Wie stehen Sie zu den Maßnahmen, welche bezüglich Corona eingeleitet wurden und vor allem wie stehen Sie zur Impfpflicht?
Sehr geehrte Frau Becker,
mich interessiert Ihre eigene Meinung, mal sehen ob eine Antwort oder eine politische Antwort, also ein Ausweichen kommt.
Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr H.,
herzlichen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte sie sehr gerne, denn ich glaube, vieles aus der Corona-Zeit ist noch nicht gut besprochen. Vor allem nicht mit all denen, die kritisch mit unseren Entscheidungen und mit den Entscheidungen auf Bundesebene waren.
Die Frage zur Imfpflicht lässt sich leicht beantworten:
Ich war und bin gegen jede Impfpflicht. Weil ich glaube, dass Information und Gespräche mehr bewirken als Zwang. Bei der Diskussion um die Impfpflicht für Pflegekräfte habe ich mich am Ende gegen die grünen Landtagskollegen durchgesetzt (die die energischsten Befürworter waren). Und auch gegen viele aus den bayerischen Regierungsfraktionen. Selbstverantwortung ist ein hoher Wert für mich.
Die Maßnahmen, die in der Zeit der Bedrohung durch das Corona-Virus eingeleitet wurden, bewerte ich im Nachhinein sehr unterschiedlich.
Die Covid-19-Phase ist für möglichst viele Menschen längst Vergangenheit. Für uns CSU-Abgeordnete ist sie noch höchst lebendig. Kennen Sie das Buch „Es muss nicht immer Kaviar sein?“ von Johannes Mario Simmel (ja, das ist ein Roman, kein Sachbuch, ich weiß. Und es ist schon wirklich aus der Zeit gefallen. Aber schön zu lesen und mit ein paar Grundideen versehen, die ich sehr mag). Da gibt es einen Satz, der mich immer beschäftigt hat: „Ein Krieg ist noch lange nicht vorbei, wenn er beendet ist“.
Nein, Corona war kein Krieg (ein Krieg ist so viel schrecklicher, unsere ukrainische Flüchlingsfamilie berichtet manchmal Dinge…).
Aber auch Corona hat noch lange Nachwirkungen. Zum ersten Mal erlebe ich, wie umfassend eine solche Krise nachbereitet werden muss. Natürlich haben wir nicht alles richtig gemacht. Wie auch? Ein solches weltweites Virus hatten wir alle noch nie zu bewältigen.
Dr. Markus Söder werde ich immer dafür schätzen, dass er keine Angst vor der Verantwortung hatte (solche Politiker/innen oder Unternehmenslenker hat es auch gegeben!), und beherzt entschieden hat. Im Nachhinein wissen wir, dass wir z.B. nicht alles selbst in der Hand haben (z.B. die Rückreise-Welle nach den Faschingsferien 2020, danach gingen die Todesfälle in den Altenpflegeheimen durch die Decke, und wir hatten noch keine Schutzmöglichkeiten).
Wir wissen heute, dass Kleinkinder wohl doch keine Superspreader waren (wir hatten täglich 200 sich zum Teil widersprechende Studien zu verarbeiten du auf dieser Grundlage Entscheidungen zu treffen). Manchmal hatte ich recht mit meinem „Bauchgefühl“ (z.B. keine Impfpflicht einzuführen, noch nicht mal bei Pflege- oder Gesundheitsberufen. Persönliche Freiheit ist ein so unendlich hoher Wert…). Manchmal lag ich falsch in meinen Einschätzungen („Die Leute werden dankbar sein, wenn die Gastro oder die Friseure wieder arbeiten dürfen“. Nein, sind sie nicht. Leider, leider).
Heute, lange nach dem Ende der letzten Corona-Beschränkungen, haben wir immer noch wöchentlich einen Jourfixe mit unserem Bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek. Ich darf immer noch dabei sein, obwohl ich schon lange nicht mehr im Gesundheitsausschuss, sondern im Haushaltsausschuss bin. Immer noch lesen wir Studien zu Covid 19. Es teilt sich auf in drei Gebiete:
1. Impfschäden (superkomplex, weil so unterschiedlich und schwer direkt auf die Impfung zurückzuführen) und Therapiekonzepte dazu,
2. Long Covid (mit und ohne Erstimpfung. Grausam, weil auch da die Symptome sehr unterschiedlich und unterschiedlich schwer sind) und Therapiekonzepte dazu
3. Prävention und Strategie (jetzt haben wir ein Pandemie-Lager voll mit Masken und Impfstoffen und Desinfektionsmitteln - die wir ständig aktualisieren müssen. Und als Mitglied des Haushaltsausschusses sehe ich den Tag kommen, an dem wir vom Obersten Rechnungshof aufgefordert werden, das Pandemielager einzustellen, weil das den Staat zu viel Geld kostet.
Ich werde dafür kämpfen, dass der ORH – sollte es so kommen - dabei den Kürzeren zieht). Nie wieder will ich bei den Fränkischen Obstbrennern darum betteln müssen, dass sie ihren Brand verspriten, damit wir Desinfektionsmittel haben. Die Brenner haben das großartig gemacht und sich solidarisch in einer Zeit höchster Not gezeigt. Das werde ich nie vergessen.
Covid 19 war eine riesengroße Krise. Eine große Verschwörung oder ein „jetzt bin ich mal Sheriff“ war es nicht. Schade, dass wir beide keine Zeitreise machen können in das Jahr 2020 oder auch 2021. Und dann mal tauschen. Es hilft ja oft, mal ein paar Schritte in den Schuhen des Anderen zu gehen.
Bayern wurde und wird gut regiert, bei allem, was natürlich auch zu kritisieren und unbedingt zu verbessern ist. Niemand, der Verantwortung tragen darf, macht immer alles richtig. Wir haben „in der Lage“ gehandelt, manches würden wir heute anders machen, aber nicht alles. Wir haben Leute verloren in dieser Zeit. Menschen sind gestorben (wie mein Vater). Menschen sind unsicher geworden (Unternehmer/innen, Long-Covid-betroffene, Impf-Kritische oder -besorgte), Menschen haben uns bestärkt (über 100.000 Tode verhindert, alleine in Bayern, Jobs gerettet, Menschen beschützt). Und dazwischen liegt die Welt.
Ein schöner Eindruck: Immer, wirklich immer, lade ich junge Menschen ein, bei mir Praktikum zu machen. Nach den Corona-Beschränkungen hatte ich den Eindruck, die Jugendlichen hätten jede Sozialkompetenz verloren. Junge Männer, die keinen geraden Satz herausbringen, entsetzlich! In den letzten Wochen habe ich viele von ihnen wieder getroffen. Wundervoll! Sie sind herangereift, haben Sozialkontakte aufgebaut und gepflegt, sind ehrenamtlich tätig, haben eine Berufsausbildung begonnen oder abgeschlossen. Manches/vieles heilt. Junge Menschen sind resilient.
Sehr geehrter Herr H., danke für Ihr Interesse an meiner Haltung. Mich interessiert die Ihre auch. Wenn Sie mögen, einfach noch mal schreiben. Über abgeordnetenwatch.de oder direkt über info@barbarabecker.net.
Herzlich,
BB