Frage an Brigitta Nell-Düvel von Rainer G. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Frau Nell-Düvel,
Ihre Antwort durchlesend wurde ich immer fröhlicher: "Die Zahl der Erwerbstätigen lag Ende 2004 um 950.000 höher als 1998." oder "Selbständigkeit und Existenzgründungen haben sich positiv entwickelt. 1998 lag die Zahl der Selbständigen bei 3,8 Millionen, 2004 waren es 4,2 Millionen."
Doch dann schaute ich, was hinter diesen Erfolgsmeldungen wirklich steckt: Die Zahl der Erwerbstätigen ist hauptsächlich deshalb gestiegen, weil bisher sozialversicherungspflichtige Arbeitsstellen in Minijobs umgewandelt wurden. (Natürlich sind nebenher auch gute(!) neue Berufe entstanden, wie sie in Deutschland schon immer entstanden).
Ähnlich ist Ihr gepriesener Anstieg der Selbständigen zu werten: Viele Arbeitslose gründen aus der Not heraus eine Ich-AG (vielen wurde diese Möglichkeit ja sogar vom Arbeitsamt aufgedrängt), die - so die Statistik - allerdings sehr schnell wieder eingehen wird.
Den Ausbau des Niedriglohn-Sektors, den ja alle etablierten Parteien befürworten, beobachte ich mit Grauen. Dies ist nichts anderes als die Einführung einer "Working-Poor-Klasse", wie wir sie aus Amerika kennen. Das sind Mitmenschen, die durchaus 16 Stunden am Tag arbeiten, was gerade zum Leben (=Existieren) reicht. Es darf halt nichts dazwischen kommen (wie etwa Krankwerden). Darüber hinaus ist die Altersarmut bei diesen Mitmenschen durch Ihre Freistellung von der Sozialversicherungspflicht vorprogrammiert.
Wie durch eine Effizienzsteigerung in der Wirtschaft Arbeitsplätze schaffen lassen, bitte ich Sie doch, mir zu erklären. Durch Effizenzierung werden gewöhnlich Arbeitsstellen abgebaut.
Ihre Meinung, dass durch Abschaffung des Meisterzwangs 40.000 neue Arbeitsplätze entstanden sind, mag zwar stimmen, hauptsächlich hat es eben auch dort zu einer preislichen Strangulierung der Betriebe geführt, da jetzt auch Meister ihre Dienste zu Niedrigpreisen anbieten müssen. Und diesen Betrieben die Zukunft in Frage stellen lässt.
Warum die Erhöhung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommenssteuer auf 50% die kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber den Konzernen benachteiligt, müssten Sie mir bitte erklären. Das ist nur dann der Fall, wenn - wie von Rot-Grün geplant - die Unternehmenssteuer statt auf ebenfalls 50% auf höchst überflüssige 19% gesenkt werden soll.
Das Dosenpfand berwerte ich relativ neutral. Ob dies nun aus Töpfers Feder oder aus Ihrer, ist mir wurscht. Tatsächlich aber ist dies eine der wenigen Initiativen, mit denen die Grünen die Titelseiten füllen konnten. Darüber hinaus lediglich mit neuen Rekorden bei der Massenaarbeitslosigkeit! Ihre Überzeugung, dass die (momentane) grüne Politik auf den Prinzipien Weitsicht und Rücksicht aufbaut, kann ich nur insofern teilen, wenn Sie auf weite Sicht eine weitere Verarmung (Kinderarmut unter Rot-Grün deutlich gestiegen - schämen Sie sich!) und eine weitere Umverteilung von Unten nach Oben planen.
Sie sollten sich vor allem fragen, ob man grünen Ideen nicht wesentlich besser damit fördert, wenn die Menschen Hoffnung haben und Perspektiven sehen, statt sie aus der Gesellschaft willentlich(!) -es geht nämlich auch deutlich anders - auszuschließen. Umwelt ist ja eine Art "Luxus", für die Menschen nur dann bereit sind einzustehen, wenn zumindest ihre nächste Zukunft gesichert ist. Ansonsten sind sie - zur Rettung/Verbesserung ihrer momentanen Lage - bereit, auch Umweltschädliches zu tun (so werden immer mehr Menschen bereits sein, Wälder für Flughäfen zu roden, AKW´s zu bauen, so lange es "Arbeitsplätze schafft").
Sind Sie wirklich schon so weit von der Realität entfernt, bzw. ist Ihnen Ihr persönliches Wohlergehen so wichtig, dass Sie mit diesem Wahnsinn weiter machen wollen?
Sehr geehrter Herr Gribs,
vielen Dank für Ihre rasche Antwort. Offensichtlich finden Sie und ich bei der Bewertung der derzeitigen Entwicklung keinen Konsens. Ihre kritischen Bemerkungen möchte ich gerne kommentieren: Weder Sie noch ich können das Rad der Geschichte zurückdrehen und „Weiter so Deutschland“ das alte CDU- Motto hilft uns auch nicht. „Es muss ein Ruck durch das Land gehen“ ist mir da schon weitaus sympathischer. Ich bin sicher, gemeinsam können wir aus der Krise heraus die Zukunft positiv gestalten. Innovative Produkt- und Unternehmensideen werden besonders von Existenzgründern und Selbstständigen umgesetzt. Auch aus der Arbeitslosigkeit heraus, entwickeln viele die Ideen, die sie schon länger mit sich herum getragen haben, zur Marktreife. Wir haben Selbstständigkeit durch die Steuerreform, die Reform der Handwerksordnung, die Förderung der Ich- AG und die Verbesserung der Mittelstandsfinanzierung massiv unterstützt. Trotz der schlechten Konjunktur gab es noch nie so viele Unternehmen in Deutschland wie jetzt.
Der Anteil von Frauen, die sich selbstständig machen, steigt kontinuierlich an. Allerdings werden Unternehmen immer noch häufiger von Männern gegründet und geleitet. Viele Akademikerinnen wählen diesen Schritt, um ihre berufliche Position zu verbessern oder um ausbildungsadäquate Tätigkeiten ausüben zu können. Eine Million Unternehmen in Deutschland sind in der Hand von Frauen. Gerade in männerdominierten Berufen machen sich überdurchschnittlich viele Frauen selbstständig.
Die Zahl der Selbstständigen ist während unserer Regierungszeit kontinuierlich angewachsen. 1998 lag die Zahl der Selbstständigen bei 3,8 Mio., 2004 waren es 4,2 Mio., die Zahl der Selbstständigen ist also um rund 10 Prozent gestiegen.
Mit den gesetzlichen Regelungen gegen Scheinselbstständigkeit haben wir zugleich verhindert, dass Arbeitnehmer von den Arbeitgebern in die formale Selbstständigkeit getrieben werden können, tatsächlich aber wie Angestellte behandelt werden.
Die Union wird nicht müde die Koalition wegen der hohen Zahl von 40.000 Insolvenzen im Jahr 2004 zu kritisieren. Wichtiger als die Zahl der Insolvenzen ist aber der Saldo aus Gründungen und Insolvenzen. Und der ist in unserer gesamten Regierungszeit positiv gewesen. Es werden mehr Unternehmen gegründet, als in Konkurs gehen. Ende des Jahres 2004 gab 573.000 Unternehmen, 60.000 Unternehmen mehr als im Jahr 1998.
Mehr Selbstständigkeit bringt mehr Beschäftigung, durch die Entwicklung und Umsetzung neuer Geschäftsideen, neuer Dienstleistungen und neuer Produkte.
Wir wollen, dass unternehmerisches Engagement und Verantwortung für Arbeitsplätze in Deutschland mehr Anerkennung in der Gesellschaft findet. Dazu gehört auch eine Kultur der zweiten Chance für die, die mit einer Gründungsidee scheitern.
Existenzgründung aus der Arbeitslosigkeit
Mit dem Existenzgründungszuschuss (Ich-AG) haben wir neben dem Überbrückungsgeld ein neues Instrument zur Förderung aus der Arbeitslosigkeit heraus geschaffen, das sehr erfolgreich eingesetzt wird.
Von Anfang 2003 bis Ende 2003 wurden 268.000 Ich- AGs gegründet. Da die Förderung drei Jahre läuft (1. Jahr 600 € monatlich, 2. Jahr 360 €, 3.Jahr 240 €) ist noch nicht erkennbar, wie Unternehmen sich nach dem Auslaufen der Förderung entwickeln werden. Aber die Tatsache, dass die ganz überwiegende Mehrheit (82 Prozent) das Unternehmen auch bei deutlich verringerter Förderung im zweiten Jahr fortführt, deutet darauf hin, dass die meisten GründerInnen erfolgreich sind.
48.000 Unternehmen haben sich im zweiten Jahr aus der Förderung verabschiedet, davon 34 Prozent, weil sie einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz gefunden hatten, 4,5 Prozent waren weiterhin ohne Förderung selbständig, gut die Hälfte war wieder arbeitslos. Insgesamt ist die Bilanz also bisher sehr erfolgreich gewesen.
Ich- AGs sind vor allem in der Dienstleistungsbranche tätig:
28,5 Prozent entfallen auf Dienstleistungen für Unternehmen,
17,9 Prozent auf den Bereich Handel, Handelsvertretung, Reparatur,
10 Prozent auf personenbezogene Dienstleistungen,
9,6 Prozent auf das Baugewerbe,
5,9 Prozent auf Erziehung und Unterricht sowie
4,7 Prozent auf das Gesundheits- und Sozialwesen
Die Gründerinnen und Gründer sind für den Schritt in die Selbstständigkeit gut qualifiziert. 86,3 Prozent haben eine akademische Ausbildung, eine schulische oder eine betriebliche Berufsausbildung absolviert. Bei den Gründerinnen liegt die Quote bei 93,9 Prozent. Nur 10 Prozent der Befragten haben keinen berufsbildenden Abschluss. Etwas mehr als die Hälfte (54 Prozent) der Ich-AGs verfügte zum Zeitpunkt ihres Starts bereits über Berufserfahrung in ihrer Gründungsbranche. 27 Prozent verfügten bereits über Erfahrungen als Selbstständige.
Eher vorsichtig gehen Ich-AGs auch ins finanzielle Risiko. 76,9 Prozent kamen mit einem Startkapital von maximal 5.000 Euro aus, 76,3 Prozent gründeten ohne sich zu verschulden (aktuelle Untersuchung des Institutes für Mittelstandsforschung www.ifm-bonn.de).
Der Boom bei den erneuerbaren Energien, den wir durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz ausgelöst haben, nutzt besonders kleinen und mittleren Unternehmen im Handwerk, weil es z.B. die Installation von Solaranlagen auf Dächern fördert. Das ist eine Tätigkeit, die von Handwerksbetrieben verrichtet wird. Generell haben regenerative Energieträger dezentralen Charakter (im Gegensatz zu zentralen Atom- oder Kohlekraftwerksblöcken). Gerade in dieser kleinteiligen Struktur sind Handwerksbetriebe aktiv.
Die PDS will sich nicht an einer Regierung der Bundesrepublik beteiligen. Sie ist dazu auch nicht in der Lage, denn sie sie hat für die zentralen wirtschaftspolitischen Herausforderungen keine Antworten. Ein ernst zu nehmendes Wirtschaftskonzept müsste erst noch erarbeitet werden. Sie will die Binnennachfrage durch die Schaffung von Arbeitsplätzen ankurbeln, sagt aber nicht, wie sie Arbeitsplätze schaffen will. Die Löhne müssten ebenso wie die öffentlichen Investitionen erhöht werden. Wie dies in einer globalisierten Weltwirtschaft zu finanzieren wäre, schreibt die PDS nicht. Ein Mindestlohn 1400 Euro, wie ihn die PDS fordert, würde viele Arbeitsplätze kosten, denn er liegt über dem derzeitigen Tarifniveau in vielen Branchen.
Was werfen uns die anderen vor?
Wir würden Selbstständigkeit erschweren und das Land mit Bürokratie überziehen. Das ist falsch. Wir sind für Wettbewerb, wir bauen Bürokratie ab. Die Handwerksordnung ist das beste Beispiel.
Die Einstellung, Umweltschutz sei „Luxus für reiche Wohlstandskinder“ , ist ein Zeichen für unzureichende Information und fehlendes Vorsorgedenken . Das Gegenteil ist richtig. Klimaschutz spart Milliarden und schafft Arbeitsplätze mit Exportchancen..
Ganz aktuell ist der Alpenraum von der dritten Jahrhundertflut innerhalb des letzten Jahrzehnts mit erheblichen individuellen und volkswirtschaftlichen Schäden betroffen. Die letzte Jahrhundertflut an der Elbe ist gerade mal drei Jahre her.
Durch eine aktive Klimaschutzpolitik können enorme volkswirtschaftliche Kosten vermieden werden. Dies geht aus dem aktuellen Vierteljahresbericht des Deutschen Institutsfür Wirtschaftsforschung (DIW) vor. Demnach könnte allein Deutschland bis zum Jahr 2050 Schäden in Höhe von 800 Milliarden US-Dollar (rund 650 Milliarden Euro) abwenden. Weltweit belaufe sich das Einsparpotenzial sogar auf 200 Billionen Dollar, erklärte DIW-Umweltexpertin Claudia Kemfert. Die Kosten für einen verbesserten Klimaschutz fielen dagegen weit geringer aus.
Laut DIW ist in Deutschland in den nächsten hundert Jahren mit einem Temperaturanstieg von 3,3 Grad Celsius zu rechnen, falls keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Dies bedeute ein extremer werdendes Wetter und damit erhebliche Schäden für die Landwirtschaft und die Versicherungsbranche. Der Aufwand für das Gesundheitswesen könnte ebenfalls zunehmen – so wie bei der Hitzewelle in Frankreich 2003.
Für eine aktive Rolle Deutschlands in der Klimaschutzpolitik steht das Erneuerbare Energien Gesetz mit ausdrücklich grüner Handschrift, nachweislich effizient mit einem Gewinn von über 60.000 Arbeitsplätzen allein bei der Windkraft.
Ich bin fest überzeugt, Grüne Politik baut auf den Prinzipien Weitsicht und Rücksicht.
So schaffen wir Arbeitsplätze in einem lebenswerten Umfeld.
Wenn Sie sich näher über meine Arbeit informieren wollen, schauen Sie doch mal unter www.nell-duevel.de auf meiner Homepage hinein.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitta Nell-Düvel