Frage an Bettina Hagedorn von Angelika S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Hagedorn,
welche Bedeutung hat für Sie die Tatsache, daß eine deutliche Mehrheit der Deutschen die Beteiligung der Bundeswehr am Afghanistankrieg ablehnt? Möchten auch Sie durch eine Manipulation bei der nächsten Mandatsverlängerung(statt 12 dann 15 - 18 Monate) erreichen, daß Sie im Bundestagswahlkampf nicht Ihr Abstimmungsverhalten erklären müssen?
Krieg ist die Folge des Versagens der Politik und verschlimmert alles. Haben die Amerikaner mit ihrer einseitigen Nahostpolitik(ermöglicht Israel die Besiedelung des Westjordanlandes) den Terrorismus mitverursacht?
Wenn - wie zu erwarten - ein dauerhafter militärischer Sieg ausbleibt: Wie lange sollte nach Ihrer Meinung die Bundeswehr in Afghanistan bleiben?
Mit freundlichen Grüßen
Angelika Scheer
Sehr geehrte Frau Scheer,
ich danke Ihnen für Ihre Anfrage zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr. Meine Entscheidung für einen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan habe ich gegenüber dem Wähler zu verantworten. Dazu bin ich bereit. Sicherlich stimmt mein Abstimmungsverhalten dabei nicht immer mit der Meinung aller Bürger überein. Im Bundestag ist aber über alle Fraktionsgrenzen unumstritten, dass jede Abstimmung über Auslandseinsätze im Parlament eine reine Gewissensentscheidung ist, die jeder Abgeordnete für sich selbst treffen muss. In ihren Entscheidungen unterliegen die Abgeordneten zudem nur ihrem Gewissen und sind nicht an Weisungen und Aufträge gebunden (Grundgesetz Artikel 38), auch nicht an Meinungsumfragen! So bin ich auch nicht dem knappen Mehrheitsbeschluss des SPD-Kreisparteitages in Ostholstein gefolgt, der sich vor gut einem Jahr gegen den Libanon-Einsatz ausgesprochen hat. Auch gegenüber den Delegierten meiner Partei habe ich auf die Freiheit einer Gewissensentscheidung von Abgeordneten gepocht.
Ich kann Ihnen versichern, dass ich bei meiner Entscheidung vor einem "Ja" zu Auslandseinsätzen mein Gewissen stets vor allem darauf prüfe, ob ich meine Entscheidung vor den Soldatinnen und Soldaten, die in den Einsatz gehen, verantworten kann, und vor ihren Lebenspartnern, Kindern und Eltern. Und ich frage mein Gewissen auch, ob ich ein "Nein" eigentlich verantworten könnte gegenüber den in diesen Krisengebieten auch eingesetzten deutschen zivilen Sicherheitskräften und Entwicklungshelfern und gegenüber der heimischen Bevölkerung, die sich in großer Mehrheit nach Stabilität und einer Zukunftsperspektive sehnt, die sie beim Abzug der internationalen Soldaten mit Sicherheit nicht hätte.
In Ihrer Anfrage erheben Sie den Vorwurf, dass die Festlegung der Mandatsdauer aus wahltaktischen Gründen übermäßig verlängert würde. Das Parlament ist in seiner Entscheidung, wie lange es ein Mandat erteilt grundsätzlich frei. Eine mögliche nächste Mandatsverlängerung würde im Herbst 2008 notwendig. Bisher gibt es noch keinerlei Beschluss, welche Dauer eine mögliche Mandatsverlängerung haben könnte. Die Annahme, dass ein mögliches zukünftiges Mandat zwischen 15 und 18 Monaten läge, ist damit rein spekulativ. In der Vergangenheit habe ich mich (auch in Wahlkampfzeiten) nie gescheut, den Wählerinnen und Wählern mein Abstimmungsverhalten und dessen Hindergründe offen zu legen und mich der Kritik zu stellen. Ich habe beispielsweise im April und Oktober 2007 Diskussionsveranstaltungen in meinem Wahlkreis durchgeführt, bei denen ich u.a. mit dem Regionalleiter der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Afghanistan, Hans-Herrmann Dube, und interessierten Bürgerinnen und Bürgern die Mission in Afghanistan erläutert habe. Im September 2008 plane ich erneut eine Afghanistan-Veranstaltung in meinem Wahlkreis, auf der ich Sie, Frau Scheer, und alle interessierten Bürgerinnen und Bürger zu einem Austausch der Argumente willkommen heiße.
Ich bin sehr froh darüber, dass wir in Deutschland eine "Parlamentsarmee" haben und dass deutsche Soldaten nur dann in einen Auslandseinsatz geschickt werden können, wenn der Deutsche Bundestag dieses mit Mehrheit (in namentlicher Abstimmung) beschließt. Alle Auslandseinsätze, die der Deutsche Bundestag bisher beschlossen hat, wurden von überwältigenden Mehrheiten in einem sehr stark parteiübergreifenden Konsens getragen. Für die Soldaten ist es in ihrem verantwortungsvollen und gefährlichen Auslandseinsatz ein wichtiger Rückhalt, dass Parlament und breite Bevölkerungsschichten hinter ihnen stehen. Den Abgeordneten stehen hervorragende, differenzierte Informationsquellen zur Verfügung, die alle Abgeordneten ernsthaft zur Entscheidungsfindung nutzen. Niemand macht sich die Entscheidung leicht. Aber es liegt in unserem eigenen Interesse, dass Afghanistan nicht wieder die Basis und Ausbildungsstätte für militante, gewaltbereite Fanatiker wird. Dies hätte verheerende Auswirkungen nicht nur auf die gesamte Region, sondern auch auf die Sicherheit bei uns. Ganz klar ist: Wir haben für Afghanistan eine gemeinsame Verantwortung.
Im Mai 2006 war ich selbst in Afghanistan – ich kann Ihnen versichern, dass eine solche Reise (ebenso wie meine Reisen 2004 und 2005 nach Bosnien und in den Kosovo) den Blickwinkel auf die Probleme in diesen Krisengebieten, auf die Lebenslage der Menschen dort und auf das, was unsere Soldaten, zivilen Sicherheitskräfte und Aufbauhelfer dort leisten, erheblich verändert. Ich habe ungeheuren Respekt vor deren Arbeit und bin fest davon überzeugt, dass ohne diesen Einsatz die Völker in diesen Ländern keine Perspektive auf eine positive Entwicklung hätten. Von vielen Bundestagsabgeordneten weiß ich, dass sie nach persönlichen Besuchen in Afghanistan zu veränderten Sichtweisen gekommen und fest überzeugt sind, dass ein „Nein“ zur Verlängerung der Mandate fatale Folgen hätte. Ohne Stabilität und Schutz durch die Bundeswehr ist eine wirkungsvolle Arbeit der humanitären Organisationen nicht möglich. Militärische und humanitäre Präsenz in Afghanistan bedingen einander solange, bis Afghanistan selbstständig Sicherheit und Stabilität für seine Menschen gewährleisten kann. Ein Wegfall des militärischen Schutzes würde das zivile Engagement ausländischer humanitärer Organisationen nahezu unmöglich machen und alle bisherigen Erfolge und positiven Veränderungen ins Gegenteil verkehren. Ziviles Engagement braucht einen langen Zeitraum, um seine Wirkung entfalten zu können, und das Ende des deutschen Mandates in Afghanistan würde nicht nur diese Arbeit zunichte machen, sondern auch ein Vakuum im Norden Afghanistans erzeugen.
Auch hier in Deutschland hatte ich bei verschiedenen Gesprächen mit Soldaten aus meinem Wahlkreis oft Gelegenheit, meine Entscheidungen intensiv zu prüfen. Viele der Soldaten sind im Dezember 2007 erneut zu einem Einsatz nach Afghanistan aufgebrochen, viele andere waren 2006 in Kunduz und Kabul und dort selbst Ziel von Attentaten und in kämpferische Auseinandersetzungen mit den Taliban im vermeintlich „sicheren Norden“ verstrickt. Die Meinung war einhellig: Eine deutsche Beteiligung ist berechtigt und erhöht die Sicherheit.
Ein deutsches "Nein" wäre das Ende unserer Mitverantwortung und Mitsprache im internationalen Engagement und ein verheerendes Signal mangelnder Solidarität an Afghanistan und alle dort engagierten Staaten. Die gezielten Terrorakte wären als Einschüchterung erfolgreich gewesen, die Terroristen hätten ihr Ziel erreicht, Chaos und noch mehr Gewalt statt Sicherheit wären die Folge – das ist unverantwortlich! Eine verantwortungsbewusste, nachhaltige Arbeit erfordert einen "langen Atem". Die Fortschritte Afghanistans sind beobachtbar. Die zukünftige Entwicklung des Landes kann ich nicht vorhersehen, so dass ich mich auch nicht auf die Dauer des Verbleibs der Bundeswehr in Afghanistan festlegen kann und will.
Militärische Mittel sind beim Aufbau Afghanistans nur ein – allerdings unerlässliches – Element, das von polizeilichen, politischen, entwicklungspolitischen und zivilgesellschaftlichen Maßnahmen begleitet werden muss. Sich nur auf friedliche Mittel zu verlassen, wäre naiv und gefährlich. Neutralität und Nichteinmischung mögen kurzfristig beruhigen – auf lange Sicht jedoch bringen wir uns nur noch mehr in Gefahr, wenn wir jetzt die gemeinsam mit anderen Staaten vereinbarte Strategie verlassen, geschlossene Vereinbarungen brechen und uns mit den Soldaten zurückziehen, anstatt der Ausbreitung des Terrorismus Einhalt zu gebieten und beim Wiederaufbau des Landes zu helfen. Das sind wir nicht nur uns, sondern nicht zuletzt auch der Bevölkerung Afghanistans schuldig.
Auf die Frage, was die Ursache des Terrorismus (ob in Afghanistan oder im Nahen Osten) ist, gibt es viele Antworten, von denen keine für sich allein gesehen das Problem auch nur annähernd erklärt. Ich denke, dass es zur Lösung des Problems wenig Sinn macht, einen aus historischer Perspektive Schuldigen zu suchen. Vielmehr wollen wir dem Terrorismus pragmatisch begegnen. Der beste Weg dazu ist es den Menschen in den betroffenen Ländern eine Perspektive zu geben. Wenn wir es erreichen, dass die Menschen in Frieden und Freiheit leben können, entziehen wir auch dem Terrorismus den Nährboden. Mit dem deutschen Einsatz schaffen wir die Rahmenbedingungen, um eine Perspektive zu schaffen und Afghanistan voranzubringen, bis es auf eigenen Füßen stehen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Bettina Hagedorn