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Bettina Hagedorn
SPD
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Frage von Frank M. •

Frage an Bettina Hagedorn von Frank M. bezüglich Innere Angelegenheiten

Stimmen sie für eine Entwicklung, die Bundesländer an die kurze Leine zu nehmen und dadurch den Bund mehr im Rahmen des Infektionsschutzes entscheiden zu lassen?
Infektionsschutz und Seuchenbekämpfung gehören zur Gefahrenabwehr, für die grundsätzlich die Länder die Gesetzgebungskompetenz haben.
Für „Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten“ besteht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes.

Mit schönen Grüßen
Frank Meyer

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Meyer,

vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch.de vom 09. April 2021 zur 4. Änderung des Infektionsschutzgesetzes, auf die ich Ihnen als zuständige SPD-Bundestagsabgeordnete für Ihren Wahlkreis gerne antworte. Mit diesem Gesetz wollen wir effektiv „die dritte Welle brechen“, eine bundeseinheitliche „Notbremse“ ab einer Inzidenz von 100 im Infektionsschutzgesetz verankern, Perspektiven für den Weg raus aus dieser Pandemie verbindlich festlegen und Hilfs- und Unterstützungsprogramme – insbesondere für Familien und Kinder – aufstocken und verlängern. Diese und viele weitere Punkte zur Entlastung von Familien, Arbeitnehmerschutz oder klaren Öffnungsperspektiven wurden von der SPD-Fraktion am 13. April in einem gemeinsamen Positionspapier (DRS.: 19/455) verabschiedet. Wenn Sie mir unter bettina.hagedorn@bundestag.de Ihre Adresse zukommen lassen, werde ich Ihnen dieses Papier gerne zukommen lassen. Das Bundeskabinett hat am 13. April 2021 Ergänzungen des Infektionsschutzgesetzes beschlossen – demnach soll u.a. eine bundesweit verbindliche „Notbremse“ ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 eingeführt werden. Diesen Gesetzentwurf werden wir im Parlament noch diese Woche weiter diskutieren und nach meiner Überzeugung auch in Details verändern, bevor er dann – sehr wahrscheinlich nächste Woche – in 2./3. Lesung im Bundestag beschlossen wird.

Eines zur Klarstellung vorweg: Der Bund lebt aktiv das im Grundgesetz verankerte föderale System in unserem Land und ist sich sehr wohl der vielen Vorzüge der verfassungsrechtlich gebotenen Aufgaben- und Machtverteilung zwischen Bund und Ländern bewusst. Darum haben ich und wir SPD-Bundestagsabgeordnete insgesamt keinesfalls das Ziel „die Länder an die kurze Leine nehmen“ – wie Sie es in Ihrem Brief formuliert haben. Fakt ist allerdings, dass seit über dreizehn Monaten der globalen Corona-Pandemie in deutlich mehr als 12 Konferenzen (MPK) zwischen der Bundeskanzlerin und sechzehn Ministerpräsident*innen dort viel diskutiert und beschlossen wurde, ohne dass es einen klaren Rechtsrahmen gäbe, der in den 16 Bundesländern in vergleichbarer Weise eingehalten werden würde. Dieser „Flickenteppich“ der rechtlichen Handhabung der Corona-Maßnahmen in den 16 Bundesländern ist für die meisten Bürgerinnen und Bürger das größte Ärgernis, das zu gewaltiger Verunsicherung führt und die absolut notwendige Akzeptanz der Menschen für die Schutzmaßnahmen massiv gefährdet. Einheitliche und leicht verständliche Regelungen ab bestimmter z.B. Inzidenz-Werte, die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zentral sind und bundesweit gelten sollen, entsprechen darum nach meiner festen Überzeugung dem Wunsch der großen Mehrheit der Menschen in unserem Land.

Sie haben vollkommen Recht, dass die Länder grundsätzlich die Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Infektionsschutzes innehaben. Daher war es auch richtig, dass in über 12 Ministerpräsidentenkonferenzen (MPK) seit März 2020 das gemeinschaftliche Handeln von Bund und Ländern abgestimmt wurde – doch leider müssen wir heute feststellen, dass die Umsetzung dieser getroffenen Regelungen in einigen Bundesländern deutlich konsequenter als in anderen umgesetzt wurde. Während die nördlichen Bundesländer wie Schleswig-Holstein, Mecklenburg Vorpommern, Hamburg oder Niedersachen – bis auf Schleswig-Holstein alles SPD-geführte Bundesländer – die in diesen Konferenzen beschlossenen Maßnahmen eher strikt angewandt haben und den Anstieg der Corona-Infektionen im Großen und Ganzen „im Griff halten konnten“, kam es in anderen Ländern wie Bayern (Söder), Baden-Württemberg (Kretschmann), NRW (Laschet) oder Sachsen (Kretschmer) immer wieder zu unkontrollierten Hotspot-Entstehungen ohne eine konsequente Reaktion des jeweiligen Landes. Besonders erschreckend ist, dass der CDU-Ministerpräsident Hans das Saarland gleich komplett zur „Modellregion“ mit Lockerungen erklärt hat, obwohl die Zahlen der Ansteckungen – und der Mutanten – im Grenzland zu Frankreich erschreckend hoch sind.

Klar ist: Würden die 16 Bundesländer die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenzen mit der Kanzlerin, die sie selbst gefasst haben, tatsächlich konsequent umsetzen, wären die Corona-Regeln in Deutschland schon heute ziemlich einheitlich und wir würden die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes in Berlin aktuell vermutlich nicht diskutieren oder beschließen müssen. Es sind die Landesregierungen, die die Maßnahmen – von Kontaktbeschränkungen bis zu Schulen- und Geschäftsschließungen - per Rechtsverordnung in Kraft setzen müssen und die von den zentralen Grundvereinbarungen leider immer wieder abgewichen sind, was diesen ärgerlichen „Flickenteppich an Corona-Regeln“ zur Folge hatte. Für „normale“ Menschen ist dieses Regel-Chaos weder transparent oder nachvollziehbar noch bürgerfreundlich!
Und schlimmer noch: Weil sich die Bund-Länder-Runde immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen „Bremsern und Dränglern“ einigen konnte, breitet sich das Virus weiter aus, während wir in anderen Ländern sehr wohl beobachten können, dass strikte Regelungen auch Erfolge für die Menschen in der Pandemie-Bekämpfung haben und teilweise die behutsame Rückkehr in ein normales Alltagsleben wieder ermöglichen können.

Damit muss nun Schluss sein: Das Bundeskabinett hat deshalb am 13. April 2021 Ergänzungen des Infektionsschutzgesetzes beschlossen – demnach soll eine bundesweit verbindliche Notbremse ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 eingeführt werden. Überschreitet in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARSCoV-2 je 100 000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen den Schwellenwert von 100, so gelten dort ab dem übernächsten Tag zusätzliche verhältnismäßige Maßnahmen. Sofern Maßnahmen in einem Land strenger sind als der Katalog des § 28b, so sollen diese fortgelten. Sinkt in dem entsprechenden Landkreis oder der kreisfreien Stadt die 7-Tages-Inzidenz unter den Wert von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen, so tritt dort ab dem übernächsten Tag die Notbremse AUSSER KRAFT.

Was bedeutet das? Die Länder haben weiterhin eine 100-prozentige Handhabe, solange das Infektionsgeschehen eine Inzidenz unter 100 aufweist. Gerade bei uns in Schleswig-Holstein wurde dieser Wert – zum Glück! – sehr lange nicht erreicht. Derzeit weist Schleswig-Holstein eine landesweite Inzidenz von ca.70 auf. Dazu sind (Stand 12.04.2021) 7 (!) von 15 Kreisen unter oder nur knapp über der Grenze von 50 (die Kreise am Hamburger Rand haben überwiegend etwas höhere Inzidenzen): Flensburg (FL) 54,3; Ostholstein (OH) 53,9; Dithmarschen (HEI) 53,3; Rendsburg-Eckernförde (RD) 45,6; Plön (PLO) 38,1; Nordfriesland (NF) 36,8 und Schleswig-Flensburg (SL) 28,3. Diese Entwicklungen zeigen, dass das Land Schleswig-Holstein aktuell quasi nicht oder nur sehr begrenzt von diesem Bundesgesetz betroffen sein würde – falls in unserer Heimat hoffentlich keine völlige Trendumkehr einsetzt.
Auch dringend gewünschte Öffnungen in der (Außen-)Gastronomie oder von touristischen Unterkünften in Schleswig-Holstein würden somit nicht von den Regelungen tangiert. Wenn sich die Landesregierung von Ministerpräsident Daniel Günther dazu entscheidet und die Inzidenzen niedrig bleiben, können solche behutsamen Öffnungen sehr wohl unter den strengen Rahmenbedingungen durchgeführt werden. Hingegen würden bundeseinheitliche Standards bei den Inzidenzwerten nach meiner festen Überzeugung dem Tourismus im Norden eher helfen können, weil durch eine verlässliche, bundeseinheitliche „Notbremse“ Touristen sehr verlässlich wüssten, was in ihrem gewünschten Urlaubsort für sie möglich sein kann und was nicht.

Darüber hinaus setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion im laufenden Gesetzgebungsprozess zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes für folgende zentrale Punkte ein:
• Bundesverordnungen dürfen nur mit Zustimmung des Bundestages und Bundesrates erlassen werden.
• Der Inzidenzwert ist ein wichtiger Indikator für die Bemessung des Infektionsgeschehens. Er kann aber nicht als alleiniges Kriterium für die Notwendigkeit von oft erheblich in Grundrechte eingreifenden Maßnahmen herangezogen werden. Schutzmaßnahmen dürfen darum nur erlassen werden, wenn sich eine Gefahr für die Bevölkerung durch die Corona-Pandemie auch aus anderen Kriterien ergibt (insb. der Auslastung des Gesundheitssystems).
• Die einzelnen Maßnahmen müssen geeignet, erforderlich und angemessen sein. Die mit den Schutzmaßnahmen verbundenen Eingriffe in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger dürfen nicht außer Verhältnis zu dem damit bezweckten Nutzen stehen. So sollte Individualsport im Freien durchgehend weiter möglich sein.
• Die Wirkung der Maßnahmen sollte kontinuierlich und begleitend wissenschaftlich evaluiert werden, um einerseits nachzusteuern und durch transparente Wirksamkeit auch die Akzeptanz zu erhöhen.

Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie alles erdenklich Gute – und vor allem Gesundheit!

Mit freundlichen Grüßen

Bettina Hagedorn

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