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Bodo Ramelow
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Frage von Christos V. •

Frage an Bodo Ramelow von Christos V. bezüglich Umwelt

Sehr geehrter Herr Ramelow,

in der TZ vom 11. August 2007 konnte ich lesen,dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit einem drast. Anstieg der Tierversuche in Europa rechnet. Allein für die Umsetzung der neuen EU-Chemikalienrichtlinie seien mind. 10 Millionen zusätzliche Tierversuche nötig. Kann man die neue Chemikalien-Richtlinie nicht auch ohne Tierversuche durchsetzen?

Ich hab selber einen Hund,bin streng gläubiger Christ und kenne Leute die Mäuse bzw.Ratten als Haustiere halten.
Ratten sind gesellige Tiere, beschnuppern sich gegenseitig,spielen miteinander, zeigen Wohlwollen.. Ich bin von diesen Tieren begeistert und gleichzeitig über die Anzahl der Tierversuche entrüstet. Ich frage mich, ob Tierversuche überhaupt nötig sind, und wenn, ob denn wirklich in diesem Umfang. Tiere haben auch Gefühle...

Oft habe ich das Gefühl, dass viele Tierversuche unnötig sind. Und damit meine ich nicht nur die Kosmetika-Tierversuche!
Es wurde z.B. rausgefunden, dass Dieselruß
krebserzeugend ist indem man Ratten und Kaninchen regelrecht "vergast" hat.Brauchte man hierzu Tierversuche? Ist doch klar das jede Art von ABGASE Krebs erzeugt. Muss man dazu wirklich fühlende Lebewesen in LANGSZEITversuche quälen??? Ich sagen NEIN!

Ein aktueller Tierversuch hat mich besonders entsetzt. Es sollen zwei Ratten aneinander genäht werden: http://www2.onnachrichten.t-online.de/dyn/c/12/01/18/92/12011892.html Der Verein Ärzte gegen Tierversuche nannte den in der Medizinischen Hochschule Hannover stattfinden sollenden Versuch "unethisch und grausam". NENNEN bringt aber nicht viel.!! Ist der Tierversuch noch aufzuhalten? Kann die LINKE diesen verhindern? Kann die LINKE zumindest dafür sorgen, dass die Parabiose wieder verboten wird? Solche Versuche wurden nämlich seit 20 Jahren in Deutschland nicht mehr genehmigt... Ich vermute, dass mitunder die FDP dafür gesorgt hat, dass wieder Tierquäler in Form von solchen Tierversuchen möglich ist? Wissenschaft muss ihre Grenzen haben!!!

Hochachtungsvoll
Herr Velissaridis

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Velissaridis,

seit dem Jahre 2002 ist der Tierschutz jetzt im Grundgesetz verankert. Laut Gesetz sind jetzt die Forschung und der Tierschutz gleichwertig, das heißt es muss eine Abwägung stattfinden. Doch in der Praxis hat sich nichts wesentlich geändert. Nach einer Information der Akademie für Tierschutz des Deutschen Tierschutzbundes e.V., stiegen die Tierversuchszahlen in den letzten sechs Jahren um 600.000 Tiere an. Demnach reichen die Maßnahmen der Bundesregierung nicht aus, um die Versuchszahlen zu verringern.

Es sind tatsächlich Mäuse und Ratten, die am häufigsten für Tierversuche verwendet werden. Fische - bei den Diskussionen gegen Tierversuche meistens kaum zur Kenntnis genommen - und Kaninchen kommen gleich danach. Eine Zunahme des Verbrauchs von Tieren in Versuchen wurde insbesondere bei Fischen, Affen, Hunden und Katzen festgestellt. Insbesondere das Problem der Versuche an Primaten stößt jedoch auf großen Widerstand. Eine Mehrheit von 416 EU-ParlamentarierInnen forderte deshalb jüngst in einer schriftlichen Erklärung den Ministerrat und die EU-Kommission auf, sämtliche Versuche an Affen durch alternative Testmethoden zu ersetzen.

Zu den nach wie vor an wissenschaftlichen Einrichtungen wie Hochschulen, Universitäten und Schulen stattfindenden Tierversuchen kommen hunderttausende Tierversuche für Sicherheits- und Produkttest im Bereich der Pharma-, Kosmetik-, Pflanzenschutz- und für die Chemieindustrie hinzu. Dabei ist die Tendenz steigend, weil mit der neuen REACH-Verordnung für viele Produkte solche Tests vorgeschrieben sind. Wenngleich - bei Vorhandensein - Alternativmethoden den Vorrang haben, konnten doch erst sehr wenige solcher Alternativmethoden verifiziert werden.

REACH (Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien) stellt die EU-Chemikalienverordnung dar. Im Juni dieses Jahres ist sie in Kraft getreten. Hintergrund für diese Verordnung war ein EU-Kommissionsbeschluss Ende der 90er Jahre, die europäischen Chemikaliengesetze komplett zu überarbeiten. Denn seit Jahrzehnten befinden sich zehntausende ungetestete Chemikalien auf dem Markt, deren Wirkung auf Mensch und Umwelt weitestgehend unbekannt sind. In den kommenden Jahren sollen nun all diese „Altchemikalien“ in Giftigkeitsprüfungen anhand von Tierversuchen getestet werden. Schon allein aus diesem Grund ist ein Anstieg der Tierversuche eine zwangsläufige Folge. Schätzungsweise 10 bis 45 Millionen Versuchstiere sollen dafür eingesetzt werden.

Die Linke. lehnt Tierversuche in der Lehre strikt ab.

Informationstechnologische Fortschritte machen diese überflüssig. Hier setze ich mich klar für eine gesetzliche Änderung ein. Bis dahin muss es der Gewissensfreiheit von Studierenden überlassen sein, Tierversuche im Rahmen der Ausbildung ablehnen zu können.

Viele Versuche in Wissenschaft und Forschung sind bereits in ihrer Fragestellung, geschweige denn in ihrer Ausführung höchst fragwürdig. Seien es Depressionsversuche an Primaten, Alkoholversuche an Ratten, diätetischen Versuchen an Mäusen und allgemein die in ethischer Hinsicht besonders bedenklichen Versuche mit und an transgenen Tieren in der biomedizinischen Forschung. Hier stellt sich mir besonders die Frage nach der zweckfreien Forschung an universitären Einrichtungen. Ebenso wie dort stattfindende Industrie- und Auftragsforschungen, Produktkontrollen und Sicherheitsprüfungen, gehören auch Tierversuche an Lehreinrichtungen nach meiner Auffassung nicht in den Schutzbereich des Artikels 5 III GG. Mit Artikel 20 des Grundgesetzes sehe ich eine Möglichkeit, das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit insbesondere unter dem Aspekt tierethischer Überlegungen zu beschränken. Anders lässt sich im Übrigen nach meiner Auffassung das Problem des Einsatzes von Tierversuchen in diesem Bereich auch nicht bewältigen.

Die Wirkstoffprüfung von Altchemikalien ist eine notwendige und längst überfällige Angelegenheit. Bislang wurden nur ca. 4.000 Stoffe darauf geprüft, ob sie Gesundheit oder Ökosysteme schädigen. Doch nicht nur die Methoden, mit denen diese Prüfungen möglich gemacht werden sollen, sondern auch das Gesetz an sich sind teilweise recht bedenklich. Denn aus einem vormals weitgehend fortschrittlichen Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission wurde ein im Wesentlichen an den Interessen der Chemieindustrie ausgerichtetes Gesetz. Insbesondere die Bundesrepublik hat an der Verwässerung mitgewirkt. Vertreter der Bundesregierung und EU-Spitzenbeamte aus Deutschland traten im Rat und in der EU-Kommission als Repräsentanten der heimischen chemischen Industrie auf. Ähnlich verhielten sich die Abgeordneten von Union, SPD und FDP im EU-Parlament. Sie haben die wirtschaftlichen Interessen der Chemiekonzerne gegen die Interessen von Mensch und Umwelt weitgehend durchgesetzt. Teilweise müssen vorhandene Produktinformationen nicht preisgegeben werden.

Meine Forderung bezüglich eines Verbotes von Tierversuchen an Lehreinrichtungen lässt sich durch die Forderung ergänzen, Tierversuche in der Industrie für Produkt- und Sicherheitsprüfungen perspektivisch durch Alternativmethoden zu ersetzen. Zur Vermeidung von Tierversuchen, insbesondere die besonders leidvollen toxikologischen, müssen Alternativmethoden schneller genehmigt und für deren Erforschung entsprechender Gelder großzügig zur Verfügung gestellt werden. Eine weitere Forderung ist die verpflichtende Nutzung von Alternativmethoden-Datenbanken, mit denen sich WissenschaftlerInnen über bereits vorhandene Alternativmethoden zu Tierversuchen informieren müssen, um Doppel- und Mehrfachversuche durch mangelnde oder fehlende Recherchearbeit zu verhindern.

Ich hoffe ich konnte Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen.
Mit freundlichen Grüßen
Bodo Ramelow

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