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Bettina Hagedorn
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Frage von Sonja S. •

Frage an Bettina Hagedorn von Sonja S. bezüglich Gesundheit

Mit Bezug auf den Artikel in der Berliner Zeitung vom 11.4.2021 möchte ich gerne wissen, ob Sie GEGEN die Änderung des Infektionsschutzgesetzes, welches mittlerweile vom Kabinett beschlossen wurde, stimmen werden?
In dem Artikel der Berliner Zeitung hat Jens Gnisa, Richter und ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, sein Entsetzen über diese Pläne geäußert. Dem schließe ich mich an und bitte Sie eindringlich diesem Gesetz NICHT zuzustimmen.
Mit freundlichen Grüßen
S. Schubert

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Sonja Schubert,

vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch.de vom 13. April 2021 zur geplanten 4. Änderung des Infektionsschutzgesetzes mit Bezug auf die Berliner Zeitung vom 11. April und das dort veröffentlichte Statement von Jens Gnisa als ehemaligem Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes. Sie folgen mit Ihrem Brief an mich seinem öffentlichen Aufruf an alle Bürgerinnen und Bürger, ihre jeweiligen Bundestagsabgeordneten anzuschreiben mit dem dringenden Appell, der neuen Fassung des Infektionsschutzgesetzes nicht zuzustimmen. Als Ihre zuständige SPD-Bundestagsabgeordnete für Ihren Wahlkreis antworte ich Ihnen gerne.

Vorweg: Der von Ihnen angesprochene Regierungsentwurf (19/28444) wurde erst am 13. April 2021 vom Bundeskabinett verabschiedet – also zwei Tage NACH dem Presseartikel. Ich finde es zurückhaltend formuliert unseriös – zumal von einem Richter -, wenn er sein quasi „vernichtendes Urteil“ mittels Facebook bereits veröffentlicht, BEVOR der von ihm kritisierte Regierungsentwurf überhaupt das „Licht der Welt erblickt“ hat. Gerade als Richter sollte er unsere demokratischen Prozesse soweit kennen, dass die Beratungen und Veränderungen des Regierungsentwurfes durch das Parlament ja erst noch folgen: Dabei geht es eben nicht nur um ein simples „Ja“ oder „Nein“ zum Regierungsentwurf, sondern um die sachorientierte Debatte und Veränderung durch die Abgeordneten in der folgenden Woche. Und genau dieser Prozess startet erst am Freitag, den 16. April 2021, wenn der Gesetzentwurf ab 9:00 Uhr im Bundestag öffentlich in erster Lesung beraten und in den federführenden Gesundheitsausschuss sowie parallel mitberatende Ausschüsse (u.a. für Recht und Haushalt) zur weiteren Beratung und Beschlussfassung überwiesen wird. Ich persönlich – aber auch die SPD-Bundestagsfraktion insgesamt – wollen einige wichtige Details in diesem Gesetzentwurf sehr wohl verändern: u.a. teilen wir die kritische Beurteilung zur Verfassungskonformität einer Ausgangssperre durch Jens Gnisa, wenn sich diese Ausgangssperre ALLEIN an einer Inzidenzzahl orientiert. Solche Maßnahmen dürfen darum nur erlassen werden, wenn sich eine Gefahr für die Bevölkerung durch die Corona-Pandemie auch aus anderen Kriterien ergibt (insb. der Auslastung des Gesundheitssystems). Der Inzidenzwert ist zwar ein wichtiger Indikator für die Bemessung des Infektionsgeschehens, aber er darf nicht als alleiniges Kriterium für die Notwendigkeit von oft erheblich in Grundrechte eingreifende Maßnahmen herangezogen werden – exakt DAS steht übrigens am Ende des Artikels der Berliner Zeitung vom 11. April, womit Johannes Fechner als Rechtsexperte der SPD-Bundestagsfraktion vom 1. April zitiert wird. Wir Abgeordneten werden nächste Woche selbstverständlich unterschiedliche Beurteilungen u.a. von Verfassungsjuristen anhören und das „für und wider“ sorgfältig gegeneinander abwägen, bevor dann – vermutlich am 22./23. April im Bundestag in 2./3. Lesung das Gesetz in von den Abgeordneten veränderten Form beschlossen wird. Da ich unterstelle, dass unsere zentralen Forderungen als SPD-Bundestagsfraktion dann in den Entwurf aufgenommen wurden, werde ich diesem (veränderten) Gesetz dann auch zustimmen.

Warum ist dieser Schritt überhaupt wichtig? Mit diesem Gesetz wollen wir effektiv „die dritte Welle brechen“, eine bundeseinheitliche „Notbremse“ ab u.a. einer Inzidenz von 100 im Infektionsschutzgesetz verankern, Perspektiven für den Weg raus aus dieser Pandemie verbindlich festlegen und Hilfs- und Unterstützungsprogramme – insbesondere für Familien und Kinder – aufstocken und verlängern. Diese und viele weitere Punkte zur Entlastung von Familien, Arbeitnehmerschutz oder klaren Öffnungsperspektiven wurden von der SPD-Fraktion am 13. April in einem gemeinsamen Positionspapier (DRS.: 19/455) verabschiedet. Wenn Sie mir unter bettina.hagedorn@bundestag.de Ihre Adresse zukommen lassen, werde ich Ihnen dieses Papier gerne zukommen lassen.

Eines ist mir wichtig klar zu stellen: Der Bund lebt aktiv das im Grundgesetz verankerte föderale System in unserem Land und ist sich sehr wohl der vielen Vorzüge der verfassungsrechtlich gebotenen Aufgaben- und Machtverteilung zwischen Bund und Ländern bewusst. Fakt ist allerdings, dass seit über dreizehn Monaten der globalen Corona-Pandemie in deutlich mehr als 12 Konferenzen (MPK) zwischen der Bundeskanzlerin und sechzehn Ministerpräsident*innen dort viel diskutiert und beschlossen wurde, ohne dass es einen klaren Rechtsrahmen gäbe, der in den 16 Bundesländern in vergleichbarer Weise eingehalten werden würde. Dieser „Flickenteppich“ der rechtlichen Handhabung der Corona-Maßnahmen in den 16 Bundesländern ist für die meisten Bürgerinnen und Bürger das größte Ärgernis, das zu gewaltiger Verunsicherung führt und die absolut notwendige Akzeptanz der Menschen für die Schutzmaßnahmen massiv gefährdet. Einheitliche und leicht verständliche Regelungen ab bestimmter z.B. Inzidenz-Werte, die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zentral sind und bundesweit gelten sollen, entsprechen darum nach meiner festen Überzeugung dem Wunsch der großen Mehrheit der Menschen in unserem Land.

Natürlich haben die Länder grundsätzlich die Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Infektionsschutzes inne. Daher war es auch richtig, dass in über 12 Ministerpräsidentenkonferenzen (MPK) seit März 2020 das gemeinschaftliche Handeln von Bund und Ländern abgestimmt wurde – doch leider müssen wir heute feststellen, dass die Umsetzung dieser getroffenen Regelungen in einigen Bundesländern deutlich konsequenter als in anderen umgesetzt wurde. Während die nördlichen Bundesländer wie Schleswig-Holstein, Mecklenburg Vorpommern, Hamburg, Bremen oder Niedersachen – bis auf Schleswig-Holstein alles SPD-geführte Bundesländer – die in diesen Konferenzen beschlossenen Maßnahmen eher strikt angewandt haben und den Anstieg der Corona-Infektionen im Großen und Ganzen „im Griff halten konnten“, kam es in anderen Ländern wie Bayern (Söder), Baden-Württemberg (Kretschmann), NRW (Laschet) oder Sachsen (Kretschmer) immer wieder zu unkontrollierten Hotspot-Entstehungen ohne eine konsequente Reaktion des jeweiligen Landes. Besonders erschreckend ist, dass der CDU-Ministerpräsident Hans das Saarland gleich komplett zur „Modellregion“ mit Lockerungen erklärt hat, obwohl die Zahlen der Ansteckungen – und der Mutanten – im Grenzland zu Frankreich erschreckend hoch sind. Im Norden haben SPD-Bürgermeister wie z.B. in Bremen oder Hamburg bereits bei hohen Inzidenzwerten in der jüngsten Vergangenheit nächtliche Ausgangssperren verhängt und damit gute Erfolge zum Schutz der Bevölkerung erreicht – auch in Schleswig-Holstein in Flensburg. Eine solche konsequente Politik erfordert Mut und hat leider in vielen anderen Bundesländern mit sehr hohen Infektionsquoten gefehlt.

Klar ist: Würden die 16 Bundesländer die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenzen mit der Kanzlerin, die sie selbst gefasst haben, tatsächlich konsequent umsetzen, wären die Corona-Regeln in Deutschland schon heute ziemlich einheitlich und wir würden die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes in Berlin aktuell vermutlich nicht diskutieren oder beschließen müssen. Es sind die Landesregierungen, die die Maßnahmen – von Kontaktbeschränkungen bis zu Schulen- und Geschäftsschließungen - per Rechtsverordnung in Kraft setzen müssen und die von den zentralen Grundvereinbarungen leider immer wieder abgewichen sind, was diesen ärgerlichen „Flickenteppich an Corona-Regeln“ zur Folge hatte. Für „normale“ Menschen ist dieses Regel-Chaos weder transparent oder nachvollziehbar noch bürgerfreundlich! Und schlimmer noch: Weil sich die Bund-Länder-Runde immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen „Bremsern und Dränglern“ einigen konnte, breitet sich das Virus weiter aus, während wir in anderen Ländern sehr wohl beobachten können, dass strikte Regelungen auch Erfolge für die Menschen in der Pandemie-Bekämpfung haben und teilweise die behutsame Rückkehr in ein gutes Alltagsleben wieder ermöglichen können.

Mit diesem „Flickenteppich“ muss nun Schluss sein: Kern der Ergänzungen des Infektionsschutzgesetzes soll eine bundesweit verbindliche „Notbremse“ u.a. ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 sein. Überschreitet in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus innerhalb von sieben Tagen den Schwellenwert von 100 je 100.000 Einwohnern, so gelten dort ab dem übernächsten Tag zusätzliche verhältnismäßige Maßnahmen. Sofern Maßnahmen in einem Land strenger sind als der Katalog des § 28b, so sollen diese fortgelten. Sinkt in dem entsprechenden Landkreis oder der kreisfreien Stadt die 7-Tages-Inzidenz unter den Wert von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen, so tritt dort ab dem übernächsten Tag die Notbremse AUSSER KRAFT.
Was bedeutet das? Die Länder haben weiterhin eine 100-prozentige Handhabe, solange das Infektionsgeschehen eine Inzidenz unter 100 aufweist. Gerade bei uns in Schleswig-Holstein wurde dieser Wert – zum Glück! – sehr lange nicht erreicht. Am 12. April wies Schleswig-Holstein eine landesweite Inzidenz von ca.70 auf, wobei 7 (!) von 15 Kreisen unter oder nur knapp über der Grenze von 50 waren (die Kreise am Hamburger Rand haben überwiegend etwas höhere Inzidenzen): Flensburg (FL) 54,3; Ostholstein (OH) 53,9; Dithmarschen (HEI) 53,3; Rendsburg-Eckernförde (RD) 45,6; Plön (PLO) 38,1; Nordfriesland (NF) 36,8 und Schleswig-Flensburg (SL) 28,3. Diese Entwicklungen zeigen, dass das Land Schleswig-Holstein aktuell quasi nicht oder nur sehr begrenzt von diesem Bundesgesetz überhaupt betroffen sein würde – falls in unserer Heimat hoffentlich keine völlige Trendumkehr einsetzt.
Auch dringend gewünschte Öffnungen in der (Außen-)Gastronomie oder von touristischen Unterkünften in Schleswig-Holstein würden somit nicht von den Regelungen tangiert. Wenn sich die Landesregierung von Ministerpräsident Daniel Günther dazu entscheidet und die Inzidenzen niedrig bleiben, können solche behutsamen Öffnungen sehr wohl unter den strengen Rahmenbedingungen durchgeführt werden. Ein Bundesgesetz bezogen auf die Inzidenzwerte würden nach meiner festen Überzeugung dem Tourismus im Norden eher „helfen“, weil durch bundeseinheitliche „Standards“ Touristen sich sehr verlässlich orientieren könnten, was in ihrem gewünschten Urlaubsort für sie möglich sein kann und was nicht.

Darüber hinaus setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion im laufenden Gesetzgebungsprozess zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes für folgende zentrale Punkte ein:

• Bundesverordnungen dürfen nur mit Zustimmung des Bundestages und Bundesrates erlassen werden.
• Der Inzidenzwert ist ein wichtiger Indikator für die Bemessung des Infektionsgeschehens. Er kann aber nicht als alleiniges Kriterium für die Notwendigkeit von oft erheblich in Grundrechte eingreifenden Maßnahmen herangezogen werden. Schutzmaßnahmen dürfen darum nur erlassen werden, wenn sich eine Gefahr für die Bevölkerung durch die Corona-Pandemie auch aus anderen Kriterien ergibt (insb. der Auslastung des Gesundheitssystems).
• Die einzelnen Maßnahmen müssen geeignet, erforderlich und angemessen sein. Die mit den Schutzmaßnahmen verbundenen Eingriffe in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger dürfen nicht außer Verhältnis zu dem damit bezweckten Nutzen stehen. So sollte Individualsport im Freien durchgehend weiter möglich sein.
• Die Wirkung der Maßnahmen sollte kontinuierlich und begleitend wissenschaftlich evaluiert werden, um einerseits nachzusteuern und durch transparente Wirksamkeit auch die Akzeptanz zu erhöhen.

Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie alles erdenklich Gute – und vor allem Gesundheit!

Mit freundlichen Grüßen
Bettina Hagedorn

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