Frage an Bettina Hagedorn von Gerd M. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Hagedorn!
Im alten Rom war der Brotpreis entscheident im Hinblick auf die Zufriedenheit der Bürger. Eine ähnliche Funktion hat heute in etwa der Benzin- und Heizölpreis! Warum greift unsere Politik in diesem Bereich nicht regulierend ein? Die genannten Preis sind h o c h belastet mit Abgaben, welche an den Staat zu entrichten sind. Hier wäre doch der >Hebel, mit dem der "moderne Brotpreis" reguliert werden könnte. Wann nimmt die Politik eine Abkehr von dem Weg, dem Bürger immer nur mehr Geld aus der Tasche zu ziehen? Diese Frage muss nach meiner Meinung angegangen dringend werden .
Mit freundlichen Grüßen und voller Spannung auf Ihre Antwort
Gerd Mehlhop
Sehr geehrter Herr Mehlhop,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema steigende Energiekosten vom 27.07.2008. Leider komme ich wegen der Haushaltsberatungen -- die mich als Mitglied im Haushaltsausschuss wie jeden Herbst seit Ende August "nonstop" in Anspruch nehmen -- erst jetzt dazu, ihre Fragen detailliert zu beantworten. Die zeitliche Verzögerung meiner Antwort bringt es aber mit sich, dass wir gemeinsam feststellen können, dass sich auf dem Energiemarkt in den letzen zwei Monaten ein ebenso atemberaubender Preisverfall bedingt durch die Finanzkrise ereignet hat wie wir zuvor in einer Phase der Hochkonjunktur einen unaufhaltsamen Preisanstieg sowohl bei Heizöl als auch bei Spritkosten erlebt haben, der gerade Menschen mit geringerem Einkommen enorme Probleme bei den Lebenskosten verursachte. Andererseits profitieren alle Bevölkerungsgruppen jetzt stark von der Tatsache, dass der Preis für den Liter Sprit seit dem Sommer um knapp 30 Cent gesunken ist und für Heizöl von 98 auf 74 Euro pro 100 Liter -- zur Zeit haben die Menschen eher das Problem, von den Lieferanten rechtzeitig mit Brennstoffen für den Winter versorgt zu werden. Durch diese aktuelle Entwicklung wird gezeigt, dass eine pauschale Senkung der Steuer- und Abgabenlast auf Mineralölerzeugnisse schon deshalb eine untaugliche politische Antwort ist, weil eine solche Maßnahme nur langfristig wirken würde und angesichts aktueller Preisschwankungen unflexibel ist. Ich bin aber auch aus weiteren Gründen vollkommen gegen Steuer- und Abgabensenkungen auf Mineralölerzeugnisse:
1. Angesichts der notwendigen Maßnahmen zum Klimawandel wäre es kontraproduktiv, wenn der Staat ständig knapper werdende Ressourcen mit massiv klimaschädlichen Auswirkungen künstlich "verbilligt" und damit zum Mehrverbrauch anreizt. Stattdessen muss der Staat eher die Menschen in die Lage versetzen, langfristig ihre Lebensqualität mit weniger Verbrauch zu erhalten -- dafür sind Investitionen in die Wärmedämmung von Wohnraum ebenso wichtig wie in die Stärkung des öffentlichen Verkehrs bzw. des Betriebes von umweltschonenden Fahrzeugen. Um solche Investitionsanreize zu geben, braucht der Staat allerdings Steuermittel, die er am sinnvollsten bei jenen abschöpft, die sich ein umweltfreundlicheres Konsumverhalten zwar leisten könnten -- aber mangels Einsicht nicht wollen. Das gilt z.B. für all jene, die teure "Spritschlucker"-Modelle wie Geländewagen im Stadtverkehr fahren, obwohl man sie dort nun wirklich nicht braucht.
2. Eine pauschale steuerliche Entlastung auf Mineralölerzeugnisse nimmt zwar dem Staat erhebliche Einnahmen, die er dringend für seine Aufgaben aus Gemeinwohlinteresse braucht (mein Motto ist: nur Reiche können sich einen armen Staat leisten!), sie entlastet aber gerade nicht zielgenau jene Bevölkerungsschichten, die entlastet werden müssen, um die elementaren Lebenshaltungskosten -- gerade für Familien mit Kindern - bewältigen zu können. Das richtige politische -- weil zielgenaue - Instrument ist darum angesichts explodierender Heizkosten die von der großen Koalition auf Initiative der SPD erfolgte Umstellung des Wohngeldes von der bisherigen Bezuschussung der Kaltmiete auf die Warmmiete mit weiteren Änderungen, die die Anzahl der Begünstigten erweitern wird. Besonders froh bin ich, dass es der SPD gegen den Widerstand der Union gelang, diese Reform der Wohngeldnovelle jetzt auf den 1. Oktober 2008 um 3 Monate und damit zum Beginn der neuen Heizperiode vorzuziehen -- allein diese Maßnahme kostet den Steuerzahler aber 120 Mio. Euro, was aus meiner Sicht sinnvoll angelegtes, weil zielgenau verausgabtes Geld ist.
Auch wenn es bei anderen Parteien opportun zu sein scheint, mit Versprechungen von Steuersenkungen Wählerstimmen zu fangen, so ist dieses weder meine eigene Position noch die der SPD. Wir wollen inhaltliche, wirksame Lösungen finden, mit denen die Politik sozial gerecht gestaltet werden kann. Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang auch auf meinen veröffentlichten Vortrag vom Oktober 2007 hinweisen "Wie viel Solidarität können wir uns leisten?", in dem ich die deutlich mache, dass dies eine Wertediskussion in der Gesellschaft unter dem Motto sein muss: "Wie viel Solidarität WOLLEN wir uns leisten?"
(link: http://www.bettina-hagedorn.de/publikationen/bericht_aus_berlin/berichtausberlin34-07-10-08SozialwirtschaftsmesseKiel.pdf ) -- diese Wertediskussion hat zwingend damit zu tun, wie handlungsfähig und langfristig belastbar die öffentliche Hand durch eine positiv betrachtete Steuer- und Abgabenpolitik gehalten wird.
Die überhöhten Heizölpreise in der ersten Jahreshälfte 2008 kritisieren Sie zu Recht. Etwa ein Drittel des Strompreises muss allerdings auf Netzgebühren der Energieriesen zurückgeführt werden. Es ist für die SPD nicht hinnehmbar, dass sich insbesondere die vier Energieriesen RWE, EnBW, E.on und Vattenfall auf Kosten der Menschen und mittels Ausnutzung ihrer in der deutschen Wirtschaft einzigartigen Monopolstellung bereichern und Milliardengewinne einfahren. So habe ich zuletzt in meinem Bericht aus Berlin Nummer 34 ( http://www.bettina-hagedorn.de/publikationen/bericht_aus_berlin/berichtausberlin34.pdf ) umfangreich über die kritische Monopolsituation dieser vier Energiemultis berichtet und deren unverhältnismäßiges Gewinnstreben angeprangert: Wir haben das Bundeskartellamt durch die Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung in die Lage versetzt, wirkungsvoller gegen überhöhte Preise der Energieriesen vorzugehen. Das ist der richtige Weg. Es sind bereits erste Erfolge zu verzeichnen, wie die Einstellung des Missbrauchsverfahrens gegen sechs regionale Eon-Gasversorger Anfang Oktober dieses Jahres gezeigt hat. Obwohl § 29 des GWB noch nicht einmal zehn Monate alt ist, können wir schon jetzt feststellen, dass dieses Instrument in die richtige Richtung weist. Im erwähnten Verfahren wurde entschieden, dass durch eine Verschiebung der Preiserhöhung bzw. im Rahmen von Boni 55 Millionen Euro an die Kunden zurückgezahlt werden müssen. Weitere knapp 30 Verfahren gegen Gasversorger stehen nach Aussage des Bundeskartellamtes kurz vor dem Abschluss.
In letzter Zeit konnte man oft Behauptungen in der Presse lesen, der Staat würde an den steigenden Benzin- und Heizölpreisen verdienen. Der Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat in diesem Zusammenhang bereits mehrmals darauf hingewiesen, dass diese Behauptungen nicht zutreffen. Im Gegenteil: Deutschland erwartet für das laufende Haushaltsjahr Mindereinnahmen von ca. 1 Milliarde Euro durch die Benzinpreissteigerungen. Hohe Benzinpreise haben zur Folge, dass der Verbraucher weniger Benzin nachfragt, wenn weniger Benzin verkauft wird, sinken die staatlichen Einnahmen, weil die Steuer nicht anteilig am Preis berechnet sondern als Festpreis (Bsp. Benzin 65,45 Cent/Liter) entrichtet wird. Wenn beim Autofahren nicht gespart werden kann, werden die Menschen anderswo einsparen, was für den Staat im entsprechenden Bereich weniger Abgaben und für die Wirtschaft geringere Absatzmengen bedeutet. Daher ist der aktuelle Sprit- und Heizölpreisverfall aus gesamtstaatlicher Sicht natürlich positiv: er belässt den Menschen, die dringend auf das Auto und im Winter auf eine warme Wohnung angewiesen sind, wieder mehr Geld im Geldbeutel, das sie jetzt eher in den Konsum und in die Binnennachfrage investieren können. Dadurch wird aber auch deutlich, wie sehr das überzogene Profitstreben der Energie- und Mineralölkonzerne mit ihren milliardenschweren Gewinnen der letzten Jahre Deutschland volkswirtschaftlich geschadet hat -- nicht nur den Verbrauchern wurde zur Gewinnmaximierung Geld für die Binnennachfrage "aus der Tasche gezogen", sondern auch den Unternehmen am Standort Deutschland ein Produzieren und Vermarkten im internationalen Vergleich unnötig schwer gemacht.
Um auf Ihren Brief zurück zu kommen: Im alten Rom konnten die Cäsaren die einfachen Menschen von innen- und außenpolitischen Problemen ablenken, indem sie mit Brot und Spielen die Grundbedürfnisse der Proletarier stillten. Heute würde man dies vielleicht Populismus nennen. Ihr Vergleich mit dem alten Rom hinkt natürlich schon deshalb, weil die Informations-, Mitbestimmungs- und Kontrollmöglichkeiten der Wähler glücklicherweise heute immens größer und vielfältiger geworden sind. Die Versuchung, mit propagierten Steuersenkungen Wählerstimmen zu fangen, ist leider bei einigen Parteien immer noch ausgeprägt -- aus meiner Sicht lässt sich damit heute aber berechtigterweise keine Wahl mehr gewinnen, weil die Menschen sich nicht mehr so leicht "leimen lassen". Nur ein finanzstarker Staat kann zum Wohle der Allgemeinheit regulierend eingreifen, wenn die entfesselten Märkte und ihre hochbezahlten Manager komplett versagt haben -- dafür ist die aktuelle weltweite Krise das beste Beispiel. Gerechtigkeit und Solidarität sind nicht marktfähig -- nur eine starke, werteorientierte Politik kann den Menschen die gerechten Chancen bieten, die zu letztlich in unserem Grundgesetz ihre Grundlage haben.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen Informationen weiterhelfen konnte,
mit freundlichen Grüßen
Bettina Hagedorn