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Bettina Hagedorn
SPD
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Frage von Jürgen B. •

Frage an Bettina Hagedorn von Jürgen B. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Hagedorn

Welche Möglichkeiten der Verhinderung einer „Festen Fehmarnbeltquerung“ sehen Sie noch, angesichts der o. g. neuesten Entwicklungen und Erkenntnisse, da erst in gut zwei Jahren die Untersuchungsergebnisse, (u. a. ob Tunnel oder Brücke) vorliegen und erst danach das dänische Parlament über das erforderliche Baugesetz beraten und entscheiden muss, bei Berücksichtigung:

1. der aktuellen ökonomischen Situation
2. der für die Feriengebiete, von Bad Schwartau bis Fehmarn durch Schmutz undLärm zu erwartenden Nachteile und
3. der Gefahren durch Schiffskollisionen (Tanker) für den internationalen Vogelzug und die Schweinswale und besonders für den lebensnotwendigen Wasseraustausch für die Ostsee?

Für eine möglichst kurze Antwort bis zum 15. September wären wir Ihnen dankbar. Wir werden unsere Fragen und Ihre Antworten in geeigneter Form vor dem Wahltermin in den Medien veröffentlichen; aber auch die Parteien und Kandidaten benennen, die nicht geantwortet haben.
Da der einleitende Text zu lang ist, senden wir Ihnen die vollständige Anfrage per Email. Mit freundlichen Grüßen,

Jürgen Boos
Sprecher des Aktionsbündnisses gegen eine feste Fehmarnbeltquerung.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Boos,

wie Sie wissen, habe ich bereits mehrfach – auch NACH der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat zum Staatsvertrag zur Festen Fehmarnbeltquerung – öffentlich erklärt (u.a. im Fehmarnschen Tageblatt), dass ich persönlich die Realisierung der Baupläne durch die dänische und deutsche Regierung skeptisch beurteile – und zwar vor allem wegen der mit Sicherheit explodierenden Kosten für beide Vertragspartner.

Zusammen mit der Vorsitzenden der SPD-Küstengang Dr. Margrit Wetzel (Niedersachsen), die ihre erheblichen Bedenken bereits bei der Anhörung Anfang Mai öffentlich gemacht hatte, dem zuständigen Berichterstatter Detlef Müller (Sachsen) aus dem Umweltausschuss, dem prominenten Umweltpolitiker und Träger des alternativen Nobelpreises Hermann Scheer (Baden-Württemberg), Martin Burkert (Bayern), der ehemaligen niedersächsischen Umweltministerin und jetzigen Bundestagsabgeordneten Monika Griefahn (Niedersachsen), der ehemaligen Vorsitzenden der SPD-Arbeitsgruppe Tourismus Brunhilde Irber (Bayern) aus dem Tourismusausschuss, Gabriele Hiller-Ohm (Lübeck), Wolfgang Wodarg (Flensburg), der Europaexpertin Lale Akgün aus Köln sowie den Abgeordneten Christian Kleiminger, Dirk Manzewski und Iris Hoffmann aus Mecklenburg-Vorpommern habe ich gegen den Staatsvertrag gestimmt und unsere Begründung gemeinsam zu Protokoll gegeben. Diese können sie hier nachlesen.

Ich teile voll und ganz die Bedenken des Bundesrechnungshofes in seinem Bericht vom 30. April, den ich übrigens als Rechnungsprüfungsausschussmitglied persönlich in zwei Sitzungen dieses Gremiums 2007 angefordert hatte. Alle großen nationalen und internationalen Verkehrsprojekte, die im letzten Jahrzehnt gefloppt sind, scheiterten stets an den explodierenden Kosten und an den zu optimistisch eingestuften Verkehrsprognosen – zuletzt der Transrapid bei München. Da die Kostenschätzung der Fehmarnbeltquerung auf völlig veralteten Zahlen aus dem Jahr 2003 beruhen, die erst im Zuge der vor einem Jahr begonnenen Vorplanungen in ca. 2 Jahren konkretisiert werden, und da es im Staatsvertrag eine von Deutschland durchgesetzte „Ausstiegsklausel“ aus dem Vertrag (Artikel 22, Abs. 2) für den Fall einer Kostenexplosion gibt, halte ich es für realistisch, dass beide Staaten – gerade auch unter dem Eindruck der Wirtschafts- und Finanzkrise – diese Vertragsklausel nutzen. Im Artikel 22, Absatz 2 des Staatsvertrages heißt es wörtlich:

„Sollten die Voraussetzungen für das Projekt oder Teile des Projekts sich deutlich anders entwickeln als angenommen und anders, als es zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags bekannt ist, werden die Vertragsstaaten die Lage aufs Neue erörtern. Dies gilt unter anderem für wesentliche Kostensteigerungen im Zusammenhang mit dem Projekt.“

Diese Sätze bedeuten nachgerade ein Rücktrittsrecht vom Vertrag, das angesichts der Fehlkalkulationen hoffentlich zum Einsatz kommen wird. Denn auch in Dänemark kann der Euro nur einmal ausgegeben werden – und gerade dort hat die Regierung ihren Bürgerinnen und Bürgern diese Querung bislang als risikolose Billiglösung gepriesen, die den Steuerzahler angeblich nicht belasten soll. Da Dänemark laut Staatsvertrag die von ihnen aus Kostengründen favorisierte Schrägseilbrücke parallel zur mindestens 1,3 Mrd. €. (eher realistisch: 2,5 Mrd. €) teureren Tunnellösung ergebnisoffen planen muss, gehe ich persönlich davon aus, dass Dänemark in 2 Jahren vor dem Planungsresultat stehen wird, dass allein eine Tunnellösung die schwerwiegenden Bedenken hinsichtlich der Schiffssicherheit, des Sauerstoffaustausches in der Ostsee und des Vogelzuges überwinden kann. Damit stünde Dänemark vor einer Kostenexplosion, die nie und nimmer ohne eine massive Belastung des dänischen Steuerzahlers kalkuliert werden könnte – und unter diesem Eindruck wäre das dänische Folketing dann (hoffentlich) auch in der Lage, mehrheitlich zu einer neuen Beschlusslage zu finden. Aber auch in Deutschland wird die Konkretisierung der Planung der Bahntrasse als Hinterlandanbindung die Kritiker dieses Mammutprojektes bestärken: im Frühjahr 2010 werden die Variantenplanungen der DB vorgelegt – jede Abweichung von der bisherigen Trasse kostet zusätzlichen Plnaungs- und Bauaufwand und damit Zeit und Geld. Ich werde dann eine Variante unterstützen, die weitestgehend die Interessen der Menschen in der Region wahrt – das heißt Verschwenkungen zwischen Lübeck und Neustadt und neue Lösungen für das Nadelöhr Großenbrode. Eine solche Lösung wird in jedem Fall um einige 100 Millionen teurer als bislang kalkuliert – aber selbst bei der preiswerteren Variante quer durch alle Urlaubsorte an der Ostseeküste kalkuliert der Bundesrechnungshof schon mit 1,7 Mrd. € statt mit 850 Mio. €.

Ich bin in jedem Fall GEGEN eine von IHK- und CDU/FDP-Vertretern favorisierte Hochgeschwindigkeitstrasse entlang der Autobahn, die auch die Skandinavier gerne wollen – nicht nur, weil es mit Abstand die teuerste Lösung ist, sondern vor allem, weil sie ausschließlich im Interesse Hamburgs, Kopenhagens und Malmös ist, während sie für Bürger und Betriebe UNSERER Region als Transitstrecke OHNE Haltepunkt in Ostholstein ausschließlich Nachteile bietet. Zudem wird eine Hochgeschwindigkeitstrasse für die Kommunen entlang der Strecke zum Finanzdebakel, weil sie zu 1/3 per Gesetz an den Baukosten für dann zwingend notwendige Überführungen und Untertunnelungen ihrer Straßen zu beteiligen sind. Noch schlimmer: das arme Land Schleswig-Holstein wäre verpflichtet, die für die Bürger, Pendler und Touristen wichtige Regionaltrasse mit dem Regionalverkehr selbst zu finanzieren und – mangels Geld – vermutlich die heutige Zug- und Bahnhofsdichte nicht aufrecht erhalten können (auf jeden Fall nicht ohne Beteiligung der Kommunen!). All diese Fakten wurden bislang von den Beltquerungsbefürwortern wohlweislich „unter der Decke gehalten“ und werden in den nächsten 2 Jahren die Debatte bestimmen. Viele Menschen werden dann ihr bisheriges Desinteresse an diesem Thema noch bitter bereuen. Aber die Hoffnung auf die Durchsetzungskraft des gesunden Menschenverstandes stirbt bekanntlich erst ganz zum Schluss – und dieser Schlusspunkt ist mit der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat zum Staatsvertrag im Sommer 2009 noch lange nicht erreicht.

In Dänemark hat man bislang nur ein Planungsgesetz verabschiedet - das Baugesetz soll erst folgen, wenn den Parlamentariern konkrete Zahlen vorliegen. Dies wird erst in zwei Jahren der Fall sein – dann werden die dänischen Abgeordneten das Projekt hoffentlich nicht mehr nur durch die „rosarote Brille“ betrachten und bereit sein, erneut über die unsinnige Querung zu reden, denn auch dort wächst in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise das Geld nicht an den Bäumen. Da in die umwelttechnischen Messungen in der Ostsee auch andere Anrainerstaaten miteinbezogen werden müssen, bin ich darüber hinaus gespannt, was deren Einspruch gegebenenfalls bewirken würde. Ich bleibe deshalb bei meiner Ansicht: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen!

Mit freundlichen Grüßen

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