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Bettina Hagedorn
SPD
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Frage von Mario S. •

Frage an Bettina Hagedorn von Mario S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte/r Abgeordnete/r,

ich schreibe gerade meine Bachelorarbeit zu den Jamaika-Sondierungen 2017. Um möglichst viele Eindrücke, Hintergründe und Ideen zu sammeln, habe ich mich entschlossen, Sie als gewählte/r Abgeordnete/r anzuschreiben. Dabei interessiert mich vor allem Ihre Meinung zu den gescheiterten Verhandlungen. Was könnte der Grund für das Scheitern sein? Welche Folgen machen Sie an dem Scheitern fest? Wie haben Sie die Verhandlungen und das Ergebnis verfolgt?
Welche Motivation gibt/gäbe es für Ihre Partei, in eine Regierung einzutreten und wie können Parteien wieder stärker die Gunst des Wählers erlangen? Welchen und wie viel Einfluss haben politische Parteien in Deutschland in der heutigen Zeit, auch im Vergleich zu anderen (europäischen) Ländern?
Abschließend würde mich noch interessieren, ob und inwiefern unser politisches (Wahl-)System in Zusammenhang mit der Thematik steht und wie es reformiert werden könnte.

Über Ihr Mitwirken würde ich mich sehr freuen. Falls Sie weitere Informationen (Links, Berichte etc.), wäre ich Ihnen sehr dankbar. Vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen
M. S.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Schmitz,

Vielen Dank für Ihre Frage vom 16. April 2019 auf Abgeordnetenwatch. Sie erkundigen sich in dieser insbesondere nach meiner Meinung zu den gescheiterten „Jamaika“-Verhandlungen zwischen CDU/CSU, den Grünen und der FDP nach der Bundestagswahl 2017.

Die Große Koalition der Jahre 2013-2017 hat zwar eine für das Land erfolgreiche Arbeit gemacht, ist aber dennoch dafür mit dem Verlust von knapp 14 Prozentpunkten von den Wählern bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 abgestraft worden – die Verluste der CDU/CSU waren ja sogar noch größer als die der SPD und das zeigt vor allem: die Wähler wollten kein „weiter so“. Wir Sozialdemokraten haben angesichts dessen klar und deutlich gesagt, dass wir für eine weitere Große Koalition nicht zur Verfügung stehen. Und das war nach meiner festen Überzeugung auch richtig. Am 20. November 2017 ist die von der Kanzlerin, vielen CDU-, FDP- und Grünen-Protagonisten sowie der breiten Presselandschaft schon im Wahlkampf als „Zukunftsprojekt“ gefeierte Jamaika-Koalition jedoch geplatzt und damit war auch Angela Merkel mit ihrem Auftrag, eine neue Regierung zu bilden, vorläufig gescheitert.

Martin Schulz und Andrea Nahles haben direkt nach der Wahl in Regionalkonferenzen mit tausenden Parteimitgliedern über die Situation diskutiert und bundesweit wurde innerhalb der SPD über das Für und Wider einer erneuten Großen Koalition debattiert. Ich persönlich habe, auch in meiner damaligen Funktion als stellvertretende Landesvorsitzende der SPD Schleswig-Holstein und deren Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl, auf zahlreichen Veranstaltungen für eine erneute Große Koalition argumentiert. Fairness und Transparenz zeichneten diese Diskussionen aus, schließlich bestand das Podium immer aus Vertretern beider Seiten mit gleicher Redezeit und einer anschließend offenen Diskussion mit dem Publikum – so am 17. Februar 2018 bei der SPD-Mitgliederkonferenz in Lübeck, am 20. Februar 2018 beim Berliner SPD-Ortsverein Friedenau, am 22. Februar 2018 ebenfalls in Berlin bei der SPD in Schöne-berg und am 24. Februar 2018 zunächst bei der SPD-Mitgliederkonferenz in Flensburg sowie anschließend bei der Mitgliederversammlung der SPD Bad Segeberg.

Hinzu kommen vier Mitgliederkonferenzen, die ich gemeinsam mit „meinem“ Heimat-Kreisverband Ostholstein durchgeführt habe. Gegen die Neuauflage der Großen Koalition hat dort stets der SPD-Kreisvorsitzende und ehemalige Juso-Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein, Niclas Dürbrook, gesprochen.

In der ersten Mitgliederkonferenz am 30. November 2017 in Eutin haben wir zunächst die Alternativen zu einer Neuwahl (wie z.B. Tolerierung einer Minderheitsregierung „Kenia“-Koalition“), die Verfassungslage und die Rolle des Bundespräsidenten erörtert. Denn eines war klar: Für uns alle war diese Situation so nicht vorhersehbar, wir hatten nicht damit gerechnet, dass die „Jamaika“-Koalitionsverhandlungen in so einem Debakel enden. In eben dieser Situation habe ich einen öffentlichen Brief zu der Lage verfasst, der auf meiner Homepage abrufbar ist: https://www.bettina-hagedorn.de/dl/17-11-28_Brief_Lage_nach_der_Wahl.pdf

Ganz nach dem von Willy Brandt geprägten Satz „Erst kommt das Land – dann die Partei!“ – den wohl keine Partei in den letzten Jahrzehnten so verinnerlicht und unter Beweis gestellt wie die SPD – hat der damalige SPD-Chef Martin Schulz am 15.12.2017 verkündet, dass sich der Parteivorstand für ergebnisoffene Sondierungsgespräche mit der CDU/CSU ausgesprochen hat. Und das war auch richtig so, Bundespräsident Steinmeier hat es auf den Punkt gebracht: „Wir stehen jetzt vor einer Situation, die es in der Geschichte der BRD, also seit fast 70 Jahren noch nicht gegeben hat“. Die SPD hat sich dieser Situation angenommen!

Übrigens: Bereits zu diesem Zeitpunkt war klar, dass wir in der SPD – im klaren Kontrast zur Union – den umstrittenen Weg zu einer neuen Großen Koalition wenn dann nur mit Unterstützung und unter Rückkopplung mit der SPD-Basis gehen werden: Ich habe am 11. Januar 2018 in Schönwalde a. B. eine weitere Wahlkreiskonferenz durchgeführt (die Einladung zu dieser findet sich auf meiner Homepage: https://www.bettina-hagedorn.de/dl/Einladung_II._Wahlkreiskonferenz_mit_Niclas.pdf), um über die Ergebnisse der Sonderungsgespräche zu berichten und zu reden. Das höchste Beschlussgremium der SPD, der Bundesparteitag – in der auch ich als eine von 600 gewählten SPD-Delegierten aus der gesamten Bunderepublik Mitglied bin – hat nur 10 Tage später, am 21. Januar 2018, für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen auf Basis der Sondierungsergebnisse gestimmt. Immer im Hinterkopf das Bewusstsein, dass es am Ende die Mitglieder der SPD sind, die in einem Mitgliederentscheid bestimmen, ob es zu einer Großen Koalition kommt oder nicht. Aus meiner Sicht ein „Paradebeispiel“ an demokratischer Mitbestimmung!

Die Koalitionsverhandlungen wurden „nächtelang“ und so intensiv geführt, dass diese bereits am 07. Februar 2018 – in „Rekordzeit“ – abgeschlossen werden konnten. Das war auch bitter nötig, schließlich hatte Deutschland durch die unsäglichen zweimonatigen Selbstinszenierungen der „Jamaika“-Parteien mit Balkon-Fotos und in Talk-Shows auch vier Monate nach der Bundestagswahl noch immer keine neue Bundesregierung.

Nach dem Mitgliederentscheid zur Großen Koalition nach der Bundestagswahl 2013 konnten nun bereits zum zweiten Mal die SPD-Mitglieder darüber entscheiden, ob die SPD auf Basis des Koalitionsvertrages mit der CDU/CSU eine Regierung bildet. Um das Verhandlungsergebnis – insbesondere unsere „SPD-Handschrift“ im Koalitionsvertrag – zu diskutieren, hatte ich für den 13. Februar 2018 nach Heiligenhafen zu der dritten Wahlkreiskonferenz eingeladen (siehe: https://www.bettina-hagedorn.de/dl/18-02-13_Einladung_3._Wahlkreiskonferenz_Korr_Berlin.pdf). Nur wenige Tage später, am 25. Februar 2018, fand dann die vierte Wahlkreiskonferenz statt. Niclas Dürbrook und ich haben nicht nur Ralf Stegner, den SPD-Fraktionsvorsitzenden in Schleswig-Holstein, sondern auch Kevin Kühnert als prominenten Vertreter der „No-GroKo“-Bewegung in Bad Schwartau begrüßt (Bericht auf meiner Homepage: https://www.bettina-hagedorn.de/meldungen/grosse-groko-nogroko-diskussion-in-bad-schwartau/). Mit über 400 Gästen war auch hier „die Hütte wieder voll“. Das zeigt eindeutig, wie wichtig es – gerade für mich als SPD-Bundestagsabgeordnete, Spitzenkandidatin im letzten Bundestagswahlkampf in Schleswig-Holstein und stellvertretende SPD-Landesvorsitzende – in so turbulenten Zeiten für die SPD und unser Land ist, die Herausforderungen der aktuellen Situation sachlich zu klären.

Auch deshalb habe ich in einer Stellungnahme zum Koalitionsvertrag bereits vor dem Mitgliedervotum herausgearbeitet, was eben diese 177 Seiten ganz konkret für die Menschen vor Ort bringt. Auch dieses Dokument können Sie auf meiner Homepage lesen: https://www.bettina-hagedorn.de/dl/Stellungnahme_zum_Koalitionsvertrag_Sie.pdf

Denn am Ende haben eben ALLE SPD-Mitglieder die Entscheidung über die Annahme des Koalitionsvertrages getroffen und keine Kleinstgremien wie z.B. der CSU-Vorstand oder ein CDU-Bundesparteitag. Der riesige Erfolg der SPD als Mit-Mach-Partei – auch auf kommunaler Ebene – zeigt sich daran, dass von den 463.723 stimmberechtigten SPD-Mitgliedern 378.437 ihre Stimme abgegeben haben – das entspricht einer Wahlbeteiligung von 78,4%. Für die Annahme des Koalitionsvertrages haben dabei 66,02% der Mitglieder gestimmt. Ein solches Mitgliedervotum ist die höchste Legitimation, die in einer demokratischen Partei überhaupt möglich ist. Ich bin stolz darauf, dass die SPD diesen Weg als einzige Partei gegangen ist!

Ich hoffe sehr, dass ich mit dieser ausführlichen Antwort Ihre Fragen beantworten konnte und wünsche Ihnen für die Bachelor-Arbeit alles Gute!

Mit freundlichen Grüßen,
Bettina Hagedorn

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