Frage an Axel Schäfer von Holger W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Schäfer,
Sie schreiben an Herrn Pölker:
"...aber wenn auch nur ein einziger Terroranschlag durch unsere gesetzlichen Maßnahmen verhindert wurde und nur ein einziger potenzieller Terrorist durch diese Regelungen von seiner Tat abgehalten wurde, dann hat das Gesetz meines Erachtens bereits seinen Mehrwert bewiesen."
Dazu meine Fragen: Der Legitimation zur heimlichen Online-Durchsuchung steht eine erhebliche Einschüchterung aller Bundesbürger gegenüber, weil es sich gezeigt hat, daß jede Ermittlungsmaßnahme, die Anfangs nur für Einzelfälle gedacht war, über kurz oder lang zur Standardmaßnahme verkommen ist, siehe z.B. Telefonüberwachung.
Rund 80 Mio Bundesbürger werden ihrem eigenen Rechner nicht mehr Vertrauen. Aber Sie meinen tatsächlich, die Verhinderung eines einzigen Terroranschlages wäre diesen 80-millionenfachen Verlust in die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme wert? Kennen Sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit?
Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie tief die Ermittler in die Gedanken- und Gefühlswelt eindringen, wenn sie einen privaten Computer durchsuchen? Alleine der Browserchache offenbart schon mehr über die Persönlichkeit des Nutzers, als dessen unmittelbares soziales Umfeld über diesen weiß.
Jedes Jahr sterben in Deutschland zwischen 4000 und 5000 Menschen im Straßenverkehr. Nach Ihrer Logik würde das ein Verbot des Individualverkehrs rechtfertigen. Das tun Sie aber natürlich nicht. Und warum? Weil die 4000 Toten die Freiheit des Individualverkehrs wert sind und weil jeder Bürger bereit ist, 4000 Tote (früher sogar weitaus mehr) hinzunehmen, um seine Freiheit leben zu dürfen.
Noch eine Frage: Wenn Ihnen die Verhinderung eines einzigen Terroranschlags so einschneidende Eingriffe in die Grundrechte der Bürger wert ist, warum zeigt die Bundesregierung nicht in weitaus lohnenderen Bereichen, wo man mehr Leben retten könnte, denselben (m.E. nach blinden) Aktionismus?
mfg H. Wiechmann
Sehr geehrter Herr Wiechmann,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Sie schreiben: „Der Legitimation zur heimlichen Online-Durchsuchung steht eine erheblich Einschüchterung aller Bundesbürger gegenüber, weil es sich gezeigt hat, dass jede Ermittlungsmaßnahme, die Anfangs nur für Einzelfälle gedacht war, über kurz oder lang zur Standardmaßnahme verkommen ist (…)“.
Das ist ein schwerer und aus der Luft gegriffener Vorwurf.
Ich darf Sie dazu auf meine Antwort an Frau Wissmann vom 18.12.2008 in diesem Forum verweisen. Dort schrieb ich unter anderem:
„(…) Natürlich darf das BKA diese neuen Befugnisse nur unter strikter Beachtung unserer verfassungsrechtlichen Grundsätze in eng umgrenzten Fällen anwenden. Hierzu gehört auch, dass besonders eingriffsintensive Maßnahmen nur gegenüber dem Tatverdächtigen bzw. seiner Kontakt- und Begleitperson angeordnet werden dürfen. Außerdem muss der Kernbereich privater Lebenssphäre für das BKA tabu bleiben. Die Verwendung von Informationen aus diesem Kernbereich ist deshalb grundsätzlich verfassungswidrig und nicht gestattet. Daher spielte für uns die Kernbereichskontrolle eine besonders wichtige Rolle. Wir haben erreicht, dass abgesehen von der generell erforderlichen richterlichen Anordnung einer Online-Untersuchung jeweils drei Mitarbeiter des BKA über etwaige Verletzungen des Kernbereichs zu befinden haben. Der weisungsunabhängige Datenschutzbeauftragte des Bundeskriminalamtes hat hierbei eine Schlüsselrolle. Denn nicht erst bei seinem begründeten Verdacht, sondern auch schon bei Zweifeln muss ein Richter hinzugezogen werden. Diese Regelung wurde auch durch den Bundesdatenschutzbeauftragten für Datenschutz, Peter Schaar, für geeignet befunden. Durch diese besonderen Hürden bleiben wichtige Bürgerrechte gewahrt und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes im Gesetz erfüllt. (…)“
Deutschland ist ein Rechtsstaat und ein Gesetz ist ein Gesetz. Was darin festgeschrieben ist, kann gar nicht verwässert werden, oder – wie Sie behaupten – „zur Standardmaßnahme verkommen“.
Sie schreiben weiter: „Rund 80 Mio. Bürger werden ihrem eigenen Rechner nicht mehr vertrauen.“
Mit dieser Aussage nehmen Sie an, dass 80 Mio. Bürger nach Ansicht eines unabhängigen Gerichtes schwerstkriminelle Handlungen planen.
Wie bereits mehrfach erwähnt: Nur derjenige, der tatsächlich schwerkriminell ist oder eine terroristische Handlung plant, kann überhaupt durch richterlichen Beschluss einer Online-Durchsuchung unterzogen werden.
Es besteht also kein Grund für den „normalen“ Internetnutzer anzunehmen, in irgendeiner Weise „ausspioniert“ zu werden. Ich befürchte auch keinen „80-millionenfachen Verlust in die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“. Im Gegenteil: Ich habe viele Zuschriften von Bürgerinnen und Bürgern erhalten, die in der terroristischen Bedrohung eine reelle Gefährdung sehen und Gesetze mit Augenmaß und hohen rechtlichen Hürden, wie das BKA-Gesetz, befürworten.
Was Ihre Äußerungen zur Höhe der Verkehrstoten betrifft: Initiativen in einem Politikbereich schließen Initiativen in einem anderen Politikbereich nicht aus. Bei uns gibt es kein „entweder, oder“. Und: Die Bundesregierung handelt grundsätzlich nicht aus „Aktionismus“ sondern reagiert mit Gesetzesvorhaben auf die Belange in der Gesellschaft.
Mit freundlichem Gruß
Axel Schäfer