Frage an Bettina Hagedorn von Karsten W. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Hagedorn,
Bezüglich der kommenden Wahlen interessiert mich ein Thema besonders:
Unser auf Zins basierendes Geldsystem.
Ich bin nämlich der Meinung, dass das Zinssystem unweigerlich zum finanziellen Kollaps führen muss. Hier meine Argumentation:
Alles Geld in unserem System wird durch Zentralbanken produziert und das auf nur eine Weise, nämlich als Kredit. D. h., dass für jeden erzeugten Euro jemand einen Euro Schulden haben muss. Werden die Schulden bezahlt, verschwindet das Geld wieder.
Das Problem entsteht nun, wenn auf die Schulden Zins verlangt wird. Das Geld für den Zins wurde nämlich nie produziert. Dadurch wird per saldo die Schuldenmenge größer, als die vorhandene Geldmenge. Die einzige Möglichkeit die Zinsen zu decken ist, die Geldmenge zu verringern oder neues Geld zu produzieren, und somit auch neue Schulden. Egal wie effizient ein Staat also wirtschaftet, die Schuldenmenge muss der Geldmenge zwangsläufig immer voraus sein, was ab einem gewissen Punkt unweigerlich zu einem exponentiellen Wachstum der Schulden und dem Zusammenbruch des Systems führt.Zu diesem Thema finden Sie im Internet auch viele ausführlichere Erklärungen.
Durch diese Argumentation lässt sich sehr grundlegend erklären, warum der Staat zu stetigem Wachstum gezwungen ist und wieso dem Staat immer Geld fehlt (Die Bundesrepublik hat bis dato noch niemals ihre Schulden verringert).
Leider fehlt diese Thematik in der öffentlichen Diskussion völlig.
Meine Frage an Sie:
Wieso sollte ich Sie und die SPD wählen, obwohl in dem Wahlprogramm der SPD kein einziges Wort zum Zinssystem steht und damit alle finanztechnischen Maßnahmen auf Dauer erfolglos sein müssen?
Sehr geehrter Herr Weiher,
haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen vom 7. September bezüglich des Finanzsystems. Eine grundlegende Umstrukturierung des Finanzsystems ist ein hochinteressantes Thema. Ich muss Ihnen aber sagen, dass ich an Umsetzbarkeit und Effektivität tiefgreifender Vorschläge, das Finanzsystem zu ersetzen, zweifle, auch wenn ich mich als wachstumskritisch beschreiben würde. Lassen Sie mich ein paar Worte zu den Problemen eines notwendigen Wirtschaftswachstums verlieren, bevor ich genauer auf Ihre volkswirtschaftlichen Argumente gegen das Finanzsystem eingehe.
Wenn ich auf das rein materielle Wachstum schaue, gebe ich Ihnen im Prinzip Recht. Die Weltbevölkerung wächst und die Ressourcen sind begrenzt. Der Club of Rome hat bereits 1972 vorausgesagt, dass ein Weiterführen der Rohstoffausbeutung und der Naturverschmutzung in dem bekannten Ausmaß die Welt bis 2100 an ihre Wachstumsgrenzen bringen würde. 1994 und 2004 hat der Club of Rome die damaligen Studienergebnisse wiederholt bestätigt und besonders auf die Rohstofferschöpfung, die Überfischung, die sinkende Ackerbodenqualität, und das zunehmende soziale Gefälle hingewiesen. Ich denke, diese Datenlage verdeutlicht, dass es ein einfaches "Weiter so" nicht geben darf! 2011 prangerte Erhard Eppler in seinem Buch "Eine solidarische Leistungsgesellschaft - Epochenwechsel nach der Blamage der Marktradikalen" den einseitigen Wachstumsbegriff an und ich mache mir seine Kritik hier zu eigen: Wir müssen darüber diskutieren und politisch entscheiden, wo wir Wachstum beschleunigen oder wo wir Wachstum bremsen wollen. Wachstum darf nicht das Ziel an sich sein, sondern wir müssen schauen, was wir damit erreichen wollen. Ein "selektives Wachstum", wie es Erhard Eppler nennt, umschreibt das am besten: Die Abkehr von der Atomenergie allein betrachtet mindert den statistischen Wert der Wirtschaftsleistung ungemein, aber die Entscheidung für die verstärkte Stromproduktion durch erneuerbare Energien - was ich ausdrücklich begrüße! - stellt Wirtschaftswachstum dar. Die Entscheidung, welche Branchen wir wachsen sehen wollen und welche nicht, sollte die politische Arbeit treiben, nicht die Jagd nach einem höheren Wachstumswert.
Sie stellen in Ihrem Brief grundsätzlich ein exponentielles Wachstum des "Geldsystems" bzw. einer Volkswirtschaft in Frage und befürchten einen letztendlichen Kollaps der Finanzwelt. Ich stimme Ihnen zu, dass Zinsen auf Kredite dazu führen, dass die Kreditschuld exponentiell anwächst. Aber genauso wächst im Normalfall auch der Gewinn aus der kreditfinanzierten Investition exponentiell an. Solange die Rendite, d.h. die Wachstumsrate der Investition, höher ist als der Kreditzins, besteht deswegen also kein Problem.
Sie führen weiterhin an, dass die Bundesrepublik Deutschland noch niemals ihre Schulden verringert hätte. Dies ist ein Vorwurf, den man den Bundesregierungen machen kann. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass der riesige Schuldenberg, auf dem wir heute - leider - sitzen, durchaus auch Gründe hatte, wie die Wiedervereinigung Deutschlands: Wer wird ernsthaft behaupten, das wäre eine falsche Entscheidung gewesen? Es handelt sich bei Staatsschulden in meinen Augen nicht um einen Fehler des Finanzsystems. Dass auch der Staat Zinsen zahlen muss - übrigens nicht nur an Banken, sondern auch an seine Bürgerinnen und Bürger - ist richtig und liegt nicht daran, dass Banken das Recht haben, Giralgeld zu erschaffen. Auch bei einem in Bargeld ausgegebenen Kredit würden Zinsen fällig werden, mit denen der Gläubiger dem Schuldner die Kosten des überlassenen Kapitals in Rechnung stellt.
Naturgemäß ist Giralgeld stets mit dem Risiko versehen, dass die Bank ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen kann. Um dieses Restrisiko zu minimieren, wurden Mindestreservepflichten, Eigenkapitalunterlegung, Einlagensicherungssysteme, etc. eingeführt. Allerdings hat die Finanzkrise gezeigt, dass noch deutliche Regulierungslücken bestehen.
Die Finanzkrise hat zuerst den Bankensektor und darüber hinaus auch ganze Volkswirtschaften ins Wanken gebracht. Um in Zukunft eine Infektion durch die Finanzmärkte und die sich daraus ergebenden systemischen Risiken zu verhindern, ist eine weitere Regulierung der Finanzmärkte nötig. Hierzu hat Peer Steinbrück in seinem Konzept zur Finanzmarktregulierung im September 2012 konkrete Maßnahmen vorgestellt: Die Trennung von Einlagengeschäft und Investmentbanking und das Verbot des Eigenhandels sind wichtige und notwendige Schritte, um das Erpressungspotenzial der Banken zu verringern. Kundeneinlagen bei Banken sind Teil des Zahlungsverkehrs und als solche besonders schützenswert. Kundeneinlagen und das Geld der Zentralbank sollen aber nicht zur Spekulation verwendet werden, weder in der Bank selber noch in ausgelagerten Hedgefonds. Außerdem müssen Banken scheitern können! Bei einer Rettung von Banken sollen zuerst die Eigentümer der Bank haften. Danach müssen auch die Gläubiger der Bank an den Verlusten beteiligt werden. Um die Staaten vor eventuell darüber hinaus gehenden Verlusten zu schützen, ist ein bankenfinanzierter Restrukturierungs- und Abwicklungsfonds nötig. Um auch große, grenzüberschreitend tätige Banken abwickeln oder restrukturieren zu können, braucht es eine europäische Abwicklungsbehörde und einen europäischen Bankenfonds.
Mit freundlichen Grüßen
Bettina Hagedorn