Frage an Axel Schäfer von Sascha S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Schäfer,
In Bezug auf den Ratifizierung des EU-Vertrages durch den Bundesrat haben Sie auf Ihrer Homepage folgende Aussage veröffentlicht:
"Die SPD begrüßt die überwältigende Mehrheit, mit der der Bundesrat den Vertrag von Lissabon angenommen hat."
Quelle: www.axelschaefermdb.de/more.php?id=637_0_1_0_M
In diesem Zusammenhang erscheint mir Ihre und die Haltung Ihrer Partei aus folgendem Grund sehr missverständlich.
Noch auf der Basis des zur Zeit geltenden EU Rechts hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil vom 03.04.2008 festgestellt, dass das niedersächsische Vergabegesetz nicht mit der EU-Dienstleistungsfreiheit vereinbar ist. (Urteil: C- 346/06).
Im konkreten Fall bedeutet das, dass die Kündigung eines Vertrages mit einem Bauunternehmen durch das Land Niedersachsen nicht rechtens ist, obwohl dieses Bauunternehmen (durch einen polnischen Subunternehmer) nur knapp 50% des örtlich geltenden Branchentarifvertrages zahlte.
Der durch das Entsendegesetz festgelegte Mindestlohn verstößt also nach diesem Urteil gegen die EU-Dienstleistungsfreiheit.
Nun fordert die SPD seit 2005 einen gesetzlichen Mindestlohn und gleichzeitig gehören auch Sie persönlich zu den Unterstützern des Vertrages von Lissabon. Da der Vertrag von Lissabon sich in Bezug auf die EU-Dienstleistungsfreiheit sich nicht wesentlich von dem alten Vertragswerk unterscheidet und auch in Zukunft damit zu rechnen ist, dass der EuGH nationale Mindestlöhne als unwirksam erklärt, stellt sich mir die Frage, warum die SPD und im speziellen Sie für den Vertrag von Lissabon gestimmt haben, obwohl dieser eine Hauptforderung der SPD seit 2005 (Mindestlöhne) offensichtlich ausschließt.
Mit freundlichen Grüßen
Sascha Steffens
Sehr geehrter Herr Steffens,
die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes im Rechtsstreit zwischen der Firma Rüffert und dem Land Niedersachsen hat auch uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verärgert. Tatsächlich lässt das Urteil eine neoliberale Tendenz des Gerichtshofes erkennen, die sich jüngst auch in anderen Urteilen offenbart hat. Zugleich offenbart das Urteil aber auch Mängel in den europäischen Gesetzen, die dem Urteil zugrunde lagen. Seit langem fordern wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes in der sogenannten Entsenderichtlinie, auf die sich der Gerichtshof in seinem Urteil stützt. Eine solche Änderung kann aber nur mit den nötigen Mehrheiten im Europäischen Parlament und in den Mitgliedstaaten erreicht werden. Für diese Mehrheiten kämpfen wir.
Die Forderung nach einem Mindestlohn wird durch das Gerichtsurteil im Falle Rüffert gestärkt und nicht geschwächt! Denn der Europäische Gerichtshof erklärte den im niedersächsischen Vergaberecht festgeschriebenen Mindestlohn nur deshalb für ungültig, weil es sich um keinen echten Mindestlohn handelte. Das niedersächsische Vergaberecht schreibt für öffentliche Aufträge die Einhaltung der geltenden Tarifverträge vor. Ein Mindestlohn wäre nach der Auslegung des EuGH dann zulässig, wenn er für allgemeinverbindlich erklärt wird. Da die Bindung an die Tarifverträge in Niedersachsen nur für die öffentlichen Aufträge, nicht aber für den Privatsektor gelten, konnte der Europäische Gerichtshof die Vorgaben des niedersächsischen Vergaberechts für ungültig erklären.
Nur mit einem echten, allgemeingültigen Mindestlohn können wir deshalb Lohndumping verhindern. Die Festlegung von unterschiedlichen Mindestlöhnen in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen ist dabei unproblematisch. Deshalb setzt die SPD sich in der Koalition auch weiterhin und mit Erfolg für Mindestlöhne in Deutschland ein.
Der Lissabon-Vertrag ist noch nicht in Kraft getreten und kann deshalb auch nicht schuld an dem Urteil des EuGH sein. Daß der neue Vertrag ähnliche Urteile in Zukunft verhindert, ist zu hoffen, da er aus sozialdemokratischer Sicht einen wichtigen sozialpolitischen Fortschritt darstellt. Zu nennen ist die Sicherung der staatlichen Vorsorge in Artikel 14 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU und im Protokoll 26 über Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Durch die Verbindlichkeit der Grundrechtecharta der Europäischen Union werden die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger gestärkt. Dazu gehören auch wichtige Arbeitnehmerrechte, so wie das Recht auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung (Art. 30), das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen (Art. 31 Abs 1) und das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit (Art. 31 Abs. 2).
Die Entscheidung, den Vertrag von Lissabon zu ratifizieren war deshalb richtig. Die Bürgerinnen und Bürger der EU können mit durch diesen Vertrag nur dazugewinnen. Durch die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen im Rat der Minister und durch die gleichberechtigte Beteiligung des Europäischen Parlaments kann die EU zukünftig in vielen Politikbereichen schneller und demokratischer entscheiden. Wie sie entscheidet, hängt aber davon ab, welche politischen Mehrheiten in den Mitgliedstaaten und im Europäischen Parlament herrschen. Unsere Ziele – ein soziales Europa, Mindestlöhne und einen hohen Lebensstandard für alle Bürgerinnen und Bürger – werden wir nur mit sozialdemokratischen Mehrheiten schaffen. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung.
Mit freundlichen Grüßen
Axel Schäfer