Frage an Barbara Judith Bruhn von Timo K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Bruhn,
die Grünen fallen bundesweit immer häufiger dadurch auf, dass sie heute anders handeln, als sie früher redeten. Sie agieren widersprüchlich und sind Trittbrettfahrer von Stimmungen. Nachfolgend ein paar Beispiele.
Bau des Kohlekraftwerks Moorburg: Vor der Landtagswahl 2008 sind die Grünen in Hamburg gegen den Bau des Kraftwerks gewesen und haben mit Sprüchen wie „Kohle von Beust“ Stimmung in der Bevölkerung gemacht. Nach der Wahl wurde das Kraftwerk ausgerechnet von der grünen Senatorin Anja Hajduk genehmigt.
Castor-Transporte: Als Umweltminister hat Jürgen Trittin 2001 seinen Parteifreunden erklärt, es gebe „für Grüne keinen Grund, gegen die Castor-Transporte zu demonstrieren – weder sitzend, stehend, singend oder tanzend“. Heute stellt er sich zusammen mit Claudia Roth an die Spitze der Proteste im Wendland, obwohl er genau weiß, dass Deutschland, egal ob schwarz-gelb oder rot-grün regiert, zur Rücknahme der Castoren und damit zur Durchführung der Transporte gesetzlich verpflichtet ist.
Stromnetzausbau: Die Grünen sind gegen Atomkraft. Aber auch neue Kohlkraftwerke wie in Datteln verteufeln sie. Auf Bundesebene sprechen sie sich stattdessen für Erneuerbare Energien aus. Vor Ort aber blockieren sie den Ausbau der dafür notwendigen Netze, zum Beispiel im Thüringer Wald oder der Brandenburger Schorfheide. Auch vom Pumpkraftspeicherwerk in Atdorf (Baden-Württemberg) oder dem Umspannwerk im norddeutschen Moorriem wollen die Grünen nichts wissen, obwohl beide für den Ausbau der Versorgung mit Erneuerbaren Energien unverzichtbar sind.
In Baden-Württemberg lehnen die Grünen die Projekte „Stuttgart 21“ und die Schnellfahrstrecke „Wendlingen am Neckar - Ulm“ klar ab. „Stuttgart 21“ ade heißt es im grünen Landtagswahlprogramm.
Was gibt den Wählern die Sicherheit, dass die Grünen beim Thema „Stuttgart 21“ nicht auch wieder umfallen, wie es beispielsweise beim Kohlekraftwerk Moorburg der Fall war?
Mit freundlichen Grüßen
Timo Krone
Sehr geehrter Herr Krone,
vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne beantworte. Die Verzögerung bitte ich zu entschuldigen.
Leider ist es in der Politik so, dass man nicht immer all das, was man gerne möchte zu 100% verwirklichen kann. Wir Grünen als kleinere Partei sind auf einen Koalitionspartner angewiesen. Darüber hinaus gibt es auch eine bindende Rechtslage, wie dies zum Beispiel in Moorburg der Fall war. Dort hatte ein Gericht entschieden, dass die Genehmigung nicht rückgängig gemacht werden kann. Das Kraftwerk musste daher mit hohen Umweltauflagen genehmigt werden.
Die Aussage von Jürgen Trittin habe ich damals nicht geteilt und teile sie auch heute nicht, denn das Recht der Meinungsäußerung - wozu auch die Demonstrationen gehören - steht dem Bürger jederzeit (sofern nicht höherrangige Rechtsgüter in Ausnahmefällen vorgehen, was hier aber nicht der Fall war) zu. Er hat es im Zusammenhang mit dem bereits von ihm beschlossenen Atomausstieg gesagt. Es gab aber und gibt Menschen, die überhaupt keine Atomkraft haben wollen, auch nicht für einen Übergang und die dann diese Meinung kundtun. Die Mehrheit der Grünen (wie ich auch) ist aber dem Ausstiegskonzept von Rot-grün gefolgt und hat den Auslauf der Atomkraft (zähneknirschend) hingenommen. Nach dem Ausstieg aus dem Ausstieg hat sich diese Sachlage geändert.
Die Umstellung auf Erneuerbare Energien wird die Landschaft verändern. Das derzeitige Netz ist auf Atom- und Kohlekraftwerke ausgelegt und muss geändert werden. Diese Veränderungen greifen in die Lebensumstände von Menschen ein, denen man begegnen muss. Wir Grünen wollen diese Veränderungen, weil wir glauben, dass an der Umstellung der Wirtschaft auf sauberen Strom kein Weg vorbeiführt. Die Atomkraft ist eine Technologie, die keine Fehler verzeiht, wie wir jetzt in Japan erleben müssen. Wir müssen daher Alternativen auch für die Netze finden, sie so zu legen, dass alle damit leben können (z.B. unterirdisch, mehr dezentrale Versorgung, wo dies möglich ist etc). Wir haben als Partei auch viel Erfahrung darin, Menschen von diesen Notwendigkeiten zu überzeugen. Wir mussten auch als Grüne unsere Erfahrungen machen wie es ist, wenn man die Menschen nicht mitnimmt (Hamburg). Ich bin überzeugt, dass wir das schaffen. Wir müssen es auch schaffen, denn sonst verlieren wir unsere Zukunft.
Wir Grünen vertreten seit langer Zeit Positionen, auch wenn sie nicht der Mainstream sind. Auch können wir diese nicht immer durchsetzen (Hamburg). Die ersten Broschüren zu Stuttgart 21 sind 15 Jahre alt. Warum sollten wir jetzt plötzlich dafür sein?
Stuttgart 21 wird allerdings von der Bahn gebaut. Das Land - und es geht hier ja um eine Landtagswahl - kann nur das tun, worauf es Einfluss hat. Das Land hat für Stuttgart 21 einen Landeszuschuss bewilligt. Diesen könnte man eventuell streichen (die Verträge sind uns als Opposition leider nicht bekannt). Darüber soll aber das Volk entscheiden im Rahmen einer Volksabstimmung. Das Ergebnis müssen wir dann akzeptieren. Wir werden dafür werben, dass Stuttgart 21 nicht gebaut wird, weil wir glauben, dass es sinnvollere Projekte gibt. Als Vertreterin des ländlichen Raumes werde ich mich für eine Investition der Landesmittel in der Fläche und nicht in Stuttgart einsetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Barbara Bruhn