Frage an Bernd Lange von Johann L.
München, 2015-09-19
Sehr geehrter Herr Bernd Lange!
Mein Eindruck und meine große Sorge zur europäischen Flüchtlingspolitik: die europäischen Politiker bringen NICHTS zustande!
Zunächst geografische Gegebenheiten:
Ein Flüchtling aus Afghanistan, Irak, Syrien, Eritrea - oder sonst woher aus Afrika - kommt entweder über das Mittelmeer nach Mitteleuropa oder über den Balkan. Er landet deshalb in Spanien oder Italien, Griechenland, Rumänien, Kroatien oder Ungarn. Das sind sozusagen die Frontstaaten.
Mit "Dublin" wurde die Last der Flüchtlingsaufnahme den Süd- und Ost-Ländern aufgbürdet. RICHTIG VERSTANDEN? Dann ist mir sofort klar, warum "Dublin" nicht funktionieren kann. Doch wie konnte eine solche Ungleichverteilung, ein solches Fehlkonzept überhaupt die Zustimmung aller EU-Mitglieder finden? Gibt es da noch etwas, was ich nicht weiß oder nicht verstehe?
Das einzige, was ich verstehe und richtig finde, ist die Registrierungspflicht, die ja u.a. hilft, zu verhindern, dass ein Flüchtling mehrfach Unterstützug beantragt.
Warum kann die EU nicht im Libanon, in Jordanien, in der Türkei, in Lybien (!) Registrierungsstellen errichten? Die Flüchtlinge könnten mit ihren Ersparnissen in regulären Verkehrsmitteln preiswert und gefahrlos nach Europa zu reisen; man würde den Schlepper-Organisatinen ihre Geschäftsgrundlage entziehen. Registriert man die Flüchtlinge erst in Griechenland oder Italien, dann müssen diese weiterhin die gefährliche Überfahrt wagen und den Schleppern ihr Geld in den Rachen werfen.
Das Errichten von Registrierungsstellen in Griechenland und Italien ist m.E. also allenfalls die zweitbeste Maßnahme. Doch warum dauert selbst deren Umsetzung so lange?
Ihre Erläuterung erwarte ich mit großem Interesse.
Mit freundlichem Gruß - J. L., München
Sehr geehrter Herr L.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne beantworte.
Sie haben Recht, die Dublin-Verordnungen sind gescheitert. Sie sind das Ergebnis langer Verhandlungen und Prozesse aus Zeiten der europäischen Gemeinschaft. Damals bestand diese Gemeinschaft aus gerade mal 12 Mitgliedern. Die Dublin-Verordnungen wurden im Laufe der Zeit lediglich erweitert und verändert, ohne diesen aber einem neuen Grundlagenkonzept zu unterwerfen. Wir sehen derzeit, dass dies aber dringend notwendig wäre. Flüchtlingspolitik ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die solidarisch von allen Mitgliedstaaten der EU angegangen werden muss. Für nationale Egoismen ist kein Platz, wenn es um Menschen geht, die vor Krieg, Terror und Armut fliehen.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass wir uns nicht nur darüber unterhalten wo Flüchtlinge untergebracht werden, sondern auch wie. Es ist unerlässlich, dass wir auch diese Frage als Gemeinschaftsaufgabe ansehen. Wir brauchen dringend europäische Standards, die notfalls auch in Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens durchgesetzt werden müssen.
Eine weitere zentrale Frage, die Sie auch ansprechen, ist die Frage, wie Flüchtlinge nach Europa kommen. Es ist klar, dass wir wieder ein europäisches Rettungsprogramm im Mittelmeer benötigen und es ist auch klar, dass Grenzschließungen keine Lösung sein können. Ich bin der Meinung, dass wir jetzt vor allem darauf setzen müssen die aktuelle Situation zu meistern. Dazu müssen wir zum einen kurzfristigere Lösungen auf Probleme finden und vor allem Schlepperbanden aufspüren und deren Handeln unterbinden. Wichtig ist aber auch, nach langfristigen Antworten zu suchen. Wir müssen vor allem Fluchtursachen bekämpfen. Nur wenn Europa seine Verantwortung anerkennt und seine internationale Rolle auch nach diesem Leitbild gestaltet, können wir diese finden. Handelspolitik spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Handel kann die Wohlstandsverteilung fördern, den Kampf gegen Armut unterstützen und so tatsächlich die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen vor Ort verbessern. Deshalb ist es wichtiger denn je, Handel fair, nachhaltig und ausgeglichen zu gestalten. Dafür setze ich mich ein.
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Lange