Frage an Bärbel Höhn von Ralf R. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Höhn,
eine Frage zu den Steuerplänen der Grünen. Haben die Grünen den Realitätssinn nun komplett verloren und wissen nicht was die Familien verdienen oder besser bezahlen müssen. Fangen bei Ihnen die Reichen und Besserverdienenden bei 60.000,- EUR an? Anscheinend wissen Abgeordnete nicht was der Lebensunterhalt kostet.
Warum schaffen die Grünen nicht alle Subventionen ab? So bekommt weder Grün noch Rot meine eigentlich schon sichere Stimme.
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Reuel
Sehr geehrter Herr Reuel,
die Steuervorschläge der Grünen haben für viel Diskussion gesorgt, auch in meiner Familie. Die öffentliche Diskussion hat sich inzwischen stark versachlicht, seit vielen klar geworden ist, dass bei Umsetzung unserer Vorschläge nur 10% der Steuerzahler mit Mehrbelastungen rechnen müssten, 90% dagegen entlastet würden.
Ich habe zwei erwachsene Söhne, Schwiegertöchter und Enkel, die ich häufig treffe. Natürlich gibt es auch Gespräche mit Bekannten und Freunden. Ich bin also ganz gut dran an der Lebensrealität von insbesondere jungen Familien.
Ich habe gesehen, das sie aus Oberhausen kommen. Dann wissen Sie über die massiven Einschnitte bei sogenannten freiwilligen Leistungen Bescheid. Gerade bei Kindern und Jugendlichen muss gespart werden. Das wollen wir ändern, darum wollen wir zu einer gerechteren Verteilung kommen.
Nun zu unserem Programm: im Gegensatz zu anderen Parteien haben wir es uns zum Ziel gesetzt, ein ehrliches Programm aufzustellen, in dem wir nichts versprechen, was wir nicht nach der Wahl auch finanzieren und damit einhalten könnten. Das meiste Geld zum Schuldenabbau und zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben wollen wir in der Tat aus dem Subventionsabbau und aus Ausgabenkürzungen z.B. für unsinnige Rüstungsprojekte generieren. Zum Abbau der klimaschädlichen Subventionen, Abschaffung der steuerlichen Privilegierung von Dienstwagen etc. finden Sie viele der Vorschläge in Form von Anträgen unter: www.gruene-bundestag.de
In der Tat planen wir darüber hinaus auch moderate Steuererhöhungen für hohe Einkommen und Vermögen. Trotz konjunkturbedingt guter Steuereinnahmen haben Bund, Länder und Gemeinden noch immer hohe strukturelle Defizite. Über Jahrzehnte hinweg wurde es vernachlässigt, in die Infrastruktur zu investieren und ausreichende Mittel für die Bildung bereitzustellen. Auf Dauer gefährdet dies unsere Wirtschaftskraft mehr als jede Steuererhöhung in der Gegenwart. Es ist die Schuldenbremse, die die Politik nun zu neuer Ehrlichkeit zwingt. Wollen wir sie einhalten und keine neuen Schulden mehr machen, gleichzeitig aber in die Infrastruktur und die Bildung investieren, führt an Steuererhöhungen kein Weg vorbei.
Wir wollen niemanden bestrafen. Steuern sind keine Strafen. Sie sind vielmehr der Beitrag, den wir alle für ein funktionierendes Gemeinwesen leisten müssen. Mit unseren Vorschlägen schaffen wir eine gerechtere Balance zwischen der materiellen Leistungsfähigkeit der BürgerInnen und diesem Beitrag. Dies gerät durch Begriffe wie "Belastung" allzu oft in Vergessenheit. Es ist nicht wahr, dass wir die Mittelschicht treffen. Zur Mittelschicht zählt, wer zwischen 70 und 150 Prozent des mittleren Einkommens verdient. Damit reicht die Mittelschicht bei alleinstehenden ArbeitnehmerInnen von einem Bruttoeinkommen von 1.500 Euro bis 4.000 Euro. Wer mehr verdient ist selbstverständlich noch nicht reich, gehört aber bereits zum obersten Fünftel der Gesellschaft. Die Einkommen und Vermögen haben sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten stärker auseinanderwickelt als in den meisten anderen Ländern. Vom Wirtschaftswachstum haben fast ausschließlich die oberen 10 bis 20 Prozent der Menschen profitiert. Daher soll unsere Steuerpolitik auch einen Beitrag dazu leisten, die Auseinanderentwicklung von Einkommen und Vermögen zu stoppen.
Wir wollen das steuerliche Existenzminimum auf 8.712 Euro anheben. Das entlastet alle SteuerzahlerInnen gegenüber dem Steuertarif 2013 um etwa 100 Euro im Jahr. Durch die Anhebung des Spitzensteuersatzes zahlen alle mit einem Bruttoeinkommen von über 5.800 Euro/Monat mehr als bisher. Nur etwa 5 Prozent der ArbeitnehmerInnen in Deutschland haben ein höheres Gehalt. Selbst unter denen, die überhaupt Einkommensteuer zahlen, sind nur 7 Prozent betroffen. Die Steuern für diese Menschen steigen zudem nur moderat an. Der tatsächlich gezahlte Steuersatz eines Arbeitnehmers mit 7.500 Euro Bruttoeinkommen steigt von heute 30,3 Prozent auf künftig 31,6 Prozent. Über 90 Prozent der Steuerzahler zahlen hingegen weniger als heute. Klar ist also auch hier: Die Mittelschicht ist nicht betroffen.
Die weiteren Vorschläge beziehen sich auf die Veränderungen beim Ehegattensplitting. Wir wollen nicht die Ehe, sondern Familien mit Kindern in den Mittelpunkt der Familienförderung stellen. Das Ehegattensplitting spiegelt ein Gesellschaftbild aus den 1950er Jahren. Es subventioniert Alleinverdiener-Ehen und hält Frauen davon ab, eine Erwerbsarbeit anzunehmen. Die EU und die OECD haben Deutschland bereits mehrfach aufgefordert, diese Fehlanreize abzuschaffen. Wir tun dies in sozialverträglichen Schritten. Der Grundfreibetrag kann auf den anderen Partner übertragen werden und zusätzlich sichern wir zunächst einen Splittingvorteil von 1.500 Euro. Paare mit einem Haushaltseinkommen von weniger als 60.000 Euro werden daher von der Reform ausgenommen, selbst dann, wenn es Alleinverdiener-Ehen sind. Bei Paaren mit gleichmäßigerer Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit sieht es noch günstiger aus: Schon Paare, bei denen zum Beispiel der Mann 2/3 und die Frau 1/3 des gemeinsamen Einkommens erwirtschaftet, sind - auch wenn ihre Einkommen höher liegen - von der Reform überhaupt nicht betroffen. Hier greifen dann die oben genannten Vorschläge zur Einkommenssteuer. Die mit der Reform des Ehegattensplittings freiwerdenden Mittel wollen wir schrittweise für den Ausbau der Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur und zum Aufbau einer Kindergrundsicherung nutzen. Diese entlastet Familien mit Kindern und kompensiert Einschränkungen beim Ehegattensplitting.
Schon diese wichtigsten Reformvorschläge der grünen Bundestagsfraktion für Steuern und Abgaben zeigen das Grundkonzept der grünen Bundestagsfraktion: Wir stellen staatliche Handlungsfähigkeit wieder her, indem wir maßvoll Steuern erhöhen. Wir konzentrieren diese Steuererhöhungen auf diejenigen, die es sich leisten können und leisten so einen Beitrag für mehr Gerechtigkeit. Deswegen nehmen wir geringe und mittlere Einkommen von der Reform nicht nur aus, sondern entlasten diese sogar im Rahmen des finanzpolitisch Machbaren.
Mit freundlichen Grüßen,
Bärbel Höhn