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Barbara Höll
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Frage von Kerstin R. •

Frage an Barbara Höll von Kerstin R. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Höll,

im ZDF kam gerade ein Beitrag zum chronischen Botulismus. Ich kann kaum glauben, dass von der Politik derartig konsequent ein Anerkennen dieser Tierseuche vermieden wird. Wenn Ärzte und Forscher an mehreren Universitäten längst erkannt haben, dass es sich um eine gefährliche Krankheit handelt, verstehe ich nicht, wieso auf Bundesebene nicht gehandelt wird. Menschen können diese Krankheit von Tieren übertragen bekommen. Mal abgesehen vom Leid der Tiere (die Bilder sind kaum zu ertragen), erleiden die Landwirte Schaden. Wenn unserer Ministerin der Aspekt der wirtschaftlichen Schadensbegrenzung und der Vermeidung von Tierquälerei nicht beeindruckt, sollte sie vielleicht daran denken, dass Verbraucher die Krankenkassen auch wieder Geld kosten für eine Behandlung.
Ich bitte Sie, dieses Thema weiter in die Öffentlichkeit zu bringen und im Rahmen Ihrer Möglichkeiten zur Klärung beizutragen. Ich danke Ihnen im Voraus für Ihre Bemühungen

Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Rißling

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Rißling,

bitte entschuldigen Sie meine etwas späte Reaktion, aber die von Ihnen angesprochene Thematik ist nicht einfach zu beantworten und ich möchte Ihnen keine oberflächlichen, sondern substantielle Antworten geben.

Von dem von Ihnen angesprochenen Beitrag, in dem es um chronischen Botulismus geht, habe ich gehört. Dem sei vorweg gestellt, das damit nicht der klassische Botulismus gemeint ist, der durch das Bakterium Clostridium (C.) botulinum verursacht wird. Bei dieser klassischen Vergiftung ist meist das Nervensystem betroffen. Das Botulinum-Neurotoxin (BoNT) kann über Lebensmittel (Mensch) oder Futtermittel (Tier) aufgenommen werden. Botulinumtoxine gelten als die giftigsten von Lebewesen produzierten Substanzen. Ursache von Vergiftungen ist hier oft mit Kadavern verunreinigtes Futter wie z.B. Silage. Das Bakterium C. botulinum kommt in der Umwelt weit verbreitet vor – es ist also alles andere als selten und wird regelmäßig auch ohne Verbindung mit Erkrankungsgeschehen gefunden, wenn danach gesucht wird. Dennoch treten Fälle von klassischem Botulismus, also Vergiftungen mit durch C. botulinum gebildetem Neurotoxin, relativ selten auf. Menschen können unter bestimmten Bedingungen durch den Verzehr von Lebensmitteln, die C. botulinum-Neurotoxin enthalten, erkranken. Eine direkte Übertragung vom Tier auf den Menschen konnte bisher laut Friedrich - Löffler - Institut (Bundes Institut für Tiergesundheit) wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden. Die Diagnose von Botulismus ist sowohl in der Humanmedizin als auch in der Tiermedizin schwierig und stützt sich vorwiegend auf das klinische Bild und den Ausschluss der in Frage kommenden Differentialdiagnose. Da schon geringste Mengen von BoNT zu schweren Erkrankungen führen können, ist es oft schwierig oder unmöglich den Toxinnachweis im Lebens- oder Futtermittel zu führen, vor allem da das Toxin nicht gleichmäßig im Futter verteilt ist.

Neben dem klassischen Botulismus wird auch von einer anderen Form gesprochen, dem chronischen Botulismus. Dieses Thema ist vermehrt seit August 2011 in den Medien anzutreffen (z.B. ZEIT August 2011, Report Mainz im September 2010) und ist längst in der Politik angekommen. Zuletzt fand im Agrarausschuss des Bundestages am 28.9.2011 eine ausführliche Debatte zum Thema „chronischer Botulismus“ statt.

Bereits seit Mitte der 1990er Jahre wird über ihn als ein neues Krankheitsbild diskutiert. Diese als „viszeraler Botulismus“ bezeichnete Form der Erkrankung soll durch die Besiedelung von unteren Darmabschnitten mit C. botulinum und dort stattfindender Toxinbildung entstehen. Die beschriebene klinische Symptomatik der fraglichen Krankheitsgeschehen ist sehr breit, also unspezifisch, und reicht laut dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) von Verdauungsstörungen über Gelenkserkrankungen bis hin zu Apathie, Lähmungen etc. Betroffen sind vor Allem Rinder, es wird aber auch in Einzelfällen von Schweinen oder Hunden berichtet. Die Ursache der beschriebenen Krankheitsbilder sei aber bisher unklar. Ob C. botulinum oder sein Neurotoxin dabei eine Rolle spielt und wenn ja, welche, wird in der Wissenschaft sehr kontrovers debattiert und ist insbesondere aufgrund fehlender diagnostischer Sicherheit bislang weder beweisbar noch auszuschließen. Das Fehlen wissenschaftlich gesicherter Daten ist ein folgenschweres Defizit. Der Bundesregierung liegen keine verlässlichen Angaben darüber vor, wie viele Betriebe bundesweit von „chronischem Botulismus“ betroffen sind, da es sich bei dem „chronischen Botulismus“ weder um eine anzeigepflichtige Tierseuche noch um eine meldepflichtige Tierkrankheit handelt (siehe Bundestagsdrucksache 17/6542). Eine zentrale Erfassung wäre auch auf Grund des unklaren Krankheitsbildes und der fehlenden sicheren Diagnostik sehr schwierig.

Die Existenz des „chronischen Botulismus“ bleibt unter Wissenschaftlern umstritten. Da es sich noch um eine nicht bewiesene Hypothese handelt, ist eine politische Entscheidung an dieser Stelle schwer. Politische Entscheidungen können keinen offenen wissenschaftlichen Streit schlichten und müssen sich auf gesicherte wissenschaftliche Grundlagen stützen. Allerdings muss Politik die Klärung der offenen wissenschaftlichen Fragen unterstützen und abfordern. Momentan wird von einer Mehrfaktorenerkrankung ausgegangen. Oder um es ganz kompliziert auszudrücken: „multifaktoriell bedingter Symptomenkomplex“ (Zitat aus einem Fachgespräch im BMELV). Die unbekannten (oder zumindest nicht gesicherten) Ursachen macht das Agieren der Betriebe sehr schwierig und erklärt das Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber einem schwerwiegenden Krankheitsgeschehen in den Tierbeständen. Auch eine Ansteckungsgefahr für den Menschen gilt als unbewiesen. Die hohen wirtschaftlichen Verluste und der Zusammenbruch des Viehbestandes in den betroffenen Agrarbetrieben ist aber real existierend. Sie sehen sich oftmals mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Haltungsbedingungen seien nicht optimal. Das wird von betroffenen Landwirten als sehr verletzend empfunden.

Um hier Abhilfe zu schaffen ist es dringend nötig, dass den betroffenen Betrieben unbürokratisch geholfen wird. DIE LINKE hat hierzu in den Haushaltsberatungen 2012 Geld für Betriebe mit schwerwiegenden Krankheitsgeschehen ungeklärter Ursache beantragt. Denn es darf nicht sein, dass ein wissenschaftlicher Streit auf dem Rücken der aktiven Landwirtschaftsbetriebe ausgetragen und die wirtschaftliche Existenz der Betriebe dadurch gefährdet wird.

Darüber hinaus muss die Diagnostik zum chronischen Botulismus dringend verbessert werden. Hierzu gehört insbesondere die Überprüfung der Hypothese eines Zusammenhangs des „chronischen Botulismus“ mit Biogasanlagen, auch wenn das im Moment als wenig wahrscheinlich gilt. Des Weiteren sind die Forschungsanstrengungen zu verstärken, um die Existenz einer Erkrankung „chronischen Botulismus“ zu bestätigen oder zu widerlegen. Der Wissenschaftszweig Epidemiologie ist aufzuwerten, denn der "chronische Botulismus" ist nur ein Beispiel für schwerwiegende Defizite in der Risikoforschung bei bekannten oder neuen Erkrankungen bei Nutztieren inklusiver solcher bislang unbekannter Ursache. Wir fordern daher seit Jahren die Einrichtung eines interdisziplinären epidemiologischen Zentrums, welches gebündelt diesen Fragen nachgehen und Vorbeugungs- und Bekämpfungsstrategien entwickeln kann. Die epidemiologische Studie im Auftrag des BMELV, welche die Existenz von C. botulinum und seinem Neurotoxin in gesunden und in erkrankten Beständen untersuchen soll, ist ein wichtiger, aber nur erster Schritt und wird hoffentlich weitere wichtige Erkenntnisse bringen. Die Studie soll Anfang 2012 beginnen.
Insgesamt muss die Debatte über den „chronischen Botulismus“ versachlicht werden. Wir brauchen eine fundierte, wissenschaftliche Aufklärung der Ursachen dieser Krankheitsgeschehen. Wir halten es nicht für hilfreich noch sachgerecht, die Debatte über den „chronischen Botulismus" mit Diskussionen über die so genannte „Massentierhaltung“ zu verbinden. Denn das wird der Ernsthaftigkeit des Problems nicht gerecht.

Ich hoffe Ihnen damit einen ausreichenden Überblick über die Thematik gegeben sowie Ihnen etwaige Ängste genommen zu haben.

Mit freundlichen Grüßen
Barbara Höll