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Frage von Roman B. •

Frage an Barbara Höll von Roman B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Dr. Höll,

Heute habe ich folgende Schlagzeile gelesen in der Welt-Online.

19. Juni 2009, 10:58 Uhr.Kassenbeiträge ab 2010 von der Steuer absetzbar
Der Bundestag hat das so genannte Bürgerentlastungsgesetz beschlossen, wonach sich ab 2010 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung von der Steuer absetzen lassen.
Wie Sie sicher wissen, hat diese Gesetzesänderung das Bundesverfassungsgericht im Februar 2008 verlangt. Laut dem Urteil aus Karlsruhe umfasst das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums nämlich auch Beiträge zu Versicherungen für den Krankheits- und Pflegefall. Für mich ist insbesondere wichtig, dass Versicherungsbeiträge für Ehepartner und Kinder ebenfalls von der „Steuerbefreiung“ erfasst werden.
Zur gleichen Artikel habe ich auch dieses gelesen:
Die Linken-Abgeordnete Barbara Höll monierte, dass Gutverdiener am stärksten profitieren. Die soziale Gerechtigkeit bleibe auf der Strecke.
Sind Sie sicher dass Sie wissen von was Sie reden? Was verstehen Sie unter sozialer Gerechtigkeit? Kritisieren Sie die Entscheidung des BVG?

Ich habe in den letzten 10 Jahren diese Absetzmöglichkeit nicht gehabt sonder den PKV Beitrag für mich und meine Kinder voll von meinem schon versteuerten Einkommen bezahlt. Die Summe können Sie gerne philosophisch mal überschlagen.
Ist für Sie soziale Gerechtigkeit das Leute die in diesem Lande etwas leisten, sich zur Mittelschicht zählen (die in den letzten Jahren von diesem Staat schon genug ausgepresst wurde) noch mehr belastet werden nur um eine soziale Unterschicht die in keinster Weise bereit ist wie auch immer etwas zu leisten noch mehr unterstützt?

In Erwartung Ihrer Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

R. Baumgaertner

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Baumgaertner,

Welt-Online hat aus meiner Rede nur eine kurze Passage zitiert. Unter dem folgenden Link finden Sie diese vollständig: http://www.barbara-hoell.de/standpunkte/detail/zurueck/media/artikel/buergerentlastungsgesetz-bundesfinanzminister-steinbrueck-bricht-versprechen-besserverdiener-sind/ Ich hoffe, dass daraus meine differenzierte Sichtweise deutlich wird.

Selbstverständlich habe ich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts begrüßt, denn die Steuerfreiheit des Existenzminimums ist mir eine Herzensangelegenheit. Kritisiert habe ich die Umsetzung des Urteils durch die Bundesregierung:
Im Gesetz der Bundesregierung werden die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge als steuerlicher Abzugsbetrag Berücksichtigt. Dadurch wirkt sich bei der Erstattung die Tarifprogression unmittelbar aus. Der Effekt: Besserverdienende erhalten eine höhere Steuererstattung als Menschen mit niedrigeren Einkommen (Beispiel alleinstehender Arbeitnehmer: Gehalt 44 100 €--> Entlastung: 955 €; Gehalt 18 300 €--> Entlastung 54).

Sozial gerecht ist es allerdings nicht, wenn Steuerpflichtige mit gleich hohen Aufwendungen einen unterschiedlichen hohen Anteil dieser Aufwendungen steuerlich erstattet bekommen und damit einen unterschiedlich hohen Anteil dieser Aufwendungen selbst tragen müssen. Diese Frage stellt sich umso mehr, als das es beim Abzug der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge um die Steuerfreistellung der existenznotwendigen Aufwendungen geht. Warum sollen Menschen mit einem geringeren Einkommen einen höheren Anteil ihres Existenzminimums selbst tragen als diejenigen mit höherem Einkommen?

DIE LINKE hat daher einen Gegenvorschlag im Deutschen Bundestag eingebracht: Um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sozial gerecht umzusetzen, ist statt des Abzugs der Versicherungsbeiträge vom zu versteuernden Einkommen der Grundfreibetrag zu erhöhen. Eine solche Umsetzung legt auch die steuerrechtliche Begründung des Grundfreibetrages nahe, wonach dieser das Existenzminimum der Steuerpflichtigen steuerfrei stellen soll. Wenn also laut Bundesverfassungsgericht die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zum Existenzminimum gehören, so ist es nur logisch, den Grundfreibetrag zu erhöhen. Dies wurde im Rahmen der Diskussion des Bürgerentlastungsgesetzes auch von der Steuergewerkschaft und den Lohnsteuerhilfsverbänden vorgeschlagen. Ergänzend möchte ich anführen, dass auch bei Anhebung des Grundfreibetrags Besserverdienende absolut stärker entlastet werden; allerdings nimmt die relative Entlastung mit zunehmenden Einkommen ab.

DIE LINKE berücksichtigt sehr wohl auch die Interessen der Mittelschicht. Ich möchte an dieser Stelle auf unseren Vorschlag zur Reform der Einkommensteuer verweisen. Wir haben bereits im Mai 2007 gefordert, den sogenannten „Mittelstandsbauch“ durch eine konsequente Linearisierung des Tarifverlaufs der Einkommensteuer abzuschaffen. Der „Mittelstandsbauch“ betrifft gerade die unteren und mittleren Einkommensgruppen. Er ist Ausdruck der Tatsache, dass die Progression überproportional stark zu Beginn des Einkommensteuertarifs zuschlägt. Den entsprechenden Antrag können Sie unter folgendem Link finden: http://dokumente.linksfraktion.net/drucksachen/7716777306_1605277.pdf

Von Ihrer Aussage im letzten Absatz über die „soziale Unterschicht“ distanziere ich mich aufs Schärfste. Das ist eine pauschale, unsachliche und diskriminierende Unterstellung. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise beleidigt sie Menschen, die von Arbeitslosigkeit und geringem Einkommen betroffen sind.
Mit freundlichen Grüßen

Dr. Barbara Höll