Frage an Bettina Hagedorn von Gerhard R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Hagedorn,
Ergänzung zur Mail vom 28.1. DEUTSCHES FÜCHTLINGSLAGER im Ausland
Der Satz “Der Aufenthalt im deutschen Lager ist die einzige Möglichkeit, in Deutschland Asyl zu erhalten” ist leider ohne Erläuterung mißverständlich und angreifbar.
Er hatte folgenden Hintergrund: Nach meinem Kenntnisstand muss Asyl in Deutschland beantragt und darf ein Asylantrag auch nicht in einer deutschen Auslandsbotschaft
gestellt werden. Richtig?
Mit diesem Satz hatte ich vorausgesetzt, dass eine Antragstellung in einem deutschen Flüchtlingslager wie eine Antragstellung auf deutschem Gebiet behandelt werden kann.
In diesem Zusammenhang ist interessant, dass zukünftig jährlich 250.000 Flüchtlinge aus türkischen Lagern von der Türkei an die EU abgegeben werden. Diese Flüchtlinge hatten keinen Asylantrag in Deutschland gestellt!!!
Bedenkenträger verweisen auch darauf, dass NUR(richtig?) UN-Organisationen zuständig für Flüchtlingslager sind. Stimmen wir darin überein, dass sich das UN-System als völlig
untauglich erwiesen hat?
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth
Sehr geehrter Herr Reth,
auch Ihre inzwischen schon 5. Frage, die Sie mir allein in dieser Wahlperiode auf Abgeordnetenwatch.de am 28 Januar stellten, beantworte ich gerne, obwohl ich für alle Leser darauf hinweisen will, dass Sie nur ca. 4 km von mir entfernt in Ostholstein im Nachbarort wohnen und darum auch andere, persönliche Kontaktmöglichkeiten nutzen könnten, die Sie allerdings in den letzten fast 14 Jahren meiner Abgeordnetentätigkeit leider nie genutzt haben. Beispielsweise hätten Sie auf meiner öffentlichen Veranstaltung am 27. November 2015 in Eutin zum Thema „Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge integrieren! Wie dieser Spagat gelingen kann“ mit dem Außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Niels Annen sicherlich wertvolle Informationen zu den von Ihnen angesprochenen Fragen erhalten und mit vielen interessierten Zuhörern und uns Abgeordneten darüber ins Gespräch kommen können.
Ihre Anregung, ein deutsches Flüchtlingslager in der Türkei oder im Nordirak zu errichten, halte ich aus diversen Gründen für vollkommen abwegig. Wie Ihre 2. Nachfrage über Abgeordnetenwatch vom 3. Februar erkennen lässt, haben Sie offenbar – aus meiner Sicht zu Recht – schon von anderen Seiten ablehnende Reaktionen im Hinblick auf sowohl Ihre Anregung wie auch teilweise Ihre Wortwahl erhalten. Die von Ihnen so genannten „Bedenkenträger“ haben eben schlicht und ergreifend mit ihrer Einschätzung Recht, dass für die Flüchtlingslager – weltweit – die UN-Organisationen zuständig sind, und ich teile Ihre Auffassung auch ausdrücklich NICHT, dass das UN-System sich als völlig untauglich erwiesen hat.
Fakt ist zwar, dass eine der Ursachen für die Flucht vieler verzweifelter syrischer Familien aus den Lagern vor allem in Jordanien und Libanon nach Europa im letzten Sommer drastisch reduzierte Lebensmittelrationen und weitere eklatante Versorgungsengpässe in den Lagern waren. Diese humanitäre Katastrophe lag allerdings nicht in der Verantwortung bzw. Unfähigkeit des UNHCR, sondern an der fehlenden Zahlungsmoral und Zuverlässigkeit großer Nationen, ihren verbindlichen finanziellen Zusagen auf internationaler Ebene auch Taten folgen zu lassen. Deutschland hat im Übrigen zu seinen Verpflichtungen gestanden und zusätzlich im Herbst 2015 – mit der ausdrücklichen Unterstützung des Haushaltsausschusses – im Nachtragshaus-halt die Mittel für zivile Krisenprävention um 75 Mio. Euro und im Bundesetat 2016 um 400 Mio. Euro beim Auswärtigen Amt plus um 400 Mio. Euro beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aufgestockt. Damit wurden allein beim Auswärtigen Amt diese Mittel zur Bekämpfung der Fluchtursachen gegenüber 2015 auf 982 Mio. Euro fast verdoppelt, damit die Kanzlerin und der Außenminister Frank-Walter Steinmeier so genannte internationale „Geberkonferenzen“ zu Gunsten der Flüchtlinge in den Lagern der Nachbarlän-der Syriens erfolgreich initiieren zu konnten. Deutschland stellt 2016 insgesamt 1,2 Mrd. Euro zur Verfügung, um die Flüchtlinge in Syrien und den Nachbarländern besser vor Ort zu versorgen, und zählt damit zu den wichtigsten Gebern in der Region. DAS ist aus meiner Sicht der richtige Weg – KEINE nationalen Alleingänge.
Denn Fakt ist, dass bis heute „nur“ etwa 10 Prozent der syrischen Flüchtlinge zu uns nach Europa kamen, um hier Schutz zu suchen – die anderen 90 Prozent leben teilweise seit Jahren in den Flüchtlingslagern in der Türkei, Libanon und Jordanien, also in Staaten, wo die Lebenssituation der einheimischen Bevölkerung unvergleichlich schlechter ist im Verhältnis zu unserer. Wer aus Syrien oder dem Irak nach Europa flieht, flieht oft nicht allein vor Krieg, Bombenterror und Gewalt, sondern eben auch vor den katastrophalen Lebenszuständen in den Flüchtlingslagern in der Region, vor einem Mangel an Nahrung, fehlender medizinischer Versorgung, feh-lenden Bildungschancen für die Kinder und damit andauernder Perspektivlosigkeit. Darauf kann es nur internationale Antworten geben. Insofern haben Deutschland und die anderen Länder Europas ein echtes eigenes Interesse, die Situation in den Flüchtlingslagern zu verbessern und den Menschen dort ein menschenwürdiges Leben zu garantieren. Eine Begrenzung und Entschleunigung der Flüchtlingszahlen können wir darum nur erreichen, wenn wir Fluchtursachen wirksamer als bisher bekämpfen. Ziel muss sein, alle Flüchtlinge ausnahmslos besser zu versorgen, damit sich weniger Menschen auf den lebensgefährlichen Weg nach Europa machen.
Mit freundlichen Grüßen
Bettina Hagedorn