Frage an Bodo Ramelow von Christina K. bezüglich Umwelt
Sehr geeehrter Herr Ramelow,
wie erklären Sie den Widerspruch, dass alternative Testmethoden zu ihrer Anerkennung validiert sein müssen, während bei Tierversuchen eine Validierung nicht vorgeschrieben ist? Befürworter von Tierversuchen waren zu keiner Zeit gezwungen, die Wissenschaftlichkeit von Tierversuchen und damit ihre Aussagefähigkeit unter Beweis zu stellen. Wie unzählige Beispiele auch aus der jüngsten Vergangenheit zeigen, sind Tierversuche keineswegs geeignet, die Gefährlichkeit von Stoffen oder Medikamenten für den Menschen auszuschließen. Ganz im Gegenteil. Da die Übertragbarkeit von Tierversuchen auf den Menschen nicht gegeben ist, gaukeln Tierversuche eine trügerische Sicherheit vor. Warum also wird die Latte für die Anerkennung von Alternativmethoden so extrem hoch angesetzt, während sich bei Tierversuchen keiner um eine Validierung schert? Bei Ihrer Antwort bitte ich zu bedenken, dass ich mich mit der Thematik eingehend beschäftigt habe und auch über die Gesetzeslage informiert bin. Aus diesem Grund bin ich an einer aussagekräftigen Antwort ohne die Verwendung von Allgemeinplätzen interessiert.
MfG
Ch. Kremer
Sehr geehrter Herr Kremer,
leider bekommen sie erst jetzt die Antwort, weil ich bislang kaum Zeit hatte, mich adäquat mit der von Ihnen angesprochenen Thematik auseinanderzusetzen.
Sie sprechen in Ihrer Mail das Problem der Validierung von alternativen Testmethoden an. Ob dieses schwierigen Themas bin ich sehr erfreut, dass Sie sich bereits eingehend mit dieser Problematik befasst haben. Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, existiert bereits seit den 50er Jahren das so genannte 3R-Prinzip. Dadurch soll das Tierleid bei Versuchen verringert werden. Unter dem Motto Replacemnent, Reduction und Refinement soll nicht nur die Zahl der Tierversuche reduziert, sondern überhaupt deren ethische Vertretbarkeit in Frage gestellt werden. Um dies zu bewerkstelligen, bedarf es Ersatzmethoden. Diese Methoden wiederum müssen jedoch, wie jede andere wissenschaftliche Methode auch, einen gewissen Standard erfüllen und zudem reproduzierbar sein. Dies ist umso wichtiger, als dass Ersatzmethoden hinsichtlich ihrer Ergebnisse vergleichbar sein müssen. Dieselbe Methode an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit getestet, muss zum gleichen Ergebnis führen. Andernfalls ist sie unzuverlässig und würde den Sicherheitsstandards nicht entsprechen. Um dies zu vermeiden, ist es notwendig, alternative Testmethoden zu validieren! Da es sich dabei um ein sehr aufwendiges Verfahren aufgrund umfangreicher Doppel-Blind-Studien handelt, kann sich der Validierungsprozess teilweise viele Jahre hinziehen. Ersetzt werden können Tierversuche durch Methoden wie in vitro-Tests, Struktur-Wirkungsbeziehungen ((Q)SAR), EDV gestützte Expertensysteme, physiologisch basierte Pharmakokinetik-Modelle (PBPK) und Kombinationen aus diesen oder anderen Methoden. Tierversuche wie der Draize- oder Lichtsensibilitäts-Test, können inzwischen routinemäßig ersetzt werden. Auch diesen Testmethoden gingen jahrelange Validierungsverfahren voraus.
Wie komplex das Tierversuchsthema zu begreifen ist zeigt auch die Tatsche, dass nicht nur alle erdenklichen Produkte die globalen Märkte erobern, sondern auch die mit ihnen verbundenen Sicherheitsprobleme. Insbesondere bei der Zulassung von Stoffen oder Stoffgemischen kann es aufgrund der unterschiedlichen Gesetzeslage zu Zulassungskonflikten kommen. So kann ein Stoff in einem Land verboten sein, während er woanders verkehrsfähig bzw. problemlos VerbraucherInnen zugänglich ist. Während der Tierversuch, seit Jahrzehnten praktiziert, zu scheinbar gesicherten Ergebnissen führt, werden Alternativen aufgrund vergleichsweise geringer Erfahrungen häufig noch als zu unsicher angesehen. Immerhin gehören Tierversuche seit Mitte des 19. Jahrhunderts zum selbstverständlichen Repertoire medizinischer Erkenntnis. Abgesehen davon, erfüllen Tierversuche keineswegs die viel beschworenen Sicherheitsversprechen, weil Ergebnisse aus Versuchen, beispielsweise an Nagern, sich eben nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen lassen. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu verstehen, dass alternative Testmethoden mit Tierversuchen nicht vergleichbar sind, weil sie andere Ergebnisse liefern.
Die Validierung alternativer Tests soll, das ist letztlich das Ziel dieses langwierigen Unterfangens, zu einem internationalen Konsens führen. Dieser Konsens ist Dreh- und Angelpunkt bei der Methodenzulassung. Denn es geht eben nicht nur darum, Alternativen zu erforschen und sie möglicherweise (nur) in Deutschland zu etablieren. Vielmehr sollen Ersatzmethoden als qualitativ mindestens gleichberechtigt zum Tierversuch (wenn nicht sogar besser, weil eher standardisierbar), als preiswerter und schneller durchführbar, international bzw. weltweit anerkannt werden.
Grob lässt sich dieser Anerkennungsvorgang in fünf Schritte unterteilen.
1. Verfahrensentwicklung
2. Prävalidierung: Verfahrenstests in Blindversuchen
3. Validierung: Doppelblind-Versuche
4. Auswertung durch unabhängige Experten
5. Anerkennung des neuen Verfahrens durch die Behörde, Aufnahme ins
Prüfverfahren der OECD
Eine wesentliche Rolle beim Validierungsprozess spielt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - OECD. Nimmt sie einen Test in ihre Prüfrichtlinien auf, verfügt er über den notwendigen Standard und wird nicht nur von den OECD Mitgliedsländern, sondern weltweit anerkannt. Kritikwürdig ist allerdings in der Tat, dass dieses Anerkennungsverfahren nicht nur sehr teuer ist, sondern mitunter bis zu zehn Jahre dauern kann. Wenngleich ein Validierungsverfahren hinsichtlich der Erfüllung notwendiger Sicherheitsstandards unumgänglich ist, gibt es doch Befürchtungen, dass die außerordentlich zeitintensiven Validierungen taktisches Kalkül sind. Befürchtet wird, dass so Tierversuche noch sehr lange salonfähig sein werden. Insbesondere der Industrie wird hier ein geringes Interesse an innovativen Ersatzmethoden unterstellt, weil Neuerungen eben Geld kosten. Dies scheint aber gerade nicht der Fall zu sein. Mindestens hinsichtlich der nun beschlossenen REACH-Verordnung (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals), sind es doch vor allem die Regierungen in der EU, die Tierversuche in den Mittelpunkt der Sicherheitsprüfungen stellen. Obwohl bereits fast elf Millionen Tiere jährlich in Europa in Tierversuchen „verbraucht“ werden, gehen Schätzung des britischen Medical Research Council (MRC) von jährlich 13 Millionen Tieren nur allein für das Reach-Programm aus.
Es bleibt also generell anzumerken, dass die Validierung alternativer Testmethoden unumgänglich ist, um den bestehenden hohen Sicherheitsstandards auch weiterhin zu entsprechen. Weder darf dieses Verfahren allerdings so langwierig sein, wie es im Moment der Fall ist, noch dürfen Ergebnisse aus Tierversuchen die Vergleichsgrundlage bilden. Schließlich sind Tierversuche nicht nur in der Kosmetik, sondern auch in der Ausbildung und Forschung kritisch zu hinterfragen. Bei einer Evaluierung von 97 klinischen Publikationen wurden nur bei vier Studien Zusammenhänge zwischen den Ergebnissen aus Tierversuchen und Befunden an Menschen festgestellt. Noch gravierender scheint, dass Negativergebnisse aus wissenschaftlichen Forschungen gar nicht erst veröffentlicht werden. Deshalb werden unzählige Untersuchungen mit Tierversuchen wiederholt. Ich hoffe, Ihnen mit der Beantwortung Ihrer Fragen weitergeholfen zu haben und stehe Ihnen auch weiterhin gern zur Verfügung. Übrigens haben wir auch eine tierschutzpolitische Sprecherin in der Fraktion, die sich seit Jahren eingehend mit dieser Problematik befasst (Frau Eva Bulling-Schröter).
Mit freundlichen Grüßen
Bodo Ramelow