Frage an Barbara Höll von Stefan R. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Dr. Höll,
mit Bestürzung lese ich in letzter Zeit von drohenden "Workfare"-Programmen (ein neumodisches Wort für Zwangsarbeit), über die in politischen Kreisen offenbar laut nachgedacht wird.
Sollte es in Deutschland tatsächlich je wieder legal werden, Menschen zu knechten und mit symbolischen Löhnen abzuspeisen (wobei die 1-Euro-Jobs ja schon der Anfang sind), würde ich auch meinen restlichen Glauben an die geistige Gesundheit bestimmter Regierungsvertreter verlieren.
Natürlich wären auch die wirtschaftlichen Folgen nicht auszumalen: Wer stellt schon vernünftig bezahlte Kollegen ein, wenn er Zwangsarbeiter haben kann?
Beispielsweise im Einzelhandel ist es bereits eine weit verbreitete Seuche: Billigkräfte ersetzen ausgebildetes Personal, das wiederum arbeitslos auf der Straße sitzt, sich unter Wert verkaufen und vorwerfen lassen muss, es sei zu faul und liege dem Staat auf der Tasche. Andererseite beschweren sich Wirtschaftsvertreter, dass das Geld nicht mehr so locker sitze wie zuvor.
Als Wähler Ihrer Partei interessiert mich: Was gedenkt die LINKE gegen diese Entwicklung zu unternehmen? Wie kann diesem widerlichen Marionettentheater ein Ende bereitet werden?
Mit freundlichen Grüßen,
S. Reichelt
Sehr geehrter Herr Reichelt,
DIE LINKE lehnt Zwangsarbeit in jeder Form entschieden ab. Menschen haben Rechte, weil sie Menschen sind. Kein noch so ideell oder materiell großes Interesse legitimiert dazu, Menschen dieser grundlegenden Rechte zu berauben.
Wie auch von Ihnen bereits angedeutet, existiert bereits heute mit den Ein-Euro-Jobs eine Beschäftigungsform, die Elemente von Zwangsarbeit besitzt. Erwerbslose im ALG II-Bezug können einen ihnen angebotenen Ein-Euro-Job nicht sanktionslos ablehnen. Bei wiederholter Ablehnung können ihnen sogar 100 Prozent ihres Leistungsbezugs gekürzt werden. Diese Form der Arbeitsförderung lehnen wir strikt ab. Es mangelt nicht am Arbeitswillen, es mangelt an (guter) Arbeit. Deshalb fordern wir, den Sanktionsparagrafen §31 SGB II umgehend abzuschaffen und die Zumutbarkeitskriterien für die Vermittlung von Arbeit wieder einzuführen.
Aber auch ohne das Zwangselement lehnen wir Ein-Euro-Jobs ab. Von einem Euro Stundenlohn kann kein Mensch leben. Wir fordern stattdessen die Umwandlung aller Ein-Euro-Jobs in tariflich bezahlte, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Aus unserer Sicht ist es menschenunwürdig, den Bürgerinnen und Bürgern Ein -Euro-Jobs und andere prekäre Beschäftigungsformen wie Leiharbeit, Minijobs, Teilzeitarbeit, befristete Jobs oder Arbeit zu Hungerlöhnen zuzumuten. Die Agenda-Politik von Rot-Grün und der großen Koalition hat die prekäre Beschäftigung massiv gefördert und so dazu beigetragen, dass in den letzten Jahren fast 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen abgebaut wurden. Diesen Trend müssen wir umkehren. DIE LINKE fordert daher die gesetzliche Eindämmung prekärer Beschäftigung. Wir wollen stattdessen menschenwürdige, Gute Arbeit fördern von und mit der es sich gut leben lässt. Ein wichtiges Element dafür ist die Einführung eines flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohns, der in der nächsten Wahlperiode auf 10 Euro erhöht wird, die Senkung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit auf 40 Stunden in der Woche, die Stärkung der Rechte der ArbeitnehmerInnen und ihrer Gewerkschaften und die Abschaffung von Hartz IV - das nichts anderes als Armut und Ausgrenzung per Gesetz bedeutet und die Erpressbarkeit der Beschäftigten stark erhöht hat.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Barbara Höll