Frage an Bernd Murschel von Andreas R. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Dr. Murschel,
in Baden-Württemberg herrscht mittlerweile beim Thema Weltanschauung eine Dreiteilung: Ein Drittel der Bevölkerung ist katholisch, ein Drittel evangelisch und ein Drittel gehört keiner der beiden Gruppen an. Meine Frage bezieht sich auf die letzte Gruppe, der ich selbst angehöre.
Seit Jahren ärgere ich mich über die Einschränkung der sogenannte negativen Religionsfreiheit an bestimmten Feiertagen, die meine Menschenrechte einschränkt:
In Baden-Württemberg herrscht an mehreren Feiertagen ein Tanzverbot und ein Verbot zur Austragung von Sportveranstaltungen, so etwa Karfreitag. Da niemand gezwungen ist, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen, sind von dem Verbot ausschließlich Personen betroffen, für die derartige Veranstaltungen NICHT der eigenen Weltanschauung widersprechen, insbesondere werden somit Nichtchristen diskriminiert. Ihnen wird vom Staat auferzwungen, sich an die Gebote einer Religion zu halten, der sie selbst nicht angehören. Karfreitag darf ich als Gastronom keine Tanzveranstaltung durchführen und auch nicht daran teilnehmen, die sich ausschließlich an ein nichtchristliches Publikum richtet, selbst, wenn kein Christ dadurch gestört wird!
Ich möchte darauf hinweisen, dass die deutsche Kultur keineswegs eine "christliche" Kultur ist, sondern eine sehr komplexe, die neben christlichen Einflüssen auch Einflüsse aus dem römischen Recht, der griechischen Philosophie und insbesondere der Aufklärung aufgenommen hat. Beim Verbot von Veranstaltungen an bestimmten Feiertagen dominiert die christliche Kultur - und das bei einer wachsenden Unzufriedenheit der Bürger mit Kirche.
Tanzverbote kennt man aus "Gottesstaaten" wie dem Iran oder aus der Wiedertäuferzeit im mittelalterlichen Münster. Ein Tanzverbot wird als Relikt aus einer kirchendominierten Zeit empfunden und unterdrückt Andersdenkende.
Wird die grün-rote Koalition das Tanz- und Veranstaltungsverbot endlich abschaffen?
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Reichhardt
Sehr geehrter Herr Reichhardt,
vielen Dank für die Frage, auf die ich gerne eingehe.
Im letzten Jahr haben meine Grünen KollegInnen im Bundestag zur Thematik negative Religionsfreiheit einen Antrag eingebracht. Darin wird betont, dass das Freiheitsrecht auf Religions- und Glaubensfreiheit nicht grenzenlos gilt. Es endet dort, wo es sich gegen die Menschenrechte und Grundrechte Anderer richtet. Glaubens- und Religionsgemeinschaften können nicht nur Opfer von Einschränkungen und Unfreiheiten sein; von ihnen können auch Einschränkungen und Unfreiheiten ausgehen. Die UN-Sonderberichterstatterin für Religions- und Glaubensfreiheit, Asma Jahangir, unterscheidet daher in ihrem Bericht vom Dezember 2009 zutreffend zwischen Einschränkungen der Religions- und Glaubensfreiheit „aufgrund des Glaubens“ und Gewalt „im Namen des Glaubens.“ Dabei bezieht sich die erstgenannte Erscheinungsform auf die Religions- oder Glaubensbindung des jeweiligen Opfers; die letztgenannte hingegen auf jene der Täter.
Das Recht, eine Religion zu wechseln oder ganz abzulegen, folgt aus dem Recht der negativen Glaubensfreiheit und ist damit einer der elementaren Bestandteile des Menschenrechts auf Glaubens- und Religionsfreiheit.
In der praktischen Umsetzung kann dies nur bedeuten, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Weltanschauung diskriminierungsfrei leben können müssen. Eine gegenseitige Rücksichtnahme bei hohen religiösen Feiertagen halte ich für angebracht. Ob Tanzverbote und ein Verbot von Sportveranstaltungen heute noch angebracht sind, wage ich auch zu bezweifeln. Ich kann derzeit keine Aussage treffen, ob und wann die grün-rote Koalition dieses Thema aufgreift. Die Koalitionsvereinbarung soll Anfang Mai in Parteitagen verabschiedet werden und dann Grundlage für die politische Arbeit der nächsten Jahre sein.
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Murschel MdL