Wie kann es sein, dass die Eheschließung einer Frau mit einem Hartz IVler dazu führt, dass das Gesamteinkommens des Paares um 370 € sinkt?
Sehr geehrte Frau Hagedorn,
die Frau, die ich (selbständiger Aufstocker) im Juli geheiratet habe, ist Kosmetikerin. Sie erhält einen mtl. Nettolohn von 1209 €, ich erhielt noch bis zu unserer Hochzeit Aufstockungsleistungen in Höhe von 626,88 €. Jetzt bekommen wir als Bedarfsgemeinschaft nur noch 284,37 €, das sind 372,42 € weniger für uns beide. Kurz, wir beide wurden durch das Eingehen der Ehe finanziell geschädigt. Steht das nicht im Widerspruch zu Artikel 6 der GG, dass die Ehe unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt und damit auch das Eingehen der Ehe? Ist es dem Staat nicht verboten, die Ehe zu schädigen oder zu beinträchtigen? Und was hat das - das frage ich Sie als SPD-Mitglied - mit dem Bemühen der Sozialdemokratie zu tun, sich gerade um die Belange der "hart arbeitenden Bevölkerung" (und dazu gehören wir beide) zu kümmern?
Sehr geehrter Herr W.,
vielen Dank für Ihre Frage vom 12.09.2022 zur Kürzung Ihrer Aufstockungsleistungen des JobCenters aufgrund Ihrer Eheschließung im Juli 2022. Zunächst möchte ich Ihnen nachträglich herzlich zu Ihrer Eheschließung gratulieren und Ihnen als Ehepaar alles Gute und viel Glück für Ihre gemeinsame Zukunft wünschen.
Ihre Verärgerung über die Reduzierung Ihrer Aufstockungsleistungen kann ich zwar einerseits gut nachvollziehen, aber andererseits bin ich auch überrascht, dass Ihnen diese Situation vor Ihrer Eheschließung offenbar nicht bewusst war. Denn diese Reduktion Ihrer Leistungen als Selbstständiger, der aufstockend Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt erhält, ist an die Lebenssituation gebunden, in der Sie sich (als Single) befunden haben.
Wer in einer (eheähnlichen) Lebenspartnerschaft einen Haushalt teilt, erhält grundsätzlich weniger Leistungen als jemand, der in einem Single-Haushalt lebt. Das ist eigentlich ja auch sehr nachvollziehbar, weil man sich als Paar bestimmte Leistungen (wie Aufwand für Heizung, Strom, Kochen, Wäsche waschen, Lebensmitteleinkauf) teilt und damit im Vergleich zu einem Single kostengünstiger wirtschaften kann. Insofern ist Ihre beklagte Leistungskürzung nicht allein der Tatsache geschuldet, dass Sie jetzt verheiratet sind, sondern wäre in ähnlicher Form ausgelöst worden durch eine (eheähnliche) Lebenspartnerschaft.
Die Reduzierung Ihrer Aufstockungsleistung stellt aber nur einen Teil Ihrer veränderten Situation dar. Im Gegensatz zur eheähnlichen Wohngemeinschaft gewährt der Staat Ihnen nämlich auf der anderen Seite wegen der Eheschließung viele Vorteile, die Ihnen jetzt offen stehen. Zum Beispiel wird Ihr gemeinsames Einkommen in der Einkommensteuererklärung wesentlich geringer versteuert als bei zwei Singles, wodurch Ihnen beiden deutlich mehr Netto vom Brutto bleibt. Und DAS ist nur EIN Beispiel. Auch die Krankenversicherung lässt sich als Ehepaar ggfs. durch die Familienversicherung deutlich günstiger finanzieren.
Staatliche Transferleistungen werden an diejenigen, die es brauchen, aus Steuermitteln gezahlt. Dass ein Single mehr Unterstützungsleistung braucht als ein Ehepaar in einer Bedarfsgemeinschaft ist relativ logisch. Denn eine Eheschließung bedeutet – rechtlich - auch, dass sich das Ehepaar zum gegenseitigen Unterhalt verpflichtet.
Insbesondere zur Unterstützung der von Ihnen zitierten „hart arbeitenden Bevölkerung“ hat die SPD-geführte Koalitionsregierung in diesem Jahr bereits drei Entlastungspakete von insgesamt über 95 Mrd. Euro beschlossen, die gerade den Beschäftigten in dieser gewaltigen Krise Unterstützung gewähren sollen. Von diesen Entlastungspaketen profitieren auch Sie gemeinsam mit Ihrer Ehefrau.
Außerdem sind wir gerade dabei, das deutsche Sozialsystem unter Federführung des SPD-Arbeits- und Sozialministers Hubertus Heil grundlegend zu verbessern. Dies geschieht durch das Ende des Hartz IV-Systems und die Einführung des Bürgergeldes ab 1. Januar 2023 - das Bundeskabinett hat diesen Gesetzesvorschlag von Minister Heil am 14.09.2022 beschlossen. In den kommenden Wochen wird der Bundestag diesen Entwurf beraten, ggfs. verbessern und am Ende als Gesetz beschließen. Das Ziel der SPD ist es, dass durch das neue Bürgergeld die Regelsätze für alle Leistungsempfänger deutlich angehoben werden. Wir als SPD lösen damit unser Versprechen ein, einen modernen Sozialstaat zu schaffen, der an der Seite der Bevölkerung steht und diese verlässlich absichert.
Ich hoffe, dass ich Ihre Frage damit beantworten konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Bettina Hagedorn