Frage an Bärbel Kofler von Achim B. bezüglich Verkehr
Sehr geehrte Frau Dr. Kofler,
je mehr ich darüber lese, desto kritischer sehe ich die geplante Privatisierung der Bahn. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Wird hier nicht ein hoher Wert "verramscht", der über Generationen aufgebaut wurde?
Ist in Zukunft die Versorgung in der Fläche durch die Deutsche Bahn noch sicher gestellt?
Mit freundlichen Grüßen
Achim Breidenstein
Sehr geehrter Herr Breidenstein,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Bahnprivatisierung. Ich kann Ihnen versichern, dass ich mir die Entscheidung nicht leicht mache und in ständigen Kontakt mit den Fachpolitikern der SPD-Bundestagsfraktion stehe. Auf die Informationen, die ich in diesen vielen Gesprächen bekommen habe, stütze ich mich auch in meiner Antwort auf Ihre Fragen.
Bei der Debatte um den Börsengang der Bahn wird immer wieder der Eindruck erweckt, die SPD handle verantwortungslos und wolle Volksvermögen verschenken. Diese Darstellung ist in meinen Augen irreführend, geht es der SPD-Fraktion doch vielmehr darum, die schienenpolitische Gestaltungsverantwortung des Bundes vorausschauend wahrzunehmen, zeitgemäß zu erhalten und in Teilen sogar auszubauen.
1993 wurde aufgrund ständig sinkender Marktanteile, extremer Investitionsrückstände und hoher Verschuldung eine formelle Privatisierung beschlossen. Seitdem sind die Umsätze und Verkehrsleistungen gestiegen, die Produktivität hat um 245 % zugelegt. Mit der Europäischen Einigung und der Globalisierung sind nun völlig neue Herausforderungen für den Schienenverkehr entstanden. Deshalb müssen wir klären, wie wir die DB AG und den Eisenbahnverkehr unter den Anforderungen des EU-Rechts stärken können.
Hier werden drei Möglichkeiten diskutiert. Das erste Konzept wünscht sich eine Bahn, die vollständig in öffentlichem Besitz bleibt. Diese Vorstellung setzt aber eine milliardenschwere Kapitalaufstockung des Bundes voraus, die derzeit nicht zu finanzieren ist. Darüber hinaus ist das Konzept im Bundestag nicht mehrheitsfähig. Die von Union, FDP und den Grünen favorisierte zweite Variante sieht vor, das Netz beim Bund zu belassen und die Verkehrssparten der Bahn zu 100 % zu verkaufen. In diesem Fall würde sich der Bund aber nicht nur seines Einflusses auf die Verkehrsunternehmen berauben. Zugleich würde eine Aufteilung der DB auch das Ende des Beschäftigungsbündnisses bedeuten. Mehr als 50.000 Arbeitsplätze wären dann bedroht. Rund 240.000 Konzernmitarbeiter müssten erhebliche Einbussen beim Lohnniveau und den Sozial-standards befürchten.
Zwischen nicht durchsetzbarer und nicht hinnehmbarer Option plädiert die SPD-Bundestagsfraktion für eine dritte Variante. Mit einer Teilprivatisierung soll die DB AG private Partner erhalten, die ihre Eigenkapitalbasis verbessern. Dadurch kann die DB AG ihre Chancen auf den europäischen Märkten nutzen. Gleichzeitig bleibt der Bund Mehrheitseigentümer und für die Infrastruktur verantwortlich. Hierfür hat Wolfgang Tiefensee einen Gesetzentwurf erarbeitet. Mit ihm wird die Position des Bundes gegenüber der DB AG gestärkt, etwa bei der Infrastruktur: Gleise, Bahnhöfe und Energieversorgung werden nicht privatisiert. Der Bund wird juristischer Eigentümer, die Bahn darf die Infrastruktur aber für 15 Jahre bewirtschaften. Mit einer Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung wird geregelt, welche Netzqualität der Bund vorschreibt und welche Sanktions- und Kontrollmöglichkeiten ihm zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sichert das Gesetz das Beschäftigungsbündnis, gewährleistet fairen Wettbewerb und begrenzt die Haushaltsbelastung.
Wir werden dieses Thema auch bei einer Klausurtagung der SPD-Bundestagsfraktion an diesem Freitag in Berlin ausgiebig diskutieren. Ich darf Ihnen versichern, dass sich die SPD-Bundestagsfraktion ohne Wenn und Aber dafür einsetzen wird, dass die Versorgung in der Fläche nicht in Frage gestellt wird.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bärbel Kofler