Halten Sie Gendersternchen oder ähnliche Veränderungen unserer Sprache für ein geeignetes Mittel, die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern?
Sehr geehrter Herr S.,
auf Ihre Frage vom 20. September, ob ich „Gendersternchen oder ähnliche Veränderungen unserer Sprache für ein geeignetes Mittel“ halte, um die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern, möchte ich Ihnen gerne antworten.
Weder ich noch die SPD wollen eine gendergerechte Sprache vorschreiben. Falls Sie das Triell am 12. September mit unserem SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz verfolgt haben, so konnten Sie seine sehr klare Antwort auf diese Frage live hören, bei der er sinngemäß sagte, dass jede Person für sich selbst entscheiden könne, ob sie gendert oder eben nicht. Ich persönlich fände es ebenfalls nicht richtig, wenn man Bürgerinnen und Bürgern das Gendern quasi „diktieren“ wollen würde. Persönlich wähle ich am liebsten und sehr bewusst seit fast drei Jahrzehnten als Ansprache beispielsweise „Liebe Bürgerinnen und Bürger“ oder „Liebe Kolleginnen und Kollegen“ und will damit die Gleichstellung bei der Geschlechter und den Respekt gegenüber allen Menschen gleichermaßen betonen. Das tue ich im Übrigen auch nicht erst, seitdem ich 2002 als Bundestagsabgeordnete zu arbeiten begann, sondern das habe ich mir schon in den 80er/90er Jahren so angewöhnt, als ich 30 Jahre in meiner Heimatgemeinde Kasseedorf und in Schönwalde am Bungsberg ehrenamtlich in der Kommunalpolitik engagiert war. Als ich von 1997 bis 2003 – als 1. Frau in Ostholstein - ehrenamtliche Bürgermeisterin und Amtsvorsteherin am Bungsberg war, habe ich allerdings auch vielfach erleben müssen, dass ich in damals überwiegend männerdominierten Gremien als Frau nicht entsprechend angesprochen wurde, was ich als absolut respektlos empfand und ich mir auch mehrfach öffentlich verbeten habe. Damals wie heute ist unsere Sprache entlarvend relevant für den ausgedrückten Respekt oder für eine ausgedrückte Missachtung. Eine bewusste Sprache, die die Gleichstellung der Geschlechter strikt beachtet, ist darum auch immer ein wertvoller Beitrag, um Frauen in unserer Gesellschaft mit Respekt gegenüber ihrem starken Anteil und ihrer Leistung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu würdigen.
Sie fragen, ob eine gendergerechte Sprache ein geeignetes Mittel sei, die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern. Klar ist natürlich, dass es ALLEIN kein ausreichender Beitrag für die Förderung der Gleichberechtigung sein kann. Deshalb haben wir Sozialdemokraten in unserem Zukunftsprogramm im Kapitel 3 auf Seite 42 klare Maßnahmen definiert, wie wir konkret Gleichberechtigung verwirklichen wollen. Bei der großen Aufgabe der Gleichberechtigung der Geschlechter wurde in den letzten Jahrzehnten – maßgeblich auf Initiative der SPD - zwar vieles erreicht, aber noch lange nicht genug. Die Pandemie hat erneut die immer noch ungleichen Chancen von Frauen und Männern wie „in einem Brennglas“ aufgezeigt und hier ist für unsere Gesellschaft noch viel zu tun. Als SPD wollen wir die Gleichstellung von Frauen und Männern als Querschnittsaufgabe verankern, die alle Bereiche durchziehen muss: Familien-, Arbeitsmarkt-, Sozial-, Bildungs- und Rechtspolitik – aber auch Haushalts- und Finanzpolitik. Wir wollen die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen bis 2030 erreichen. Dazu wollen wir die Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung zu einem verbindlichen Fahrplan mit konkreten und wirksamen Maßnahmen für alle Politikbereiche weiterentwickeln.
Sehr geehrter Herr S., Gleichberechtigung ist aber auch eine Frage der politischen Repräsentation. Darum setzen wir uns für Paritätsgesetze für den Bundestag, die Länder und Kommunen ein, damit alle Geschlechter in gleichem Maße an politischen Entscheidungen beteiligt sind. Es ist vor allem eine Frage der Gerechtigkeit, dass das Prinzip des gleichen Lohns für gleiche und gleichwertige Arbeit endlich gelten muss. Wir haben per Gesetz dafür gesorgt, dass alle Beschäftigten einen Auskunftsanspruch gegenüber ihrem Arbeitgeber haben, damit sie herausfinden können, ob andere Beschäftigte, die die gleiche Arbeit machen, mehr Geld dafür bekommen. Wir wollen das Entgelttransparenzgesetz so weiterentwickeln, dass es Unternehmen und Verwaltungen verpflichtet, Löhne und Gehälter im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit zu überprüfen und Verfahren festzulegen, mit denen Ungleichheit bei der Entlohnung beseitigt wird, ohne dass sich Betroffene selbst darum kümmern müssen. Wir wollen eine entsprechende Regelung auch auf europäischer Ebene vorantreiben. Erfolgreiches Wirtschaften braucht geschlechterparitätische und kulturell vielfältige Arbeitsteams. Das gilt selbstverständlich auch an den Unternehmensspitzen. Wir haben bisher eine Quote für Aufsichtsräte eingeführt und geregelt, dass in größeren Vorständen von börsennotierten und paritätisch mitbestimmten großen Unternehmen mindestens eine Frau vertreten sein muss. Wir wollen, dass an der Spitze von Unternehmen und in den Führungsebenen darunter möglichst genauso viele Frauen wie Männer vertreten sind - dies soll auf alle börsennotierte oder mitbestimmte Unternehmen ausgeweitet und mit wirksamen Sanktionen durchgesetzt werden. Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort Klarheit verschafft zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Bettina Hagedorn