Frage an Bettina Hagedorn von Yvonne S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Betr.: Pläne für ein Neuntes Gesetz zur Änderung des SGB II („Rechtsvereinfachung“)
…. Bereits zum 1. April 2015 soll das zweite Sozialgesetzbuch mit den Hartz IV-Leistungen unter dem Stichwort „Rechtsvereinfachung“ erneut verändert werden. Wir sind beunruhigt von dem Änderungskonzept, das einseitig von der Leistungsträgerseite ohne Beteiligung von Wissenschaft, Wohlfahrtsverbänden, Betroffenenvereinigungen und Gewerkschaften in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorbereitet wurde. Obwohl das Gesetzgebungsverfahren schon angelaufen ist, werden die Ergebnisse der Öffentlichkeit noch vorenthalten und sind nur über Drittquellen zu erhalten.
Es wird nun entscheidend sein, was die Politik aus dieser sehr einseitigen Leistungsträgersicht macht. In den Vorschlägen sind einige sinnvolle Verbesserungen aufgenommen, etwa die Entschärfung der Sanktionsregeln, die Verlängerung des Regelbewilligungszeitraums oder eine neue Rechtsgrundlage für Vorauszahlungen. Auf der anderen Seite überdehnen eine ganze Reihe neuer Verschärfungen die Schieflage von Fördern und Fordern in schwer erträglicher Weise. Bereits jetzt ist ersichtlich, wie stark Überforderung und Rechtlosigkeit in Lähmung und Resignation führt und somit das Gegenteil einer ständig proklamierten Aktivierung erreicht.
Wie stehen Sie zu diesem Vorhaben? Würden Sie sich mit Ihren Möglichkeiten im Bundesrat dafür einzusetzen, dass solche Regelungen, die das bestehende Recht verschärfen und die Rechtslage eher weiter verkomplizieren, nicht umgesetzt werden? Nach ca. 60 Änderungen des SGB II mit dem Schwerpunkt gravierender Verschärfungen sind die neuen Entrechtungen aus sozialstaatlicher Sicht nicht mehr verständlich.
In den Ausführungen zur Rechtsvereinfachung von Heimstatt Esslingen e.V. sind aus Sicht einer parteilichen Beratung Maßnahmen markiert, die Not ohne Not vergrößern und die ohne Not weggelassen werden können.
Mit freundlichen Grüßen
Y. Schmidt
Sehr geehrte Frau Schmidt,
vielen Dank für Ihre Frage vom 17. November zu den geplanten Änderungen des SGB II, durch das eine Reihe von Vorschlägen zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung umgesetzt werden sollen. Ich vermute, dass Sie sich bei Ihrem Brief eines Mail-Vordrucks aus dem Internet bedient haben, denn Sie schreiben mich ja einerseits als Ihre Bundestagsabgeordnete für Ostholstein/Nordstormarn an und fordern mich dennoch gleichzeitig auf, meine „Möglichkeiten im Bundesrat dafür einzusetzen, dass solche Regelungen, die das bestehende Gesetz verschärfen und die Rechtslage eher weiter verkomplizieren, nicht umgesetzt werden.“ Einwirkungen über den Bundesrat sind allerdings den Landesregierungen vorbehalten.
Allerdings werde ich mich als Bundestagsabgeordnete selbstverständlich umfassend mit den vorgeschlagenen Änderungen auseinandersetzen und beschäftige mich seit Jahren mit der Sozialgesetzgebung intensiv – u.a. war ich von 2009 bis 2013 im Haushaltsausschuss für das Arbeits- und Sozialministerium unter der damaligen Ministerin von der Leyen als Berichterstatterin zuständig. Gerade in dieser schwarz-gelben Regierungszeit wurde eine unsozialer Kahlschlag auf dem Rücken gerade der Langzeitarbeitslosen herbeigeführt und das Arbeitspensum der Mitarbeiter in den JobCentern enorm erhöht und bürokratisch verkompliziert, indem z.B. viele Rechtsansprüche der Arbeitslosen in „Ermessensentscheidungen“ der JobCenter geändert wurden, die jetzt alle im Einzelfall entschieden und gerichtsfest begründet werden müssen.
Sie unterstellen in Ihrem Schreiben, dass die Koalition Verschärfungen der Rechtslage im SGB-II-Bereich plant. Das ist allerdings nicht der Fall: Ziel des Gesetzes ist eine Vereinfachung der oft unnötig komplizierten Rechtslage und der Abbau von Bürokratie. Dass dies dringend notwendig ist, ist unbestritten: Schon als ich am 03. Mai 2012 als zuständige Bundestagsabgeordnete in Lübeck mit Personalräten der Jobcenter auf deren Einladung diskutierte, stand deren dringender Wunsch nach Bürokratieabbau im Mittelpunkt der Debatte – frei nach dem Motto: wir hätten gerne mehr Zeit für die Arbeitslosen, für ihre Beratung, Qualifizierung und Vermittlung. Ähnlich äußerte sich die Regionaldirektorin der Arbeitsagentur in Norddeutschland, Margit Haupt-Koopmann, gerade letzte Woche in einer Pressekonferenz, als sie sich für eine Gesetzesvereinfachung im SGB-II-Bereich zur Entbürokratisierung aussprach.
Der Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestages, dem ich seit 12 Jahren angehöre und dessen aktuelle Vorsitzende ich bin, hat beispielsweise gerade am letzten Freitag (19.12.2014) die Bundesregierung aufgefordert, einen Vorschlag zur Neuordnung des Verhältnisses von Unterhaltsvorschuss und SGB II-Leistungen abzustimmen und eine Gesetzesinitiative zur Vereinfachung auf den Weg zu bringen (aktuell müssen die JobCenter-Mitarbeiter heute wegen des Vorranges des Unterhaltsvorschusses hier sehr viele sehr komplizierte Berechnungen vornehmen, die zudem in verschiedensten Verwaltungen parallel und doppelt erfolgen), um hier die besonders komplizierte Rechtslage zu verändern und praxistauglich zu gestalten.
Sie sehen: es gibt für dieses Gesetzgebungsverfahren eine klare Zielrichtung, das ausdrücklich NICHT auf die Beschneidung von Leistungen hinauslaufen soll: Rechtsunsicherheit und Bürokratie belasten schließlich nicht nur die Mitarbeiter der Jobcenter, sondern erhöhen auch die Unsicherheit für die Leistungsempfänger.
Schon im Koalitionsvertrag haben wir deshalb mit der Union vereinbart, in dieser Wahlperiode Gesetzesänderungen auf den Weg zu bringen, um unnötige Schwierigkeiten und Unsicherheiten bei der Anwendung des geltenden Rechts zu beseitigen. Dort heißt es dazu:
„Wer Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung hat, soll schneller und einfacher als bisher zu seinem Recht kommen. Die Verwaltungen vor Ort sollen so effizient und ressourcenschonend wie möglich arbeiten können. Deswegen wollen wir das Leistungs- und Verfahrensrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende vereinfachen und effektiver ausgestalten. Hierzu sollen insbesondere die Ergebnisse der 2013 gegründeten Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Rechtsvereinfachung im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) intensiv geprüft und gegebenenfalls gesetzgeberisch umgesetzt werden.“
An diesem Auszug aus dem Koalitionsvertrag können Sie sehen: Unser Ziel ist es gerade nicht, neue Verschärfungen ins SGB II zu schreiben, sondern im Gegenteil das Gesetz so zu verändern, dass es einfacher, verständlicher und besser zu handhaben ist. Das kommt gerade auch den SGB-II-Empfängern zugute, die dann weniger lange auf eine Entscheidung der zuständigen Ämter warten oder bei Rechtsunklarheiten heute sogar den Klageweg beschreiten müssen, um zu ihrem Recht zu kommen.
Ich freue mich deshalb auch, dass z.B. die Caritas in einer Stellungnahme (Link: http://www.caritas.de/cms/contents/caritas.de/medien/dokumente/stellungnahmen/zusammenfassung-der/zusammenfassung_konsenvorschlaege_asmk_2_juli_2014.pdf?d=a&f=pdf ) eine Reihe von Änderungsvorschlägen – beispielsweise Einschränkungen beim Verhängen von Sanktionen – ausdrücklich begrüßt und unterstützt hat. Ich denke, das ist eine gute Ausgangslage für die weiteren Beratungen.
Sie kritisieren, dass die Änderungen in einer Mitte 2013 eingerichteten Bund-Länder-Arbeitsgruppe „ohne Beteiligung von Wissenschaft, Verbänden und Gewerkschaften“ ausgearbeitet wurden. Das ist zwar grundsätzlich richtig, ist aber in Bund-Länder-Arbeitsgruppen – wie der Name schon sagt – grundsätzlich immer so. Wir stehen aktuell noch ganz am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens – es laufen noch vorbereitende Arbeiten für den Gesetzentwurf innerhalb des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Wenn diese Arbeiten abgeschlossen sind, wird der vorläufige Gesetzentwurf selbstverständlich auch den betroffenen Verbänden, Expertinnen und Experten vorgelegt, damit diese zu den möglichen Änderungen rechtzeitig Stellung nehmen können, noch bevor ein Gesetzentwurf im Kabinett eingebracht wird – das ist das übliche Verfahren, das jeder Gesetzesentwurf durchläuft. Erst danach beginnt das parlamentarische Verfahren mit der 1. Lesung im Bundestag und den Sachverständigenanhörungen des Arbeits- und Sozialausschusses, wo mir persönlich Gelegenheit gegeben ist, meinen direkten Einfluss als Abgeordnete geltend zu machen. Und seit vielen Jahren gilt das ungeschriebene „Struck’sche Gesetz“, nach dem kein Gesetz vom Parlament so beschlossen wird, wie es uns Abgeordneten die Regierung als Entwurf vorgelegt hat.
Sie können sicher sein, dass die SPD-Bundestagsfraktion sehr genau darauf achten wird, dass die Zielrichtung des Koalitionsvertrags exakt eingehalten wird. Wir wollen eben keine Verschärfungen im Bereich des SGB II, sondern wir wollen durch Rechts- und Verwaltungsvereinfachungen dafür sorgen, dass Menschen schneller und einfacher zu ihrem Recht kommen und tatsächlich, ohne lange Wartezeiten oder gar Rechtsstreitigkeiten, die Leistungen erhalten, die ihnen zustehen. Auf dieser Grundlage werden wir sorgfältig prüfen, welche Änderungen sinnvoll sind und umgesetzt werden sollen – und welche nicht. Dabei werden die Arbeits- und Sozialpolitiker sicher auch den Argumenten der Sozial- und Wohlfahrtsverbände und der Gewerkschaften genau zuhören und im Zweifel notwendige Änderungen umsetzen.
Sie sehen: Wir werden uns als SPD selbstverständlich dafür einsetzen, dass Ihre Befürchtungen hinsichtlich einer Verschärfung des SGB II nicht eintreten, sondern wir Verbesserungen und Vereinfachungen für die Leistungsempfänger erreichen.
Mit freundlichen Grüßen
Bettina Hagedorn