Frage an Bärbel Kofler von Helmut S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Dr. Kofler,
In einem Ihrer Texte heißt es: "Das Grundgesetz garantiert also nicht nur die Menschenrechte in Deutschland, sondern verpflichtet uns, uns auf der ganzen Welt für den Schutz der Würde und der Grundfreiheiten der Menschen einzusetzen". (1)
In einer Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestag (2) werden die Praktiken der israelischen Verwaltungsbehörden gegenüber der palästinensischen Bevölkerung in den C-Gebieten der Westbank als "ethnische Verdrängung" charakterisiert, der Begriff "ethnische Säuberung" wird dabei vermieden, weil unmittelbare Gewalt dabei nicht zum Einsatz komme. Andere Definitionen fassen den Begriff "ethnische Säuberung" so, dass es nicht auf die Wahl de Mittel, sondern den Zweck ankommt. Andere Definitionen von "ethnischer Säuberung" stellen auf den Zweck ab, ein bestimmtes Territorium von einer bestimmten Ethnie zu "säubern" und lassen ein breites Spektrum von dabei eingesetzten Mitteln. Nach dieser Definition spricht viel dafür, dass es in den C-Gebieten der Westbank um "ethnische Säuberung" geht, da den dort lebenden Palästinensern die Lebensgrundlagen systematisch entzogen werden.
Mein Fragen:
(1) Von welchem Begriff "ethnischer Vertreibung/Säuberung" gehen Sie in Ihrem Amt als "Beauftragte für Menschenrechtspolitik" ?
(2) Teilen Sie die Festestellungen in der Studie des Wissenschaftlichen Dienstes zur Menschenrechtslage der Palästinenser in den C-Gebieten der Westbank?
(3) Was haben Sie bisher in Ihrem Verantwortungsbereich getan und was gedenken Sie zu tun, um der Mißachtung der Menschenrecht in den C-Gebieten und in den besetzten Gebieten überhaupt entgegen zu wirken?
MfG
H. S.
(1) https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/menschenrechte/01-menschenrechte-fundament
(2) https://www.bundestag.de/blob/515092/.../wd-2-026-17-pdf-data.pdf
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Ethnische_S%C3%A4uberung
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne beantworten möchte.
Als Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung bin ich im Februar dieses Jahres nach Israel und in die Palästinensischen Gebiete gereist, um mir vor Ort ein Bild von der Lage der Menschenrechte zu machen. Mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener israelischer und palästinensischer Organisationen wie „Breaking the Silence“, „Youth against Settlement“ oder „Al Haq“ haben vor Ort Gespräche stattgefunden. Für die Rechte der Palästinenserinnen und Palästinenser und für Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft habe ich mich auch bei persönlichen Gesprächen im israelischen Außenministerium stark gemacht. Ich werde der Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten auch weiterhin meine Aufmerksamkeit schenken.
Auch die Bundesregierung beobachtet die Lage der Menschenrechte in den Palästinensischen Gebieten intensiv. In ihrem jüngsten Bericht über ihre Menschenrechtspolitik hat die Bundesregierung festgestellt, dass es sowohl durch die Palästinensische Behörde (PA), die Hamas in Gaza als auch durch die israelische Besatzung zu Menschenrechtsverletzungen kommt (Vgl. den Abschnitt „Palästinensische Gebiete“ des 13. Berichts der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik, Bundestagsdrucksache 19/7730).
Mit Blick auf die besetzten Gebiete unter vollständiger israelischer Kontrolle beobachtet die Bundesregierung vor allem die Gewalt von israelischen Siedlerinnen und Siedlern gegen die palästinensische Bevölkerung, die Abrisse von palästinensischen Wohngebäuden und die eingeschränkte Bewegungsfreiheit der palästinensischen Bevölkerung mit Sorge. Zwar gewährleistet die israelische Regierung in einem nicht unerheblichen Maß die externe und interne Sicherheit der Bevölkerung im Westjordanland sowie ein weitestgehend geordnetes Zivilleben. Allerdings widersprechen einzelne Maßnahmen der israelischen Regierung den geltenden Regeln des Humanitären Völkerrechts. Die Bundesregierung spricht die Lage der Menschenrechte in den Palästinensischen Gebieten sowohl gegenüber der Palästinensischen Behörde als auch der israelischen Regierung regelmäßig an und förderte 2018 Projektvorhaben in den Palästinensischen Gebieten im Bereich Friedensförderung und Menschenrechte in Höhe von 4,4 Millionen Euro. Eines der geförderten Projekte dokumentiert die israelischen Siedlungsaktivitäten in den 1967 besetzten Gebieten und informiert Betroffene und Beteiligte über ihre Rechte. Auch Projekte zum Schutz von Presse- und Meinungsfreiheit erhalten Förderungen. So etwa ein Social-Media-Projekt, das die jugendliche Bevölkerung in den Palästinensischen Gebieten über ihre Bürger- und Menschenrechte informiert und junge Menschen vernetzt, und ein Projekt, das Strafverfolgungen von Menschenrechtsverteidigern und Journalisten auf Grundlage eines Cyber-Kriminalitätsgesetzes der Palästinensischen Autonomiebehörde aufgreift.
Wie Ihnen sicherlich auch aufgefallen ist, werden in der Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags, auf die Sie verweisen, die Begrifflichkeiten der „ethnischen Verdrängung“ und „ethnischen Säuberung“ nicht verwendet.
In der Ausarbeitung wird ausschließlich anhand juristischer Definitionen aus dem Internationalen Völkerrecht herausgearbeitet, dass im Fall der Palästinenserinnen und Palästinenser in den besetzten Gebieten zwar bewusst die Lebensumstände erschwert werden, aber kein physischen Zwang in Form von gezielter Vertreibung der dort lebenden Bevölkerung ausgeübt wird. Daher könne zwar im juristischen Sinne von Verdrängung gesprochen werden, aber eben nicht von einer Vertreibung im Sinne des Völkerrechts (Vgl. Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 026/17, S. 44 und S. 56).
Auch in Zukunft werde ich den intensiven Austausch mit der israelischen und palästinensischen Zivilgesellschaft, die sich für bessere Lebensverhältnisse der Menschen in der Region engagieren, weiterführen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bärbel Kofler, MdB