Frage an Bärbel Höhn von Markus S. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrte Frau Höhn,
aktuell wurde ein Appell von über 400 Wissenschaftlern zur grundlegenden Wende in der Agrarpolitik formuliert, eine Wende weg von der Massentierhaltung und Agrarindustrie mit Veränderung zu einer sozial-ökologischen Landwirtschaft ( http://www.gegen-massentierhaltung.de ).
Diese Forderungen teile ich und mit mir weite Teile meines (durchaus bürgerlichen) Umfeldes. Mit den Grünen verbinden viele Menschen die Hoffnung auf eine tatsächliche, grundlegende Wende in dieser wichtigen Frage. Als politisch interessierter Mensch habe ich versucht konkrete Konzepte, Forderungen oder Ideen der Grünen zu finden die eine solche Wende realistisch erscheinen lassen. Unkonkrete Forderungen nach mehr Transparenz oder mehr Verbraucherschutz sind natürlich immer richtig und lassen sich auch schnell auf den Seiten der Grünen finden.
Meine Fragen: gibt es denn überhaupt konkrete Ideen oder Konzepte die stabil und gleichzeitig mutig genug sind um hier eine klare Perspektive erkenenen zu können? Gibt es insbesondere konkrete Forderungen von Ihnen, Produkte aus Massentierhaltung (und deren Erzeugnisse!) als solche auch zu kennzeichnen? Besonders interessiert mich dies im Hinblick auf weiterverarbeitete tierische Produkte (bspw. auch Nudeln die mit Eiern hergestellt wurden) und Produkte die in der Gastronomie (bspw. in Fastfood-Ketten) angeboten werden.
Es ist mir völlig unverständlich weshalb noch keine konsequente Pflicht zu Transparenz und Kennzeichnung existiert. Mehr als 50% der Bevölkerung lehnen Massentierhaltung ab und dennoch gelingt es der Industrie mit genau diesen Produkten aus Massentierhaltung einen Marktanteil von über 96% zu erreichen. Keine Kennzeichnung lässt die Herkunft aus Verbrauchersicht offen, hier besteht ganz offensichtlich dringender politischer Handlungsbedarf.
Ich würde mich freuen wenn Sie mir Ihre Sicht und vor allem Ihre Haltung speziell zum Thema Transparenz und Kennzeichnung mitteilen könnten.
Danke und viele Grüße,
Sehr geehrter Herr Schwarzkopf,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage.
Auch wir Grünen fordern, den weiteren Ausbau der Massentierhaltung zu stoppen und stattdessen umwelt- und tiergerechte Haltungsformen zu fördern. Ich persönlich und mehrere andere grüne Bundestagsabgeordnete haben die Initiative Gegen-Massentierhaltung auch unterzeichnet.
Der jüngste Dioxin-Skandal hat erneut deutlich gemacht, dass wir einen Systemwechsel in der Landwirtschaft brauchen: weg von der agrarindustriellen auf den Export ausgerichteten Produktion, hin zu einer verbraucherorientierten, fairen, umwelt- und tiergerechten bäuerlichen Landwirtschaft.
Renate Künast und ich haben in unserer Zeit als Agrarministerinnen im Bund und Land erste Schritte in Richtung einer grünen Agrarwende unternommen. Unter den Ministern Seehofer und Aigner dagegen, kam es zu einem Rollback hin zur alten industriellen Landwirtschaft, in der es allein um immer billigere Massenware geht, zu Lasten von Tier, Bauern, Verbrauchern und der Umwelt.
Unter grüne Regierungsbeteiligung wurden einige Erfolge für den Tierschutz erzielt.
1999 habe ich mit meiner Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Käfighaltung von Legehennen die Grundlage gelegt für die spätere Legehennenverordnung von Renate Künast, die tierquälerische Käfighaltung von Hühnern bis Ende 2005 verbieten sollte. Leider hat aber die schwarz-rote Koalition im Jahr 2005 auf Druck der Käfiglobby dieses Verbot zum Teil wieder aufgehoben. Ich freue mich, dass das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2010 nun diese Regelung zur Kleingruppenhaltung, die die Käfighaltung letztendlich nur fortschreibt, als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt hat, weil die Tierschutzinteressen nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Die Bundesregierung muss die Verordnung nun überarbeiten.
In die Amtszeit von Renate Künast fiel auch die Kennzeichnung von Schaleneiern. Dadurch wurden fast alle Schaleneier aus Käfighaltung auf deutschen Supermärkten verdrängt, weil die Verbraucher sie, wie sie ja auch richtig schreiben, nicht wollen. Als nächsten Schritt müssten nun auch verarbeitet Eier gekennzeichnet werden, damit die Verbraucher auch bei solchen Produkten die Möglichkeit haben, sich gegen Käfigeier zu entscheiden.
Unter der grünen Regie wurde auch endlich der Tierschutz im Grundgesetz verankert. Ich habe zu meiner Amtszeit zudem die Investitionsförderung für Tierfabriken gekappt und statt dessen den Bau von Solarthermie auf Scheunendächern und Ställen gefördert. Mit der Schweinetierhaltungsverordnung habe ich die Haltungsbedingungen von Schweinen in NRW deutlich verbessert. Leider hat mein Nachfolger von der CDU diese Erfolge wieder zurückgedreht.
Für die Zukunft wollen wir Grünen folgende Dinge für den Tierschutz bei Nutztieren erreichen:
- Wir wollen die artgerechte Tierhaltung in der Gesetzgebung und der landwirtschaftlichen Praxis verankern: Das impliziert zum Beispiel ein Verbot der Käfighaltung von Legehennen und die Durchsetzung von tiergerechten Haltungsvorschriften für alle Nutztierarten
- Wir wollen eine Änderung im Bau- und Immissionsrecht, um die privilegierte Genehmigung von Megaställen zu behindern und die Öffentlichkeitsbeteiligung zu verbessern
- Öffentliche Gelder für gesellschaftliche Leistungen: Das heißt keine staatliche Förderung industrieller Tierhaltung, statt dessen Förderung einer tier- und umweltgerechten bäuerlichen Landwirtschaft
- Ausweitung der Herkunfts- und Haltungskennzeichung auf tierische Produkte wie Fleisch- und Wurstwaren, sowie verarbeitete Produkte mit Ei.
- Wir wollen ein Tierschutz-Label damit die Verbraucherinnen und Verbraucher sich bewusst für Produkte aus artgerechter Tierhaltung entscheiden können und damit vorbildliche Bauern einen Wettbewerbsvorteil auf dem Markt erhalten
- Wir fordern einen Tierschutz-TÜV für zum Beispiel Stalleinrichtungen, Schlachthöfe, Betäubungsgeräte etc.
Ein entsprechender grüner Antrag gegen die Massentierhaltung, die wir am 24.2.2011 im Bundestag namentlich zur Abstimmung gestellt haben, hat leider keine Mehrheit gefunden.
Mit freundlichen Grüßen
Bärbel Höhn