Frage an Bettina Hagedorn von Anton H. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben
Sehr geehrte Frau Hagedorn,
es ist inzwischen allgemein bekannt, dass sich viele Firmen/Konzerne, auch DAX-Firmen, durch sogenannte Briefkastenfirmen, die erkennbar Scheinfirmen sind, wie zum Beispiel Amazon (in Luxemburg), korrekter Steuerzahlung entziehen, was ja leider bisher immer noch nicht als Steuer-Verbrechen geahndet, sondern mit euphemistischen Titeln wie "Finanz- oder Steueroptimierung oder Steuervermeidung" versehen wird.
Gerechtigkeit ist doch, dass ALLE vor dem Gesetz GLEICH sind.
Sehen Sie es als gerecht und als steuergerecht an, dass einige Firmen ihre Steuern korrekt bezahlen und Firmen wie Amazon und Starbucks aber mit den staatlich erlaubten Scheinfirmen so tricksen, dass sie den Deutschen Staat und Steuerzahler um die korrekte Bezahlung von Steuern bringen? Ich finde es nicht gerecht. Ich finde es kriminell. Und ich finde es auch als strafwürdig, dass PolitikerInnen nichts Adäquates unternehmen, um diese Praxis zu beenden, oder zumindest Anstrengungen unternehmen, um sich die nicht in Deutschland bezahlten Steuern von den Steueroasen-Ländern wie zum Beisiel Luxemburg zurück zu holen.
Was genau unternehmen Sie aktuell, um diese Praxis zu beenden?
Bereiten Sie etwas vor, die entgangenen Steuern von Steueroasen-Ländern wie Luxemburg einzufordern?
Oder planen Sie etwas, im Sinne einer Gerechtigkeit vor dem Gesetz, auch Nicht-Konzernen, also zum Beispiel Hartz4-Empfängern die Möglichkeit zu geben, auch deren Finanzen zu "optimieren" und zum Beispiel bei diesen Centern in Steueroasen wie Luxemburg, wo Scheinfirmen/Briefkastenfirmen installiert werden können, auch zum Beispiel Scheinkinder zu installieren, um so zum Beispiel den Steuerfreibetrag zu erhöhen oder für diese Scheinkinder Kindergeld pus aufzahlend Hartz4 zu erhalten, damit Scheinfirmen-Konzerne nicht gegenüber anderen Leuten privilegiert sind, ihre Finanzen zu optimieren?
Irgendwie muss doch Gerechtigkeit her, wenn man glaubwürdig sein will, finden Sie nicht?
Sehr geehrter Herr Huber,
auf Ihre „Anfrage“ auf abgeordnetenwatch.de vom 14. Januar 2020 zum Thema „Gerechtigkeit“ im Hinblick auf offensichtliche Missstände im internationalen Kontext von Steuervermeidung, Gewinnverkürzung- und Verlagerung bei der Unternehmensbesteuerung will ich Ihnen gerne inhaltlich sachlich antworten.
Allerdings vermischen Sie in Ihrem Brief vollkommen verschiedene Sachverhalte (Briefkastenfirmen, Steueroasen und „Hartz4-Empfänger mit Scheinkindern“) mit haltlosen Unterstellungen („Ich finde es kriminell. Und ich finde es auch strafwürdig, dass PolitkerInnen nichts Adäquates unternehmen, um diese Praxis zu beenden, oder zumindest Anstrengungen unternehmen, um sich die nicht in Deutschland bezahlten Steuern von den Steueroasen-Ländern wie zum Beispiel Luxemburg zurück zu holen.“), so dass ich meine Zweifel habe, dass Sie überhaupt eine seriöse Antwort haben wollen. Ich ahne, dass Sie nur einen Vorwand gesucht haben, um Ihre Unterstellungen, die ich in dieser Form aus den Reden der AfD-Abgeordneten im Bundestag kenne, zu veröffentlichen.
Sie fordern Gerechtigkeit und dass ALLE vor dem Gesetz GLEICH sind. Dem stimme ich ausdrücklich zu. Deswegen hat diese Große Koalition z.B. nicht nur einen Mindestlohn für ALLE in Deutschland eingeführt, sondern auch die Überprüfung von Mindestlohn und Schwarzarbeit über den Zoll personell massiv ausgebaut, um in den Betrieben zu kontrollieren, ob dieser Mindestlohn auch tatsächlich gezahlt und Arbeitnehmer nicht illegal „schwarz“ beschäftigt werden. Wer nämlich nicht mindestens den Mindestlohn zahlt, der handelt in der Tat kriminell, „veruntreut“ Abgaben an die Sozialkassen und Steuern und verschafft sich „Vorteile“ gegenüber denjenigen Betrieben im Wettbewerb, die ehrlich und gesetzestreu handeln. Darum ist es gerecht, dass wir auf Initiative der SPD gegen solche Machenschaften nun effektiv vorgehen können. Als weiteres Beispiel haben wir als Sozialdemokraten z.B. die Gesetze zum Schutz der Paketboten oder der Beschäftigten in der Fleischindustrie in der Regierung massiv verschärft, damit bisherige unerträgliche Unternehmenspraktiken in „gesetzlichen Grauzonen“ auf dem Rücken tausender Beschäftigter, die massiv ausgebeutet worden sind, endlich geahndet, abgestellt und bestraft werden können. Wer jetzt diese Arbeitsschutz-Gesetze missachtet, der ist eindeutig kriminell. Denn „Kriminell“ und „strafwürdig“ ist es, wenn Unternehmen oder Personen nachweislich gegen geltendes Recht verstoßen. Das trifft auf die von Ihnen genannten Beispiele allerdings überwiegend nicht zu.
Zu Ihrem Satz: „Und ich finde es auch strafwürdig, dass PolitkerInnen […] nicht zumindest Anstrengungen unternehmen, um sich die nicht in Deutschland bezahlten Steuern von den Steueroasen-Ländern wie zum Beispiel Luxemburg zurück zu holen.“ Der Frage, ob entgangene Steuern legal zurückgefordert werden können, hat sich die Europäische Kommission längst angenommen: Viele Weltkonzerne mit Milliardenumsätzen – Facebook, Google, Apple – haben Niederlassungen in Irland, wo von ihnen über Jahre relativ wenig Steuern verlangt wurden. Die EU-Kommission hält diese Praxis – aus meiner Sicht zu Recht - für staatliche Beihilfe, die nach dem Recht der EU verboten ist, und stufte 2016 die Gewinne des Konzerns Apple außerhalb von Amerika als ‚durch Umbuchungen klein gerechnet‘ ein. Die EU-Kommission verlangte daher von Irland, Steuerzahlungen vom US-Konzern Apple für den Zeitraum von 2003 bis 2014 in Höhe von 13 Milliarden Euro plus Zinsen einzufordern. Apple zog ebenso wie Irland vor Gericht, um die EU-Forderung anzufechten. Leider mit Erfolg: Im Oktober 2020 fällte der Europäische Gerichtshof sein Urteil, wonach der Konzern die 13 Milliarden Euro leider nicht zahlen muss. Die Richter in Luxemburg urteilten, dass die EU-Kommission nicht habe nachweisen können, dass die Steuervereinbarungen von Apple in Irland aus den Jahren 1991 und 2007 eine ungerechtfertigte staatliche Beihilfe darstellten. Dagegen ist die EU-Kommission jetzt vor dem obersten Gericht der Europäischen Union in Revision gegangen und ich „drücke die Daumen“ für ein richtungsweisendes Urteil gegen Apple und Irland. DAS wäre gerecht. Man sieht also, wie schwierig es in der Praxis ist, „nicht in Deutschland bezahlte Steuern von den Steueroasen-Ländern wie zum Beispiel Luxemburg (oder Irland) zurück zu holen.“
Sie benutzen in Ihren Fragen „Dax-Firmen/Konzerne“ und deren „Briefkastenfirmen, die erkennbar Scheinfirmen sind“ Schlagworte, die aus dem internationalen Skandal der „Panama-Papers“ und „Paradise Papers“ bekannt sind. Dazu hat es im Deutschen Bundestag einen umfangreichen Untersuchungsausschuss gegeben, denn diese Vorgänge waren in der Tat von krimineller Energie betrieben und wurden parlamentarisch aufgeklärt. Allerdings hatten diese Vorgänge absolut gar nichts mit den von Ihnen in diesem Zusammenhang genannten Firmen Amazon und Starbucks zu tun.
Ihre aufgezählten Beispiele wie Amazon oder Starbucks stehen für international tätige Unternehmen, die sich im Bereich der digitalen Wirtschaft und nationalen Steuerregelungen „Graubereiche“ zu nutzen machen, um Steuern zu umgehen und Gewinne zu maximieren. Ich finde diese Praktiken komplett inakzeptabel und engagiere mich mit SPD-Bundesfinanzminister Olaf Scholz in Europa und auf OECD-Ebene (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) dafür, diese skandalösen Steuerumgehungspraktiken rechtlich „auszutrocknen“. Denn leider ist es zurzeit – siehe das Beispiel mit Apple und Irland – NICHT KRIMINELL, was diese Konzerne tun. Ziel ist es darum, endlich einen rechtlichen Rahmen zur Mindestbesteuerung international zu vereinbaren, der über Europas Grenzen hinweg auch mit Staaten wie den USA, Australien oder Japan vereinbart wird, um einen größtmöglichen Geltungsbereich für neue internationale Steuerregelungen zu erreichen. Das ist „das Bohren dicker Bretter“, aber es ist realistisch, dass wir auf OECD-Ebene nach jahrelangen Verhandlungen noch 2021 zu politischen Vereinbarungen kommen, die diesen „Steuervermeidungssumpf“ der international tätigen Großkonzerne wirksam bekämpft.
Natürlich hat Olaf Scholz auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020 intensiv dafür genutzt, um diesen internationalen Prozess weiter voran zu treiben. In meiner Funktion als Parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium für Haushalt und Europa war ich dabei eng eingebunden. Auch innerhalb der Europäischen Union laufen parallel Verhandlungen, um die Steuersysteme der Mitgliedstaaten an das digitale Zeitalter anzupassen und international tätige Unternehmen in Europa fair zu besteuern. Nationale Alleingänge helfen bei diesem Thema absolut gar nicht, denn sie führen nur zu einer weiteren Zersplitterung der internationalen Steuerlandschaft, was leider stets weitere Steuerschlupflöcher ermöglicht.
Das Problem ist: Digitale Unternehmen können ihre Produkte grenzüberschreitend anbieten und Gewinne erzielen, ohne im betreffenden Land eine klassische Betriebsstätte zu unterhalten, an der sich üblicherweise bei uns die Besteuerung orientiert. Außerdem werden in unserer heutigen Wirtschaft schwer zu beziffernde immaterielle Vermögenswerte – nämlich Personen-Daten und Dienstleistungen - zum wichtigsten und wertvollsten Handelsgut. Meistens werden deren Erträge allerdings im Steuerrecht nicht erfasst und sie bleiben so unbesteuert. Für dieses Aufkommen bestimmter digitaler Tätigkeiten und neuer Geschäftsmodelle sind die bestehenden Steuersysteme überwiegend ungeeignet.
Mit dem „BEPS-Projekt“, dem sich alle Staaten der OECD und der G20 sowie Entwicklungs- und Schwellenländer angeschlossen haben – mittlerweile 137 Staaten! –, konnten wichtige „Leitplanken“ für die Bekämpfung von Steuervermeidung fest verankert werden. BEPS steht für „Base Erosion and Profit Shifting“ - auf Deutsch etwa Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung - und wurde mit dem Ziel initiiert, gegen den schädlichen Steuerwettbewerb der Staaten und aggressive Steuerplanungen international tätiger Konzerne vorzugehen. Dafür wurden seit 2014 konkrete Empfehlungen zu 15 Aktionspunkten in dieser Staatengemeinschaft erarbeitet, womit neue Standards als „Meilenstein für die internationale Steuerpolitik“ gesetzt werden.
Darüber hinaus arbeitet die OECD im Auftrag der G20 intensiv an Lösungen für die angemessene Besteuerung von Unternehmen der digitalisierten Wirtschaft, wozu ein Arbeitsprogramm mit einem sog. Zwei-Säulen-Konzept entwickelt wurde. Die erste Säule sieht vor, dass die Besteuerung stärker an die Wertschöpfung in digitalisierten und international verflochtenen Unternehmen angepasst und damit Besteuerungsrechte zwischen den Staaten fairer verteilt werden sollen. Im Rahmen der zweiten Säule soll eine globale effektive Mindestbesteuerung geschaffen werden, die der aggressiven Verlagerung von Gewinnen multinationaler Unternehmen durch die Sicherstellung eines Mindestbesteuerungsniveaus die Grundlage entziehen soll. Durch das Zusammenwirken beider Säulen soll die Besteuerung international agierender Konzerne fairer gestaltet werden, indem aus steuerrechtlicher Sicht gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen hergestellt werden und der durch Verlagerung von Gewinnen getriebenen Steuerflucht ein Riegel vorgeschoben wird.
Beim virtuellen Treffen am 14. Oktober 2020 haben die G20-Finanzministerinnen und -minister sogenannte Blaupausen zu beiden Säulen, die den weiteren Arbeitsweg ebnen sollen, gebilligt; dies wurde auch von den G20-Staats- und Regierungschefs im November 2020 bestätigt. Ein Konsens zur Säule 1 (Umverteilung von Besteuerungsrechten) ist notwendig, da anderenfalls mit einer Zunahme unabgestimmter nationaler Maßnahmen (Digitalsteuern) zu rechnen wäre, die zu mehr Rechtsunsicherheit führen würden. Ein Konsens zur Säule 2 (effektive Mindestbesteuerung) ist erforderlich, um die verbliebenen BEPS-Risiken dauerhaft und grundlegend zu bekämpfen.
Olaf Scholz hat im Zuge der deutschen EU-Ratspräsidentschaft dazu umfassende Ratsschlussfolgerungen zur Steuerpolitik verhandelt, die sich auch mit der internationalen Besteuerung beschäftigen. So ist es gelungen, eine einheitliche Position aller EU-Mitgliedstaaten zu vereinbaren, die in den „Schlussfolgerungen des Rates zu einer fairen und wirksamen Besteuerung in Zeiten der Erholung von der Krise, zu steuerlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung und zu verantwortungsvollem Handeln im Steuerbereich in der EU und darüber hinaus“ festgehalten ist.
Ein gemeinsames Vorgehen in Europa in der Steuerpolitik – auch international – wäre ein größerer Fortschritt im Sinne von mehr Steuergerechtigkeit als jede nationale Gesetzgebung erreichen könnte.
Mit freundlichen Grüßen
Bettina Hagedorn