Portrait von Barbara Höll
Barbara Höll
DIE LINKE
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Barbara Höll zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Diana G. •

Frage an Barbara Höll von Diana G. bezüglich Innere Sicherheit

Liebe Frau Höll,

ich möchte gern mit Ihnen ins Gespräch kommen - da sich aufgrund des Lesens im Buch >> Vorsicht Bürgerkrieg << von Uwe Ulfkotte so einige Fragen in mir entwickelt haben.

Ich las bspw. das die Gewaltbereitschaft gegenüber Polizisten in Deutschland beständig steigt und es zu immer aggressiveren Übergriffen auf die Polizei kommt. Haben Sie selbst etwas zu diesem Thema vernommen und wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein? Ebenso wird im Buch benannt, dass es einen >Atlas der Wut< gibt, der der Bundesregierung vorliegt, den Bürgern jedoch nicht zugänglich gemacht werden soll. In diesem >Atlas der Wut< sollen all diejenigen Gebiete in Deutschland eingezeichnet sein, an denen potentzielle soziale Unruhen/ bürgerkriegsähnliche Zustände erwartet werden. Was wissen Sie selbst über diesen >Atlas der Wut< und seine Existenz? Stimmt es, dass die Polizei den Auftrag von seiten der Bundesregierung erhielt, sich auf solche sozialen Unruhen entsprechend vorzubereiten und wenn ja wie sehen solcherlei Vorbereitungen im Genaueren aus.

Ich bedanke mich über eine Rückantwort Ihrerseits.
Mit freundlichen Grüßen, Diana.

Portrait von Barbara Höll
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Grellmann,

vielen Dank für Ihre Frage, die ich wie folgt beantworten möchte:

*Udo Ulfkotte und der "Atlas der Wut"*

* *

Bei Udo Ulfkotte handelt es sich nach meiner Einschätzung um einen Vorreiter für vorteilsaufgeladene Islamkritik im deutschsprachigen Raum. Der ehemalige FAZ-Redakteur veröffentlicht seit einiger Zeit beim KOPP-Verlag, in dem auch das von Ihnen gelesene Buch erschien. Mit seinem Verlagsprogramm fungiert der KOPP-Verlag zunehmend als Bindeglied zwischen Rechtem Rand , Revisionismus, kruden und Verschwörungstheorien. http://www.stattweb.de/unoauno.gif

Neben dem Schüren von Vorurteilen betreibt Ulfkotte auch das Geschäft mit der Angst vor sozialen Unruhen und behauptet, die deutschen Sicherheitsbehörden hätten schon nach den Unruhen 2005 in Frankreich damit begonnen, eine Liste mit den Orten und Stadtteilen zusammenzustellen, in denen das Risiko für Krawalle besonders hoch sei. Nach dem Crime- oder Kaufkraft-Mapping bietet Ulfkotte nun also das Notstands-Mapping an -- mit konkreten Handlungshilfen. Seine "Thesen" oder Behauptungen zu belegen vergisst Ulfkotte allerdings regelmäßig. Seine Quellenangaben sind oft nicht überprüfbar, beruhen auf angeblich anonymen Aussagen von "Sicherheitsexperten" und so kann er auch die Existenz des von ihm behaupteten "Atlas der Wut" nicht belegen. Eine Anfrage des Abgeordneten Jan Timke von der rechtspopulistischen Wählervereinigung "Bürger in Wut" in der Bremischen Bürgerschaft, der dazu offensichtlich durch die Lektüre von Ulfkottes Buch angeregt wurde, beantwortete die Bremer Landesregierung dahingehend, dass die Bundesregierung in einem Schreiben erklärt habe, eine solche Liste läge dem Kanzleramt nicht vor und sei ihr auch nicht bekannt. Ob dies tatsächlich so ist, kann ich nicht sagen. Eine Anweisung der Bundesregierung an Polizei und Sicherheitsbehörden, sich auf sozialen Unruhen entsprechend vorzubereiten, kenne ich jedenfalls nicht, kann aber auch nicht ausschließen, dass es in Sicherheitskreisen entsprechende Planspiele und Szenarien Vermutete "Masterpläne" (in diesem Fall ein bundesdeutscher "Aufstandsbekämpfungsplan") wird es sicherlich nicht geben. Stattdessen gibt es seit vielen Jahren kaum ein Gesetz zur inneren Sicherheit, was zwar im Namen der Bekämpfung des Terrorismus oder der "Organisierten Kriminalität" verabschiedet wurde, sich aber gleichwohl ebenfalls zur polizeilichen oder militärischen Bekämpfung sozialer Unruhen nutzen ließe.

Zusammengefasst kann man sagen, dass Udo Ulfkotte im KOPP-Verlag eine adäquate publizistische Heimat gefunden hat. Seine konstruierte Abgrenzung vom Rechtsextremismus ist rein taktischer Natur. Der KOPP-Verlag fungiert in diesem Dunstkreis immer mehr als Bindeglied zwischen den sich so ähnelnden kruden Spektren und verkauft das alles als unabhängige, alternative Informationen. Um die Ursachen der von ihm an die Wand gemalten sozialen Unruhen geht es ihm an keiner Stelle. Vielmehr möchte er die Ängste der Kleinbürger schüren und Vorurteile kanalisieren.

*Gewalt gegen Polizisten*

* *

Ähnlich verhält es sich mit der seit letztem Jahr von konservativen Innenpolitikern und Medien geschürten Kampagne zur gestiegenen Gewalt gegen Polizisten. Mit dem Ziel drastischer Gesetzesverschärfungen wird beständig behauptet "Ausländer und linke Chaoten bedrohen Leib und Leben von Polizisten und der Staat schaut tatenlos zu". CDU/CSU fordern daher einen eigenen Straftatbestand "Angriffe auf Polizeibeamte" und rufen gar nach einer Überarbeitung des Landfriedensbruch-Paragraphen, damit künftig sämtliche Teilnehmer einer Protestaktion, aus der heraus eine Minderheit Straftaten begeht, bestraft werden können.

Die Linksfraktion im Bundestag wollte es genauer wissen und hat sich bei der Regierung in einer Kleinen Anfrage nach konkreten Zahlen erkundigt. Ergebnis: Trotz des Kampagnencharakters der Warnungen vor einem Anstieg »linker« Straftaten gibt es keinerlei verbindliche Statistik, die diesen Anstieg belegt.

Ende Mai 2010 legte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, eine Studie zur Gewalt gegen Polizisten vor, mit der die Unionsseite ebenfalls ihre repressiven Forderungen begründen wollte. Allerdings hat die Studie gravierende Mängel, die Pfeiffer auch selbst benennt. So beruht sie auf der Auswertung eines Online-Fragebogens, der lediglich subjektive Selbstauskünfte von 21000 überwiegend jungen, im »Einsatz auf der Straße« stehenden Polizisten, abfragte. Die Zahl von Beamten, die nach Angriffen mindestens eine Woche dienstunfähig gewesen sei, habe zwischen 2005 und 2009 um mindestens 60 Prozent zugenommen. Allerdings handelt es sich hier um einen Anstieg der quantitativ nur von 203 auf 325 Fälle gestiegen ist. Die Hauptbetroffenen von Gewalt sind normale Streifenpolizisten. Der Großteil dieser Angriffe ereignet sich laut Studie bei Festnahmen. Demonstrationen machen rund acht Prozent aus.

Aus all dem zeigt sich: Statistiken über einen Anstieg linker Gewalt sind sehr differenziert zu betrachten. Das von einigen Medien aufgebaute Gespenst der Gewalttätigen, wird dabei bewusst von konservativen Politikern genutzt

Um es deutlich zu sagen, ich lehne Gewalt als Mittel der politischen Auseinadersetzung ab und finde jeden Übergriff auf einen Polizeibeamten grundweg falsch. Aber die Kritik und die Art der Kritik von Herrn Ulfkotte ist falsch und schlicht reaktionär.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Barbara Höll