Frage an Bijan Djir-Sarai von David H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Djir-Sarai,
die Mehrheit der Deutschen ist gegen Finanzhilfen für verschuldete EU-Staaten ( http://politbarometer.zdf.de/ZDFde/inhalt/4/0,1872,8172516,00.html ).
Die Mehrheit der Deutschen ist gegen den Afghanistan-Einsatz
( http://www.handelsblatt.com/politik/international/wieder-deutscher-soldat-verletzt-mehrheit-der-buerger-gegen-afghanistan-einsatz;2521187 ).
Die Mehrheit der Deutschen ist gegen den Euro
( http://www.welt.de/politik/deutschland/article7542632/Mehrheit-der-Buerger-befuerwortet-D-Mark-Rueckkehr.html ).
Versagt die repräsentative Demokratie an zentralen Punkten in Deutschland?
Mit freundlichem Gruß
David Hildenbrand
Sehr geehrter Herr Hildebrand,
Demokratie ist das tragende Element unserer Verfassung. Sie kennzeichnet sich dadurch aus, dass dem Volk die oberste Souveränität und die oberste Legitimation politischen Handles obliegt. Wie Sie selbst bereits richtig festgestellt haben, leben wir in Deutschland in einer repräsentativen Demokratie. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass Sachentscheidungen nicht wie in der direkten Demokratie durch das Volk selbst entschieden werden, sondern dass das Volk als Souverän zuvor so genannte Volksvertreter gewählt hat, die eigenverantwortlich politische Entscheidungen treffen. Laut Verfassung der Bundesrepublik unterliegen die gewählten Bundestagsabgeordneten keinerlei Weisungen. Sie genießen das so genannte "Freie Mandat". Als Abgeordneter des Deutschen Bundestages handele ich somit nach meinem besten Wissen und Gewissen.
Als erstes Beispiel für das vermeintliche Scheitern der repräsentativen Demokratie nennen sie die von uns verabschiedeten Finanzhilfen für verschuldete EU-Staaten. Auf den ersten Blick scheint es als investieren wir hohe Geldsummen ins Ausland, die uns für nationale innerdeutsche Maßnahmen fehlen. Fakt ist jedoch, dass die Bundesrepublik Teil eines komplexen, überregionalen und internationalen Regelsystems ist. Die Entwicklungen in anderen Regionen der Erde haben somit starke Auswirkungen auf unsere eigene wirtschaftliche und politische Situation im Land. Ich muss nun als Bundestagsabgeordneter verantwortlich handeln, um die Position der Bundesrepublik heute und in Zukunft in Einbezug unserer europäischen und internationalen Partner zu sichern.
Dennoch: Die Einführung von Eurobonds ist nach Meinung der FDP-Bundestagsfraktion nicht notwendig. Es müssen "härtere Auflagen" für die EU-Staaten, die den Euro Rettungsschirm in Anspruch nehmen, eingeführt werden. Mit dieser Maßnahme wirken wir einem Scheitern dieses großartigen europäischen Projektes entgegen. Die Europäische Einigung hat nicht nur in der Vergangenheit den Frieden gesichert, es ist auch die einzige Chance für die europäischen Nationen, in den nächsten Jahrzehnten überhaupt noch irgendeine Rolle in der Welt zu spielen und gegenüber aufstrebenden Nationen wie China, Indien, aber auch Ländern in Südamerika nicht völlig ins Hintertreffen zu geraten.
Genau deshalb müssen wir uns überlegen, wie Europa dauerhaft funktionsfähig bleiben kann. Wir bestehen darauf, dass in einer Regelung für die Zukunft die Beteiligung der privaten Investoren an Zahlungsausfällen gesichert ist. Gerade als Europapartei müssen wir dafür sorgen, dass nicht leichtfertig nach dem Überstehen der ersten Krise der alte Schlendrian wieder Einzug hält. Die Verschuldungspolitik aller europäischen Länder muss sich ändern.
Als Mitglied des Auswärtiges Ausschusses und Leiter der AG-Afghanistan liegt mir inhaltlich ihr Hinweis auf die Ablehnung des Afghanistan Einsatzes besonders am Herzen.
Die damalige Regierung von SPD und Grüne hat sich für die Beteiligung am NATO-Einsatz in Afghanistan entschieden, nun dürfen wir den Einsatz nicht kopflos beenden. Afghanistan befindet sich bereits seit 30 Jahren in einem instabilen, konfliktgeladenen Zustand, weshalb es sehr schwer ist, friedensstiftende Maßnahmen im Land gewinnbringend zu etablieren. Unsere seit 2009 etablierte neue Strategie beinhaltet eine klare Verschiebung des Schwerpunktes hin zu mehr zivilem Wiederaufbau in Afghanistan sowie der Stärkung der afghanischen Sicherheitskräfte. Die internationale Staatengemeinschaft unterstützt die Regierung des afghanischen Präsidenten Karzai, der sich in seiner Antrittsrede zu mehr afghanischer Eigenverantwortung in fünf Schlüsselbereichen selbst verpflichtet hat: wirtschaftliche Entwicklung, Regierungsführung, Reintegration, Kampf gegen Korruption und Sicherheit. Das Ziel der Bundesregierung ist, in diesem Jahr die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass mit einer schrittweisen Rückführung der deutschen militärischen Präsenz begonnen werden kann.
Die Übergabe in Verantwortung darf nicht nur militärisch betrachtet werden - wichtig ist hierbei der parallele Prozess der politischen Ausgestaltung. Um die landesweite Aussöhnung zwischen den unterschiedlichen Volks- und Interessengruppen herbeizuführen, den Drogenhandel einzudämmen, die Sicherheitslage für die Bevölkerung spürbar zu verbessern und einen einigermaßen funktionsfähigen Regierungsapparat aufzubauen, sind neben militärischen auch politische und diplomatische Strategien notwendig. Hierbei ist es ein wichtiges Ziel, Afghanistan in sein regionales Umfeld zu integrieren, um dauerhaft und nachhaltig Stabilität im Land zu etablieren.
Der Schlüssel für die Befriedung Afghanistans liegt darin, wirtschaftliche und soziale Perspektiven für die afghanische Bevölkerung zu schaffen, um diese gegen eine Radikalisierung durch die Taliban zu immunisieren. Ein weiterer unverzichtbarer Punkt für die Stabilisierung Afghanistans ist die Wiedereingliederung von Aufständischen, die weniger aus ideologischen als aus wirtschaftlichen Überlegungen kämpfen. Hierfür wird ein unter gemeinsamer Verantwortung der internationalen Gemeinschaft und der afghanischen Regierung stehendes Reintegrationsprogramm entwickelt.
Deutschland hat ein großes Eigeninteresse daran, dass Afghanistan nie wieder zu einem Rückzugsgebiet für international operierende Terrornetzwerke wird.
Die seit dem Sturz der Taliban zu verzeichnende Verbesserung der Menschenrechtssituation in Afghanistan muss weiter abgesichert werden. Die Schreckensherrschaft der Taliban hatte insbesondere die Verletzung der Rechte von Frauen und Mädchen zur Folge. Seither ist es gelungen, beispielsweise den Zugang von Mädchen zu Schulen deutlich zu verbessern. Ein übereilter Abzug der deutschen und internationalen Truppen würde diese Fortschritte hinsichtlich der Menschenrechtssituation in Afghanistan gefährden.
Überdies wären die regionalen Folgen einer erneuten Machtübernahme der Taliban in Afghanistan unabsehbar. Dies würde die Lage im benachbarten Nuklearstaat Pakistan destabilisieren. Eine Niederlage der afghanischen Regierung könnte sich auch negativ auf die Situation in den Staaten Zentralasiens auswirken. Afghanistan bildet eine Art Drehscheibe zwischen Südasien, Zentralasien und Ostasien. Die Problematik um den Konflikt muss daher auch in einem überregionalen Rahmen betrachtet werden.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Dr. Bijan Djir-Sarai