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Bernd Westphal
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Frage von Klaus-Dieter N. •

Frage an Bernd Westphal von Klaus-Dieter N. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung

Der vorliegende Entwurf für die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes erfüllt mich mit großer Sorge. Es ist mir unerklärlich, wie von demokratischen Abgeordneten derart gravierende und weitreichende Ermächtigungen eines Bundesministeriums auch nur überhaupt in Betracht gezogen werden können. Haben Sie persönlich Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzesvorstoßes und wenn Ja, werden Sie, gemäß ihres Amtseides und ihrem Gewissen folgend, dagegen stimmen?

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Sehr geehrter Herr Nickel, 

vielen Dank für Ihre Frage.

Wir haben es mit einer extremen, weltweiten und noch nie dagewesenen Krise zu tun, für die es keine Anleitung oder Handlungsempfehlung gibt. Es ging jederzeit darum, sehr schnell Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, zur Stärkung des Gesundheitswesens, Regelungen zur Kurzarbeit, Soforthilfen für die Unternehmen und die Abfederung sozialer Härten auf den Weg zu bringen. Um in der Krise handlungsfähig zu sein, hat die Regierung auch einen erweiterten Entscheidungsspielraum bekommen. Das alles wurde im Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen und ist damit demokratisch legitimiert. In einer repräsentativen Demokratie wie Deutschland werden Entscheidungen an Politikerinnen und Politiker mit einer Wahl „delegiert“.

Aber natürlich sind die krisenbedingten Kompetenzerweiterungen für die Regierung und die Einschränkungen der Freiheitsrechte immer wieder vom Parlament zu überprüfen und anzupassen. Kontaktverbote, die Verhängung von Quarantäne, Ausgangsbeschränkungen und Versammlungsverbote sind nach dem Infektionsschutzgesetz möglich, müssen aber auch verhältnismäßig sein. Sorgen um unsere Demokratie mache ich mir nicht, da neben der Kontrollfunktion des Parlaments auch die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit prüfen. Von „demokratieschädigenden Vorgängen“ kann, wie so oft behauptet, überhaupt keine Rede sein.

Das Infektionsschutzgesetz ermächtigt die Länder bereits heute, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und zur Eindämmung der Pandemie festzulegen und dabei auch in Grundrechte einzugreifen. Da absehbar ist, dass die pandemische Lage noch andauern wird, sollen die Voraussetzungen und insbesondere die Grenzen von grundrechtseinschränkenden Maßnahmen gesetzlich präzisiert werden.
Im Entwurf für ein Drittes Bevölkerungsschutzgesetz, das derzeit parlamentarisch beraten wird, ist dazu die Einführung eines neuen Paragrafen 28a im Infektionsschutzgesetz vorgesehen, mit dem mögliche Schutzmaßnahmen beispielhaft konkretisiert werden, die von den Regierungen von Bund und Ländern ergriffen werden können, solange der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellt. Dazu gehören etwa Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum, die Anordnung eines Abstandsgebots, eine Maskenpflicht oder die Einschränkung des Betriebs bestimmter Einrichtungen. Zugleich sollen Schwellenwerte (Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern) gesetzlich definiert werden, die entsprechende Maßnahmen rechtfertigen. Dadurch soll ein klarer und bundesweit einheitlicher Rahmen für Grundrechtseingriffe zum Schutz der Gesundheit geschaffen werden.

Diese Maßnahmen sind zeitlich befristet und auf die Bekämpfung von SARS-CoV-2 beschränkt. Zudem sollen die Schutzmaßnahmen das jeweilige regionale Infektionsgeschehen berücksichtigten. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Handlungsmöglichkeiten der Länder nach dem Infektionsschutzgesetz also nicht ausgeweitet, sondern vielmehr präziser gefasst und damit insgesamt nachvollziehbarer.

Die aktuellen Corona-Schutzmaßnahmen, die unserer Gesellschaft viel abverlangen, werden nicht vom Bundesgesundheitsminister oder der Bundesregierung erlassen. Das liegt in der Verantwortung der Bundesländer. Mit dem Dritten Bevölkerungsschutzgesetz wollen wir den Ländern dafür eine besser ausgestaltete Rechtsgrundlage geben. Es ist auch nicht richtig, dass durch dieses Gesetz entsprechende Schutzmaßnahmen automatisch verhängt würden.

Am 6. November 2020 hat der Deutsche Bundestag in erster Lesung und am 18. November 2020 wird er in zweiter und dritter Lesung das Gesetz im Plenum beraten. Bis dahin werden wir als SPD-Bundestagsfraktion mit unserem Koalitionspartner noch weiter über eine stärkere Parlamentsbeteiligung sprechen.
Uns ist es wichtig, die notwendigen Maßnahmen auf eine sichere rechtliche Grundlage zu stellen und im Hinblick auf die Rechtsprechung fortwährend zu prüfen. Deshalb haben wir ein Positionspapier beschlossen, in dem wir weitere Änderungen im Infektionsschutzgesetz vorschlagen, um die Rolle des Parlaments zu stärken. Konkret schlagen wir vor, dass der Bundestag Rechtsverordnungen der Bundesregierung zustimmen muss, wenn diese wesentlich in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen. Die Bundesregierung soll zudem regelmäßig über die Wirksamkeit und Notwendigkeit solcher Rechtsverordnungen berichten. Regelungen, die etwa das Reisen zwischen verschiedenen Bundesländern betreffen, sollten vom Bund deutschlandweit einheitlich geregelt werden. Zudem ist ein Zustimmungsvorbehalt für das Parlament und das Recht vorstellbar, Verordnungen per Bundesgesetz wieder aufzuheben.

Das Positionspapier finden Sie unter:
https://www.spdfraktion.de/system/files/documents/fraktionsbeschluss_rechtssicher_corona-krise_20201103.pdf

Die Kontrolle wird aber auch mit Verabschiedung der Reform in jetziger Form beim Parlament bleiben: Das Parlament entscheidet über die epidemische Lage. Sobald sich diese zum Positiven wendet, obliegt es dem Bundestag, die epidemische Lage formal als beendet zu erklären und damit enden auch alle darauf beruhenden Rechtsverordnungen und Anordnungen automatisch.

Sehr geehrter Herr Nickel,
uns allen wird bei der derzeitigen epidemischen Lage sehr viel abverlangt. Und gerade weil in dieser Situation grundrechtseinschränkende Maßnahmen ergriffen werden, die ich für notwendig und verhältnismäßig halte, ist es umso wichtiger, diese Maßnahmen auf eine sichere rechtliche Grundlage zu stellen, ständig zu überprüfen und die parlamentarische Kontrolle darüber zu stärken.
Ich persönlich halte den Gesetzentwurf für verfassungsgemäß, kann mir darüber hinaus aber auch weitere Änderungen hinsichtlich einer Stärkung der parlamentarischen Kontrolle vorstellen. Dementsprechend werde ich meinem Gewissen folgend abstimmen. Dabei bin ich mir der großen Verantwortung, die ich gemeinsam mit meinen Parlamentskolleginnen und -kollegen trage, sehr wohl bewusst.

Bleiben Sie gesund!
Mit besten Grüßen

Bernd Westphal

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