Sehr geehrter Herr Seidenath, wie stehen sie zur Einführung einer Grundwehrpflicht für alle jungen Erwachsenen die alternativ im sozialen Bereich abgeleistet werden kann?
Darüber hinaus sollte auch die Option bestehen, dass ehrenamtliches verantwortungsvolles Engagement von Jugendlichen in sozialen Bereichen, wie z.B. beim BRK, der Freiwilligen Feuerwehr, AWO, Diakonie oder Caritas, auf diese Pflichtzeiten angerechnet werden.
Dies wäre meines Erachtens ein Gewinn für alle jungen Leute, da sie mit den durch die Pflichtzeiten gewonnenen Erfahrungen unsere Gesellschaft und damit ihre eigene Zukunft realistischer gestalten könnten.
Diese Pflichtzeiten müssen von allen in Frage kommenden Institutionen und Verbänden gründlich vorbereitet, strukturiert und vernetzt werden, damit die jungen Leute nicht nur als billige Aushilfskräfte benutzt werden können.

Sehr geehrte Frau H.,
für Ihre Frage danke ich Ihnen herzlich. Das Thema eines verpflichtenden Gesellschaftsjahrs treibt uns in der CSU-Landtagsfraktion, im CSU-Kreisverband Dachau und auch mich persönlich seit langem um. Ich bin hierfür sehr offen und sehe, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen. Im Zukunftsprozess des CSU-Kreisverbands Dachau haben unsere Arbeitgeber und mittelständischen Unternehmer eindringlich darauf hingewiesen, dass ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr den Mangel an Fach- und Arbeitskräften noch einmal verschärfen würde. Die Fähigkeiten, die die jungen Leute hierdurch gewinnen, und die Leistung für unsere Gesellschaft während dieses Jahres wiegen dies meines Erachtens mehr als auf. Lassen Sie mich meine Position in nachfolgendem Text etwas ausführlicher darstellen:
Unsere Gesellschaft ist aufgewühlt wie selten zuvor. Schon einfache Debatten erhitzen sofort die Gemüter, der Umgangston wird härter. Viele Menschen ziehen sich in ihre sozialen Trutzburgen zurück, im demokratischen Diskurs rückt der Austausch von Argumenten und Fakten immer mehr in den Hintergrund. Während immer weniger Bürgerinnen und Bürger einen Sinn darin sehen, das Gemeinwesen aktiv mitzugestalten, wächst gleichzeitig die Erwartungshaltung gegenüber „dem Staat“, dessen Funktionsweise darüber hinaus für viele aber abstrakt und fremd bleibt.
Dabei wird oft übersehen, dass der Staat nicht von alleine läuft; dass er durch die Gesellschaft geformt wird und dass jeder einzelne ein Teil des Staates ist. Der Staat braucht Menschen, die sich in seinen Dienst stellen. Wir brauchen einen Impuls für mehr Gemeinschaftsgefühl. Die Menschen müssen mehr fragen, was sie zum Gelingen unseres Gemeinwesens beitragen können, und nicht, wo und wie sie am meisten und mehr als andere profitieren können. Insofern ist es auch zumutbar, einige Monate seines Lebens dem Staat zu widmen.
Wir sind fest überzeugt, dass ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr zu einem neuen Aufbruch für unsere Gesellschaft werden kann. Wir wollen, dass insbesondere junge Menschen in ihrer Entwicklung sich der Gesellschaft widmen, durch die Übernahme von Verantwortung für Aufgaben der Allgemeinheit reifen und einen Sinn für unsere Gemeinwesen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt entwickeln. Davon profitiert auch unsere Wirtschaft, auch wenn sie die jungen Leute einige Zeit entbehren muss. Erfahrungen der Vergangenheit zeigen: Wehr- und Zivildienst haben unzählige Menschen positiv geprägt und neue Einblicke in bis dahin unbekannte Welten ermöglicht. Durch den Wehrdienst ist die Bundeswehr stärker in der Mitte der Gesellschaft verankert. Dienste in Alten- und Pflegeheimen können gleichzeitig als Zugpferd für soziale Berufsfelder wirken, in denen Fachkräfte dringend gebraucht werden. Mit einem Gesellschaftsjahr ließe sich die Gleichstellung von Mann und Frau weiter voranbringen, der Fachkräftemangel ein Stück weit lindern und der gesellschaftliche Austausch verbessern.
Ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr könnte ich mir mit folgenden Eckpunkten vorstellen:
- Der Dienst soll für Männer und Frauen gleichermaßen gelten und er soll auch älteren Menschen offenstehen, die sich etwa nach ihrem aktiven Berufsleben engagieren wollen.
- Das „Gesellschaftsjahr“ muss nicht unbedingt ein Jahr sein, auch sechs bis sieben Monate am Stück oder ein „Lebenszeitkonto“ sind eine Option.
- Es gibt eine Mindestdienstzeit – der Dienst kann aber auf Wunsch auch verlängert werden
- Der Dienst kann in der Bundeswehr genauso wie in Vereinen und sozialen Einrichtungen o.ä. abgeleistet werden
Ehrenamtliches Engagement während der Schulzeit bei Vereinen, Parteien, Feuerwehr etc. kann anerkannt werden oder mit kostenlosen Tickets für Bus- und Bahn, Rentenpunkten, zertifizierten Aus- und Fortbildungen, Erleichterungen für den Studien- und Ausbildungszugang (z.B. leichterer Zugang zum Medizinstudium über den Sanitätsdienst der Bundeswehr oder Vorrang bei der Kreditvergabe durch die KfW) belohnt werden.
Ich hoffe, Ihnen damit etwas weitergeholfen zu haben, und grüße Sie - mit allen guten Wünschen - herzlich
Bernhard Seidenath