Frage an Bärbel Höhn von Matthias K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Höhn,
in der 88. Sitzung des Deutschen Bundestages am Freitag, dem 28.Januar 2011
zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung über die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolution 1943 (2010) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen; Drs. 17/4402 und 17/4561
haben Sie sich der Stimme enthalten. Damit gehören Sie zur Mehrheit der Abgeordneten der Grünen, die sich zu so einem wichtigen Thema nicht festlegen wollen.
Bitte beantworten Sie mir und anderen die Frage, warum sich über 50% der Abgeordneten der Grünen der Stimme enthielten und keine Meinung zu so einem wichtigen Thema haben. Sollten Abgeordnete und Politiker, die nichts zu sagen haben nicht besser ihr Mandat abgeben? Glauben Sie ernsthaft, daß Ihre öffentliche Nichtpositionierung in so einer wichtigen Frage dem Vertrauen zu Ihrer Partei förderlich ist? Was meinen Sie dazu, daß die Grünen in der Öffentlichkeit als Partei der politischen Maulhelden wahrgenommen wird? Ich akzeptiere bei so einer Abstimmung Ja- und Nein-Stimmen. Stimmenthaltung akzeptiere ich nicht, und von den Grünen schon gar nicht.
Mit freundlichen Grüßen,
Matthias Kesselring
Sehr geehrter Herr Kesselring,
dass sich viele Abgeordnete der Grünen zu dieser fraglos wichtigen Entscheidung enthalten haben, hat nicht den Grund, dass sie dazu keine Meinung hätten. Im Gegenteil ging meiner Enthaltung eine intensive Auseinandersetzung mit dem Sachstand und viele Abwägungen voraus. Die Enthaltung sollten sie also nicht mit einer Nichtpositionierung gleichsetzen.
Der Grund für meine Entscheidung, mich bei dieser Abstimmung der Stimme zu enthalten, hat folgenden Grund:
meiner Meinung nach ist es nicht vertretbar, die Bundeswehr sofort aus Afghanistan abzuziehen. Ich befürchte, dass diese Maßnahme das Land wieder in einen Bürgerkrieg stürzen würde und die Afghanischen Sicherheitskräfte noch nicht in der Lage sind, ohne Hilfe von außen die Verhältnisse im Land zu stabilisieren. Deshalb habe ich nicht gegen die Mandatsverlängerung gestimmt.
Meine Zustimmung hätte dagegen bedeutet, dass ich die strategische Ausrichtung des Mandates, die die militärische Komponente in den Vordergrund stellt und damit zur Eskalation beiträgt, unterstützt hätte. Das letzte Jahr hat gezeigt, dass die Strategie der Bundesregierung bisher nicht aufgegangen ist. Stattdessen hat die Bundesregierung versäumt, eine verantwortbare Abzugsstrategie und eine Agenda für den zivilen Aufbau vorzulegen. Sie sperrt sich außerdem gegen eine unabhängige Evaluierung und Wirksamkeitsanalyse des deutschen Engagements in Afghanistan.
Meiner Meinung nach brauchen wir in Afghanistan eine Strategie mit der Prämisse "Zivil vor Militär", die die Lebenssituation der Bevölkerung vor Ort verbessert und ihre verfassungsmäßigen Grundrechte stärkt. Ich fordere also einen Strategiewechsel ein, der für eine effektivere Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort sorgt, Hilfe beim Aufbau staatlicher, ziviler und polizeilicher Institutionen leistet und die militärische Komponente angemessen zurückfährt.
Sie können meine Enthaltung also verstehen als eine Ablehnung der Mittel und Instrumente, die zurzeit in Afghanistan eingesetzt werden und eine Zustimmung zur Unterstützung der Eigenständigkeit, Verbesserung der Menschenrechtslage und der Lebensbedingungen der Afghaninnen und Afghanen.
Ich hoffe, dass Sie meine Beweggründe für die Enthaltung nun besser verstehen können.
Ich möchte Ihnen aber noch etwas allgemeines zur Position der Grünen in der Debatte darlegen: Wir Grünen sind die einzige Partei, die offen über dieses Thema streitet und versucht, eine differenzierte Diskussion zu führen und eine differenzierte Lösung zu finden. Dass Grüne dabei nicht immer einer Meinung sind, zeigt unter anderem das Abstimmungsverhalten zu den Einsätzen. Uns vorzuwerfen, dass wir zu der Verlängerung des Einsatzes keine Meinung hätten, halte ich aber für zu kurz gegriffen. Afghanistan bietet keine einfachen Lösungen, das wird bei den Diskussionen deutlich.
Mit freundlichen Grüßen
Bärbel Höhn