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Bettina Hagedorn
SPD
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Frage von Thorsten D. •

Frage an Bettina Hagedorn von Thorsten D. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Hagedorn !

Ihre Entscheidung wird Deutschland verändern! Es ist egal ob Sie persönlich für oder gegen die kombinierte Mandatsverlängerung, ISAF inklusive TORNADOS stimmen. Es sollte jedoch Ihre Entscheidung sein und nicht die der Linie. Sie allein müssen Ihren Schritt gegenüber Ihren Kindern und Kindeskindern sowie den Wählern verantworten. Das Bundeskabinett hat sich durch die Zusammenlegung für den Krieg und gegen das Volk entschieden.
Wollen Sie das auch ? Wollen Sie wirklich den Kriegstreibern folgen und Leben gefährden ?

Thorsten Dickhuth

Portrait von Bettina Hagedorn
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Dickhuth, sehr geehrter Herr Reth,

Ihre Anfragen zu meinem Abstimmungsverhalten am 12.10.07 im Deutschen Bundestag zur Verlängerung des Einsatzes deutscher Soldaten und Tornados in Afghanistan (Ihre drei Anfragen dazu vom 8.9.07, vom 8. und 9.10.07) beantworte ich im Folgenden gemeinsam. Gleichzeitig bekenne ich, dass es mir Leid tut, die Frage vom 8. September von Herrn Reth nicht früher beantwortet zu haben – als Hauptberichterstatterin für das Innenministerium im Haushaltsausschuss bitte ich allerdings um Verständnis, dass ich seit Anfang September mitten in sehr wichtigen, zeitraubenden Haushaltsgesprächen zu vielen komplexen und strittigen Themenfeldern stecke, die bei meiner Mandatswahrnehmung in diesen Wochen Priorität haben müssen.
Vorab zu Herrn Reth: Sie bezichtigen in Ihrer Frage vom 8.10. deutsche Abgeordnete und Piloten der "Unterstützung von Kriegsverbrechen in Afghanistan". Ich weise diese Unterstellung entschieden und empört zurück. Ihre Frage zur Haltung der Kirchen müssen Sie mit Vertretern der Kirche diskutieren - Ihre hergestellte Verknüpfung mit der Kirchensteuer in diesem Zusammenhang ist allerdings aus meiner Sicht derartig absurd, dass es nicht lohnt, darauf überhaupt einzugehen.

Auch zu der Frage von Herrn Dickhuth möchte ich eine Vorbemerkung machen: Sie bezichtigen das Bundeskabinett mit seiner Vorlage "für den Krieg und gegen das Volk entschieden" zu haben, Sie bezeichnen unsere demokratisch gewählte Regierung in Deutschland als "Kriegstreiber", die "Leben gefährden" – diese Sichtweise empfinde ich nicht nur als unakzeptabel respektlos gegenüber unserer demokratisch gewählten Regierung, sondern auch als realitätsfern, dogmatisch – ja, niveaulos - angesichts der schwierigen Lage in Afghanistan: einfache Lösungen gibt es nicht!

Sie erinnern mich daran, dass ich meine Entscheidung am 12.10. gegenüber meinen "Kindern und Kindeskindern sowie den Wählern" zu verantworten habe – das ist absolut wahr. Allerdings prüfe ich vor einem "Ja" zu Auslandseinsätzen mein Gewissen stets vor allem darauf, ob ich meine Entscheidung vor den Soldatinnen und Soldaten, die in den Einsatz gehen, verantworten kann, und vor ihren Lebenspartnern, Kindern und Eltern. Und ich frage mein Gewissen auch, ob ich ein "Nein" eigentlich verantworten könnte gegenüber den in diesen Krisengebieten auch eingesetzten deutschen zivilen Sicherheitskräften und Entwicklungshelfern und gegenüber der heimischen Bevölkerung, die sich in großer Mehrheit nach Stabilität und einer Zukunftsperspektive sehnt, die sie beim Abzug der internationalen Soldaten mit Sicherheit nicht hätte. Es ist gewiss nicht so – wie Sie beide zu unterstellen scheinen – dass jede(r) Abgeordnete(r) bei einer Gewissensentscheidung quasi automatisch mit "Nein" stimmt. Ich werde am Freitag, d. 12.10. nach reiflicher Prüfung meines Gewissens aus ganzer Überzeugung dem Afghanistan- Einsatz mit dem Mandat für ISAF und für die Tornados zustimmen. Das gleiche werden übrigens – wie öffentlich angekündigt – auch viele Abgeordnete der Grünen tun, die damit ihrem Gewissen und nicht ihrem Parteitagsbeschluss folgen. Auch ich bin vor gut einem Jahr dem knappen Mehrheitsbeschluss des SPD-Kreisparteitages in Ostholstein gegen den Libanon-Einsatz nicht gefolgt, und habe den Delegierten gegenüber auf die Freiheit einer Gewissensentscheidung von Abgeordneten gepocht.

Ich bin sehr froh darüber, dass wir in Deutschland eine "Parlamentsarmee" haben und dass deutsche Soldaten nur dann für maximal 1 Jahr in einen Auslandseinsatz geschickt werden können, wenn der Deutsche Bundestag dieses mit Mehrheit (in namentlicher Abstimmung) beschließt. Sie beide scheinen zu verkennen, dass alle Auslandseinsätze, die bisher im Deutschen Bundestag beschlossen wurden, von überwältigenden Mehrheiten in einem sehr stark parteiübergreifenden Konsens getragen wurden. Für die Soldaten ist es in ihrem verantwortungsvollen und gefährlichen Auslandseinsatz ein wichtiger Rückhalt, dass Parlament und breite Bevölkerungsschichten hinter ihnen stehen. Seit Wochen und Monaten ist die Lage in Afghanistan im Brennpunkt der politischen Debatten in Berlin – uns Abgeordneten stehen hervorragende, differenzierte Informationsquellen zur Verfügung, die alle Abgeordneten ernsthaft zur Entscheidungsfindung nutzen. Niemand macht sich diese Entscheidung leicht. Darüber hinaus war ich im Mai 2006 selbst in Afghanistan und versuche Anfang 2008 erneut die in Afghanistan im Einsatz befindlichen 104 Soldaten aus Eutin zu besuchen – ich kann Ihnen versichern, dass eine solche Reise (ebenso wie meine Reisen 2004 und 2005 nach Bosnien und in den Kosovo) den Blickwinkel auf die Probleme in diesen Krisengebieten, auf die Lebenslage der Menschen dort und auf das, was unsere Soldaten, zivilen Sicherheitskräfte und Aufbauhelfer dort leisten, erheblich verändert. Ich habe ungeheuren Respekt vor deren Arbeit und bin fest davon überzeugt, dass ohne diesen Einsatz die Völker in diesen Ländern keine Perspektive auf eine positive Entwicklung hätten. Von vielen Bundestagsabgeordneten weiß ich, dass sie nach persönlichen Besuchen in Afghanistan zu veränderten Sichtweisen gekommen und fest überzeugt sind, dass ein „Nein“ zur Verlängerung der Mandate fatale Folgen hätte. Ohne Stabilität und Schutz durch die Bundeswehr ist eine wirkungsvolle Arbeit der humanitären Organisationen nicht möglich. Militärische und humanitäre Präsenz in Afghanistan bedingen einander solange, bis Afghanistan selbstständig Sicherheit und Stabilität für seine Menschen gewährleisten kann. Ein Wegfall des militärischen Schutzes würde das zivile Engagement ausländischer humanitärer Organisationen nahezu unmöglich machen und alle bisherigen Erfolge und positiven Veränderungen ins Gegenteil verkehren. Ziviles Engagement braucht einen langen Zeitraum, um seine Wirkung entfalten zu können und das Ende des deutschen Mandates in Afghanistan würde nicht nur diese Arbeit zunichte machen, sondern auch ein Vakuum im Norden Afghanistans erzeugen. Ein deutsches "Nein" wäre das Ende unserer Mitverantwortung und Mitsprache im internationalen Engagement, ein verheerendes Signal mangelnder Solidarität auch an andere Staaten. Die gezielten Terrorakte wären als Einschüchterung erfolgreich gewesen, die Terroristen hätten ihr Ziel erreicht, Chaos und noch mehr Gewalt statt Sicherheit wären die Folge – das ist unverantwortlich! Deutschland hat im Norden Afghanistans viele Erfolge aufweisen, was auch von den Menschen in Afghanistan sehr positiv angenommen wird. Diese verantwortungsbewusste, nachhaltige Arbeit erfordert einen "langen Atem", sie geschieht gemeinsam mit den Menschen in Afghanistan, in Kenntnis und Respekt ihrer Kultur und Geschichte des Landes.

Im Hinblick auf den Süden des Landes und den Tornado-Einsatz beklagen Sie, Herr Reth, zu Recht die zivilen Opfer, die es durch Bombenangriffe – wie leider in jedem Krieg – gibt. Solche Vorkommnisse sind schrecklich und zerstören immer ein Stück des mühsam gewonnenen Vertrauens der afghanischen Bevölkerung in die internationalen Truppen und Hilfsorganisationen. Ich kann Ihre Argumentation gegen die Tornados in diesem Zusammenhang allerdings nicht nachvollziehen, denn durch detaillierte Aufklärungsfotos können Militäreinsätze genauer geplant werden. Insofern dient eine gute Luftaufklärung dem Schutz der Zivilbevölkerung und soll die Zahl ziviler Opfer eben gerade verringern helfen. Ihre Frage, ob deutsche Piloten das Recht auf Befehlsverweigerung hätten erübrigt sich insofern, da kein deutscher Soldat gegen seinen Willen in den Auslandseinsatz geschickt wird. Eine von Ihnen unterstellte "moralische Pflicht zur Befehlsverweigerung" halte ich für indiskutabel – die Piloten leisten ihren Dienst im Auftrag der breiten Mehrheit des deutschen demokratisch gewählten Parlaments.

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