Wie, bitte ganz konkret, sollen die Bürger:innen entlastet werden, die schon jetzt die höchsten Lasten in der OECD verkraften müssen?
Sehr geehrte Fau Hagedorn,
Melnyk fordert jährlich 1% unseres BIP als Militärhilfe für die Ukraine.
Scholz hat der Bundeswehr zusätzliche (!) 100 Mrd "Sondervermögen" zugesagt.
Habeck verspricht Milliardenhilfen für Wärmepumpen.
Grüne erwarten Milliarden für erneuerbare Energien.
usw.
Ich lese, der Bund nimmt bis 2027 rund 70 Milliarden Euro weniger ein als zuvor gedacht
quelle: https://de.yahoo.com/nachrichten/2027-steuerminus-f%C3%BCr-bund-70-131619039.html
Eine Frage an Sie, als stelv. Vorsitzende des Haushaltauschuss:
Wie sehen konkrete Pläne aus, um dies alles zu stemmen, welches tragfähige Konzept hat der Bund? Muss ich mir Sorgen um die Zukunft machen? Zum Glück schliesst die FDP ja Steuer-und Abgabenerhöhungen aus, da wir bereits jetzt schon unter den zweithöchsten Steuer- und Abgabenlasten aller OECD Staaten leiden müssen?
quelle: https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-04/oecd-deutschland-steuern-abgaben-paare?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
Heike R.
Sehr geehrte Frau R.,
vielen Dank für Ihre Frage vom 29. Mai 2023. Bevor ich auf Ihre Statements, die ich inhaltlich so nicht voll teilen kann, eingehe, möchte ich Ihre Kernfrage beantworten, die Sie ja verstanden wissen wollen mit Blick auf die Solidität der Finanz- und Haushaltspolitik der Bundesregierung: „Muss ich mir Sorgen um die Zukunft machen?“ Nein, Frau R., um die solide Nachhaltigkeit der deutschen Finanzpolitik müssen Sie sich keine Sorgen machen!
Ich persönlich als 67-jährige Mutter von drei Söhnen und fünf Enkelkindern mache mir allerdings für deren Zukunft sehr wohl Sorgen. Ernste Sorgen müssen wir uns alle vor allem machen, ob Deutschland, Europa und die Weltgemeinschaft es in den nächsten Jahren tatsächlich schaffen werden, die CO2-Einsparziele des verbindlich vereinbarten Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, um damit die drohende Klimaerwärmung rechtzeitig zu stoppen, weil sonst eine lebenswerte Zukunft meiner Kinder und Enkelkinder tatsächlich in größter Gefahr wäre. Sorgen mache ich mir auch, ob es Deutschland und Europa gelingt, gemeinsam den Frieden, die Freiheit und die Demokratie auf unserem Kontinent zu sichern und den Kriegstreiber Putin und andere Autokraten mit imperialen Angriffs-Gelüsten zu stoppen, weil eine Zukunft im Krieg und ohne Demokratie und Freiheit keine lebenswerte Zukunft für die junge Generation in Deutschland und Europa wäre. Und Sorgen mache ich mir auch, ob es Deutschland gelingen wird, die enorme Fachkräftelücke von ca. 400.000 Menschen pro Jahr zu schließen, weil wir einerseits selbst in Deutschland nicht genug junge Menschen haben, um das zu schaffen, und weil andererseits unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft ohne diese dringend erforderliche Fachkräfte-Zuwanderung vor ihrer schwersten Krise stünde, die dann tatsächlich auch die nachhaltige Finanzierung der öffentlichen Haushalte gefährden würde. Wenn es uns allerdings gelingt, Deutschland attraktiv für die von unserer Wirtschaft so dringend benötigten Fachkräfte aus dem Ausland zu machen, dann muss sich auch niemand in der Bundesrepublik um die künftige Stabilität unserer Staatsfinanzen Sorgen machen.
Und nun zu Ihren Statements, die ich richtigstellen möchte: Sie schreiben: „Scholz hat der Bundeswehr zusätzliche (!) 100 Mrd. Euro „Sondervermögen“ zugesagt.“ Richtig ist zwar, dass Olaf Scholz als Bundeskanzler am 27. Februar 2022 (und damit nur drei Tage nach dem Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine!) öffentlich angesichts der akuten Bedrohungslage durch Putin für die freie Welt und Europa ein 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr vorgeschlagen hat, aber in unserer Demokratie KANN eine solche Entscheidung – für die auch das Grundgesetz geändert werden musste – NUR mit einer 2/3-Zustimmung aller Abgeordneten im Bundestag einerseits und aller 16 Bundesländer im Bundesrat andererseits getroffen werden.
Der Deutsche Bundestag, hat dieses Sondervermögen in 1. Lesung am 27. April 2022 beraten und in 2./3. Lesung am 3. Juni 2022 mit Änderung des Grundgesetzes (ein neuer Absatz in Artikel 87a wurde hinzugefügt) und zur Errichtung des Sondervermögens mit der erforderlichen 2/3-Mehrheit auch mit der CDU/CSU beschlossen. Am 10. Juni 2022 stimmte auch der Bundesrat mit 2/3-Mehrheit dem Sondervermögen für die Bundeswehr zu und machte damit den Weg für künftige Investitionen von bis zu 100 Milliarden Euro frei. Im Bundesrat hat übrigens auch Bayern dem Sondervermögen zugestimmt – lediglich die Bundesländer Thüringen, Berlin, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern haben sich enthalten, weil dort überall die Linken in den jeweiligen Landesregierungen eine Zustimmung verweigert haben.
Diese Beschlüsse des Deutschen Bundestages und des Bundesrates sind ein Zeichen der Geschlossenheit und Verantwortung an die Soldatinnen und Soldaten, an die Ukraine, an unsere europäischen Nachbarn und alle Verbündeten in der Welt - und zugleich auch an die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.
Sie schreiben: Herr „Melnyk fordert jährlich 1 Prozent unseres BIP als Militärhilfe für die Ukraine.“. Ja, das mag stimmen, ist aber für unsere Bundesregierung und unseren Bundestag komplett irrelevant. Herr Melnyk wurde als Botschafter der Ukraine in Deutschland am 9. Juli 2022 von Präsident Selenskyj endlich abberufen, weil er bis dahin als Diplomat in den drei Monaten während des Krieges komplett versagt hat. Als „Scharfmacher“ ist er drei Monate in Medien und Talkshows vor allem dadurch aufgefallen, dass er die Bundesregierung (und damit letztlich auch das Parlament) lautstark und in zweifelhafter Wortwahl öffentlich angegriffen hat, was einem Diplomaten in keiner Weise zusteht. Seine polarisierende Art hat die deutsche Solidarität sehr schnell auf eine harte Probe gestellt. Die Ausgabenpolitik der Bundesrepublik Deutschland richtet sich NICHT nach den Wünschen und Erwartungen von irgendwelchen Personen, sondern wird allein vom Haushaltsausschuss, dem ich seit 21 Jahren als Mitglied angehöre, und vom Deutschen Bundestag entschieden.
Sie schreiben: „Habeck verspricht Milliardenhilfen für Wärmepumpen.“ und „Grüne erwarten Milliarden für erneuerbare Energien“. Das mag stimmen – aber entschieden werden die künftigen Ausgaben für Deutschland allein über das Bundeshaushaltsgesetz 2024, das erst im November 2023 vom Haushaltsausschuss in seiner „Bereinigungssitzung“ vermutlich am 16./17. November entschieden und anschließend vom Deutschen Bundestag in 2./3. Lesung 4 Tage lang öffentlich beraten, diskutiert und dann beschlossen wird.
Sie schreiben: „Ich lese, der Bund nimmt bis 2027 rund 70 Milliarden Euro weniger ein als zuvor gedacht. Eine Frage an Sie, als stellvertretende Vorsitzende des Haushaltausschusses: Wie sehen konkrete Pläne aus, um dies alles zu stemmen, welches tragfähige Konzept hat der Bund?“ Dazu muss ich Ihnen sagen, dass in unserer parlamentarischen Demokratie zunächst die Bundesregierung – und in diesem Fall konkret Finanzminister Christian Lindner – dafür zuständig ist, einen Bundeshaushalt 2024, einen Finanzplan bis 2027 und damit ein „tragfähiges Konzept“ als Entwurf dem Parlament vorzulegen, bevor der Haushaltsausschuss sich von September bis November 2023 damit viele Wochen beschäftigen und entscheiden wird. Leider hat der Finanzminister bisher nicht – wie seit vielen Jahren geübte Praxis – seine im Bundeskabinett abgestimmten „Eckpunkte für den Bundeshaushalt 2024“ im März 2023 öffentlich und im Haushaltsausschuss vorgestellt. Stattdessen hat der Finanzminister einen Kabinettsbeschluss für den Haushalt 2024 und den Finanzplan bis 2027 für den 5. Juli 2023 angekündigt, worauf - und auf seine Erläuterungen dazu traditionell persönlich im Haushaltshaltausschuss – wir alle sehr gespannt sind.
Der Bundestag wird vier Tage öffentlich in 1. Lesung über diesen Haushaltsentwurf 2024 der Bundesregierung vom 5 bis 8. September 2023 diskutieren, was täglich „live“ in voller Länge im Fernsehen bei „Phönix“ übertragen wird. Der Haushaltsausschuss prüft danach bis November in unzähligen Sitzungen und Stunden die mehreren tausend Einnahme- und Ausgabepositionen und beschließt daraufhin Änderungen. Diese werden in 2./3. Lesung dann vom 28.11. bis 01.12.23 erneut vier Tage öffentlich ganztags im Parlament diskutiert, bevor der Bundestag am 01. Dezember 2023 in seiner Schlussabstimmung den Bundeshaushalt 2024 final beschließt, dem dann auch noch der Bundesrat zustimmen muss, bevor das Haushaltsgesetz vom Bundespräsidenten unterschrieben und durch Verkündung im Bundesgesetzblatt als „fertiges Gesetz“ Wirkung zeigen kann. Wie Sie sehen, liebe Frau R., ist die Ausgabenpolitik in Deutschland kein „Schnellschuss“ von Einzelpersonen, sondern es bedarf in unserer Demokratie eines ordentlichen, langwierigen und transparenten Gesetzgebungsverfahren, und das ist gut so!
Sehr geehrte Frau R., Sie schreiben: „Zum Glück schließt die FDP ja Steuer-und Abgabenerhöhungen aus, da wir bereits jetzt schon unter den zweithöchsten Steuer- und Abgabenlasten aller OECD Staaten leiden müssen.“ Auch zu diesem Satz möchte ich mich gerne äußern, denn Fakt ist, dass die Schuldenbremse im Grundgesetz 2009 in der 1. Großen Koalition auf Vorschlag von CDU-Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Finanzminister Peer Steinbrück mit 2/3-Mehrheit in Bundestag am 29. Mai 2009 und im Bundesrat am 12. Juni 2009 im Zuge der großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 beschlossen wurde. Ich selber habe als Sozialdemokratin diese Schuldenbremse 2009 mit im Grundgesetz verankert! Die FDP hat 2009 der Einführung der Schuldenbremse übrigens NICHT zugestimmt!
Es ist richtig, dass die FDP ein weiteres „Aussetzen“ der Schuldenbremse (wie seit 2020 wegen der Corona-Pandemie von Bundestag und Bundesrat beschlossen!) ab 2024 ausschließt, was im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen im Dezember 2021 ja auch ausdrücklich so vereinbart worden ist. Im noch nicht im Kabinett verabschiedeten Haushaltsentwurf für 2024 soll – so sagt Finanzminister Christian Lindner – noch eine „Deckungslücke“ von 20 – 30 Mrd. Euro klaffen, die deswegen unbedingt „geschlossen“ werden muss.
Diese Lücke wäre pro Jahr um mindestens 11 Milliarden Euro größer, wenn die FDP-Forderung im Wahlkampf 2021 – nämlich den Solidaritätszuschlag für ALLE abzuschaffen – tatsächlich umgesetzt worden wäre, was allerdings an SPD und Grünen gescheitert ist. Darüber bin ich sehr froh. In der Großen Koalition haben wir den Solidaritätszuschlag auf Vorschlag unseres damaligen Finanzministers Olaf Scholz für ca. 93 Prozent aller Steuerzahlrinnen und Steuerzahler komplett abgeschafft. Nur die ca. 7 Prozent der mit Abstand am meisten Verdienenden müssen den Solidaritätszuschlag weiterzahlen, was ich absolut richtig und gerecht finde. Ich zahle übrigens selbst den Solidaritätszuschlag und zwar gerne (meine Steuerbescheide können Sie auf meiner Homepage unter der Rubrik „Gläserne Abgeordnete“ übrigens lückenlos seit 2003 nachverfolgen!). Ich finde, dass es angesichts der 20 – 30-Milliardenlücke im Bundeshaushalt 2024 kein Tabu sein darf, dass die Bestverdienenden und Höchstvermögenden in unserer Gesellschaft einen größeren Beitrag zu Gunsten des Gemeinwohls beitragen müssen als jetzt. Ich stimme Ihnen aber leider zu, dass die FDP genau DAS mit dem von Ihnen zitierten Statement ausgeschlossen hat und verhindern wird. Umso mehr bin ich deshalb gespannt auf das von Ihnen geforderte „tragfähige Konzept“ von Finanzminister Christian Lindner zur Bewältigung unserer unbestreitbaren Ausgaben in Deutschland sowie zur Finanzierung unserer Gesamtverantwortung - nicht nur national, sondern auch international - bis 2027. Wenn das Bundeskabinett Anfang Juli 2023 den Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2024 und den Finanzplan bis 2027 verabschiedet, wissen wir alle mehr.
Liebe Frau R., ich hoffe, dass ich Ihnen Ihre Fragen beantworten konnte. Und verbleibe mit freundlichen Grüßen
Ihre Bettina Hagedorn