Ist das derzeitige System der Behindertenwerkstätten/Beschäftigung eine Ausbeutung von Minderheiten? Gibt es Reformbestrebungen?
Sie sind Vorsitzender im A./Arbeit+Soziales, deswegen will ich Obiges von ihnen wissen.
Unternehmen wie Thyssen Krupp, VW oder Siemens nutzen die unschlagbar billige Arbeitskraft Behinderter Bürger.
Das Merkwürdige ist, obwohl es immer weniger Schwerbehinderte gibt, steigt die Zahl der Beschäftigten in solchen Werkstätten?
300.000 Personen das Doppelte wie vor 20 Jahren.
Bitte nehmen sie Stellung hierzu.
- https://www.youtube.com/watch?v=zHOVFeeQfdE
Selbst die Innereuropäische Situation wirft uns Fragen auf.
https://www.arte.tv/de/videos/106527-035-A/27-das-europaeische-magazin/
Sehr geehrter Herr T.,
die Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) beschäftigen Personen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können.
Diese Beschäftigten sind keine Arbeitnehmer, das bedeutet, dass sie nicht immer die gleichen Rechte, aber vor allem auch nicht die gleichen Pflichten haben wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Konkret heißt das zum Beispiel, dass Beschäftigte in WfbM Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben. Das unterscheidet sich sehr deutlich von der Regelung für regulär gesetzliche Rentenversicherte und berücksichtigt die besondere Situation der Menschen mit Behinderung.
Eine Gleichstellung mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern könnte fatale Folgen haben: Sie erhielten dann zwar beispielweise den Mindestlohn, müssten aber auf die jetzigen Rentenanwartschaften verzichten, die aus meiner Sicht unbedingt beizubehalten sind. In letzter Konsequenz müsste auch das reguläre Kündigungsrecht angewandt werden können. Das zeigt meines Erachtens deutlich: Eine einfache Übertragung der gesetzlichen Situation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf Werkstattbeschäftigte würde bedeuten, dass wir den Menschen Steine statt Brot geben.
Deshalb bin ich für eine grundsätzliche Beibehaltung des Werkstattsystems in Deutschland – sehe aber deutlichen Reformbedarf, wie wir ihn auch in unserem Koalitionsvertrag festgehalten haben. Dort haben die Parteien der Ampel vereinbart:
„Wir werden das Beteiligungsvorhaben zur Entwicklung eines transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystems in den WfbM und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt fortsetzen und die Erkenntnisse umsetzen.“
Hierzu wird aktuell eine wissenschaftliche Untersuchung durchgeführt. Im Sommer 2023 soll der Abschlussbericht vorliegen. Aus den Ergebnissen dieser Untersuchung sollen anschließend Maßnahmen abgeleitet werden, um das Entgeltsystem und die Möglichkeiten zum Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbessern. Mit einem Gesetzespaket mit Fokus auf die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen kann voraussichtlich im Verlauf des Jahres 2024 gerechnet werden.
Ich bitte um Verständnis, dass meine Zeit es nicht zulässt, dass ich die von Ihnen verlinkten Videos anschaue.
Freundliche Grüße
Bernd Rützel