneimittel. Bei allen Erkrankungen, für die rezeptfreie Medikamente erstattet werden, können auch Arzneien der Anthroposophie und Homöopathie verordnet werden. Damit ist es uns gelungen, den Grundsatz der Therapievielfalt innerhalb des Krankenversicherungsrechts zu erhalten.
Im Falle meiner Wahl werde ich für den Erhalt der von Ihnen angesprochenen besonderen Therapierichtungen einsetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitta Nell-Düvel,