Frage an Birgit Malecha-Nissen von Jonas F. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Dr. Malecha-Nissen,
2007 wurde das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung im deutschen Bundestag durch Mitglieder der CDU/CSU und der SPD verabschiedet. Damit wurde ein weitreichendes Instrument zur anlasslosen Überwachung der Telekommunikations- und Internetnutzung etabliert. Dieses Gesetz wurde 2010 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Daraufhin gab es immer wieder Bestrebungen die Vorratsdatenspeicherung einzuführen, welche mit massivem Widerstand aus der Zivilbevölkerung (Petitionen, Demonstrationen etc.) beantwortet wurden.
Nun gibt es wieder einen Versuch die Vorratsdatenspeicherung einzuführen und auch die SPD gibt an, für das Gesetz zu stimmen.
Haben Sie auch vor für das Gesetz zu stimmen?
Wenn ja,...
... wie begründen Sie die anlasslose Überwachung der Telekommnuikation und Internetnutzung der Bürger? Was versprechen Sie sich davon?
... kennen Sie Studien, die belegen, dass die Vorratsdatenspeicherung ein sinnvolles Instrument ist? Wenn ja, welche? Ich erinnere daran, dass die Aufklärungsrate von Verbrechen in der Zeit, in der die Vorratsdatenspeicherung zum ersten mal aktiv war, sogar zurück gegangen ist.
... wie kann Missbrauch ausgeschlossen werden? Bedenken Sie dabei bitte die derzeitige Berichterstattung über die NSA und den BND!
... wie ist die Überwachung mit dem Grundgesetz vereinbar?
... wieso wird das Gesetz immer wieder versucht, dass Gesetz einzuführen, auch wenn es bereits mehrmals nicht geklappt hat?
Sehr geehrter Herr Festersen,
herzlichen Dank für Ihr Schreiben, in dem Sie Ihre Bedenken zur geplanten Speicherung von Telekommunikationsdaten äußern. Gerne erläutere ich im Folgenden die Position der SPD zu diesem Thema.
Am 15. April hat Bundesjustizminister Heiko Maas Leitlinien zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vorgelegt.
Mit dem Vorschlag von Bundesjustizminister Maas wird eine eng begrenzte Pflicht für alle Telekommunikationsanbieter zur Speicherung von wenigen, genau bezeichneten Verkehrsdaten unter Ausnahme von Diensten der elektronischen Post – also Email – eingeführt.
Oberste Richtschnur aller Regelungen sind für uns die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes. Die von Bundesjustizminister Maas vorgelegten Leitlinien sind viel restriktiver als das vom Bundesverfassungsgericht aufgehobene, ehemalige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, viel restriktiver als die aufgehobene europäische Richtlinie und auch viel restriktiver als CDU/CSU es wollen:
- Gespeichert werden müssen nur genau bezeichnete Verkehrsdaten, die bei der Telefon-kommunikation anfallen (Rufnummer, Beginn und Ende des Telefonats, im Fall von Internet-Telefondiensten auch die IP-Adressen). Diese Daten sollen zehn Wochen gespeichert werden.
- Für die Bezeichnung der Funkzellen, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt werden, gilt eine deutlich kürzere Speicherfrist von vier Wochen. Diese kurze vierwöchige Speicherfrist ist vorgesehen, weil über Funkzellendaten der Aufenthaltsort des Mobilfunknutzers bestimmt werden kann und wir nicht wollen, dass mittels dieser Daten Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile erstellt werden können. Zusätzlich muss im richterlichen Anordnungsbeschluss einzelfallbezogen begründet werden, warum der Abruf von Funkzellendaten erforderlich und angemessen ist. Anders als etwa in Frankreich dürfen Kommunikationsinhalte und aufgerufene Internetseiten nicht gespeichert werden.
- Um die Grundrechte der Betroffenen auf Datenschutz und Schutz ihrer Privatsphäre zu wahren, ist der Datenabruf nur zur Verfolgung von schwersten Straftaten möglich. Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Journalisten, Anwälten oder Ärzten unterliegen einem Verwertungsverbot. Dies gilt auch bei Zufallsfunden.
- Wichtig ist, dass der Zugriff auf die gespeicherten Daten transparent und restriktiv geregelt ist: Es gibt einen strengen Richtervorbehalt, d.h. nur auf richterlichen Beschluss hin dürfen Ermittlungsbehörden die Daten abrufen und es gibt keine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft oder der Polizei. Im Vergleich zu der vom Bundesverfassungsgericht verworfenen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung ist der von Minister Maas vorgelegte Straftatenkatalog deutlich reduziert worden. Der Abruf von Daten wird nur für schwerste Straftaten möglich sein. Darüber hinaus müssen die Betroffenen grundsätzlich über jeden Abruf informiert wer-den. Nach Ablauf der Speicherfrist von zehn bzw. vier Wochen müssen die gespeicherten Daten gelöscht werden. Verstöße gegen die Löschpflichten oder die Weitergabe von Daten haben strenge Sanktionen für die Dienstanbieter zur Folge.
- Die Leitlinien enthalten zudem eine datenschutzrechtliche Verbesserung zur geltenden Rechtslage: Das Gesetz wird die Befugnis der Ermittlungsbehörden zum Abruf der genannten Daten abschließend regeln. Speichert ein TK-Anbieter die Daten über den verpflichtend vor-gegebenen Zeitraum auf Grund einer anderen Rechtsgrundlage, z.B. zu Zwecken der Vertragserfüllung, weiterhin, so ist der Abruf nach diesem Gesetz dennoch nach Ablauf der 10 bzw. 4 Wochen untersagt.
- Um die Sicherheit der gespeicherten Daten zu gewährleisten, werden die Dienstanbieter zudem verpflichtet, die Daten zu schützen. Auch müssen die Server, auf denen die Daten gespeichert werden, innerhalb Deutschlands stehen. Wenn ein Dienstanbieter mit den gespeicherten Daten Datenhandel treibt und diese unbefugt an Dritte weitergibt, ist dies zukünftig eine Straftat nach dem neu zu schaffenden Tatbestand der Datenhehlerei.
Die Leitlinien sind eine gute Grundlage für die weitere Debatte und das anstehende parlamentarische Verfahren. Die SPD-Bundestagsfraktion wird dafür Sorge tragen, dass sich die obigen Grundsätze ohne Ausnahmen und Abstriche auch in den gesetzlichen Detailregelungen wiederfinden. Wir sind uns sicher, dass am Ende ein ausgewogener Kompromiss stehen wird. Deutschland hätte damit zugleich die strikteste Regelung zur Speicherung von Verkehrsdaten in ganz Europa.
Ich kann Ihnen versichern, dass die SPD die Bedenken der Bürgerinnen und Bürger sehr ernst nimmt. Wir werden uns dafür einsetzen, dass auch weiterhin das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht angetastet wird. Gleichzeitig ist es als Gesetzgeber unsere Pflicht, den Herausforderungen des internationalen Terrorismus zu begegnen und uns dafür einzusetzen, dass die Menschen in diesem Land in Sicherheit leben können.
Mit freundlichen Grüßen
Birgit Malecha-Nissen