Frage an Axel Schäfer von Saeid Y. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Schäfer,
am 28. und 29. Juli stürmten irakische Sicherheitskräfte Camp Ashraf (Heimstätte von iranischen Oppositionellen) gewaltsam. Iranische Führung bemüht sich die Oppositionelle im Irak parallel zur Unterdrückung der Aufstände im Innen des Landes zu vernichten. Die Welt 25.08.09 http://www.welt.de/die-welt/politik/article4391295/Abschiebung-in-den-Tod.html
Die Opfer: 11 Tote, 443 Verletzte und 36 Verschleppte. 36 Geiseln und hunderte Menschen in Ashraf befinden sich seit 50 Tage im Hungerstreik, um ihre Rechte und Sicherheit gewährleistet werden. Dort leben 3.500 Menschen, darunter 1000 emanzipierte Frauen, die mit Erniedrigung zum sexuellen Missbrauch bedroht wurden. TV-Berlin 11.09.09: http://www.tvb.de/magazine/meldungen/datum/2009/09/11/fruehcafe-talk-ueber-den-konflikt-im-fluechtlingslager-ashraf-11092009.html
Amnesty International http://www.amnesty.org.au/news/comments/21676/ , UNHCR http://www.unhcr.org/refworld/docid/4a7fdcbdc.html, OMCT (World Organisation Against Torture) http://www.omct.org/index.php?id=?=eng&actualPageNumber=1&articleId=8733&itemAdmin=article, die internationale Liga für Menschenrechte http://www.ilmr.de/2009/07/29/keine-auslieferung-der-bewohner-von-camp-ashraf-in-den-iran/ und Anwälte ohne Grenzen sowie zahlreiche weitere Menschenrechtsorganisationen und auch deutsche Politiker u. a. Bundestagsabgeordnete verurteilten das Verhalten der irakische Sicherheitskräfte. Günter Nooke Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung hat sich besorgt erklärt http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Infoservice/Presse/Meldungen/2009/090805-Nooke-Lager-Ashraf.html. Mehrere Mitglieder des US-Kongresses haben sich ganz klar dazu geäußert. Washington Times 10.09.09 http://www.washingtontimes.com/news/2009/sep/10/embassy-row-87016582/
Nun meine Frage als ein Deutsch-Iraner:
wie positionieren Sie sich als ein Menschenrechtsliebender Außenpolitiker im Bezug auf Aschrafbewohner?
Mit freundlichen Grüßen
S. Yeganeh
Sehr geehrter Herr Yeganeh,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 14. September 2009. Ich habe mich mit Ihrem Anliegen an meine zuständigen Fachkollegen in der SPD-Bundestagsfraktion gewandt.
Uns liegen bedauerlicherweise keine eigenen Erkenntnisse über irakische Übergriffe in „Camp Ashraf“ gegen Personen oder Einrichtungen der Mujahedin-eKhalq und Auseinandersetzungen zwischen der irakischen Armee und Kampfeinheiten der Mujahedin-eKhalq vor. Übereinstimmenden Angaben der irakischen Regierung, der Mujahedin-eKhalq und den Vereinten Nationen zufolge haben sich irakische Sicherheitskräfte am 28. Juli 2009 gewaltsam Zugang zum Lager Ashraf verschafft. Die irakischen Sicherheitskräfte agierten offenbar mit dem Ziel, innerhalb des Geländes eine Polizeistation einzurichten und die irakischen Souveränitätsrechte über das Gelände durchzusetzen. Die irakische Kommission zur Beaufsichtigung des Lagers Ashraf ließ am 29. Juli 2009 verlauten: „Einige Gruppen dieser Organisation (gemeint: Mujahedin-eKhalq) hatten Angehörige der irakischen Armee während der Ausübung und Erfüllung ihrer Aufgaben angegriffen. Die irakischen Einheiten haben jedoch diese Angriffe gemäß den Befehlen, die ihnen ihre höchsten Instanzen erteilt hatten, um die Angehörigen dieser Organisation human zu behandeln, mit hoher Selbstbeherrschung erwidert.“ Am 10. August 2009 konnte eine Delegation aus Mitarbeitern der „United Nations Assistance Mission for Iraq“ (UNAMI) und des „United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs“ (OCHA) das Lager besuchen. Nach deren Angaben gab es zehn Todesopfer. Die Delegationsmitglieder gaben weiterhin an, Verletzte mit Schussverletzungen gesehen zu haben. Über die Anzahl von Verletzten gibt es nur unbestätigte Angaben der Mujahedin-eKhalq selbst, wonach 485 Personen verletzt worden seien, davon 42 schwer. Die UN-Vertreter bestätigten am 11. September 2009 gegenüber der Deutschen Botschaft Bagdad, dass bei der Erstürmung des Lagers Ashraf 36 Bewohner inhaftiert wurden, die sich weiterhin in Polizeigewahrsam befänden.
Die Bewohner des Lagers Ashraf genießen völkerrechtlichen Schutz nach dem Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte der Vereinten Nationen, den der Irak ratifiziert hat. Dieser Pakt sieht die Achtung der Menschenrechte für alle Personen vor, die sich auf dem Gebiet des Irak befinden und irakischer Herrschaftsgewalt unterstehen. Dazu zählt beispielsweise das Verbot, eine Person in ein Land abzuschieben, in dem dieser Folter, erniedrigende Behandlung oder Strafe drohen. Der Irak ist jedoch nicht Vertragspartei der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und unterliegt daher auch nicht den darin aufgeführten Pflichten. Nach Angaben des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) hat in den letzten Jahren kein Bewohner des Lagers Ashraf beim UNHCR die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft beantragt. Der UNHCR setzt sich jedoch aus humanitären Gründen für den Schutz der Mujahedin-eKhalq ein und intervenierte bei den irakischen Behörden. Die Bewohner des Lagers Ashraf haben nicht den Status geschützter Zivilpersonen nach dem IV. Genfer Rotkreuzabkommen, denn das Lager ist kein besetztes Gebiet im Sinne dieses Abkommens. Es steht daher den Einwohnern des Lagers frei, individuell Asyl zu beantragen.
Mit Inkrafttreten des „Agreement between the USA and the Republic of Iraq on the withdrawal of US Forces from Iraq and the organization of their acitivities during their temporary presence in Iraq“ am 1. Januar 2009 und dem faktischen Rückzug der US-amerikanischen Truppen ist auch die Kontrolle über das Lager Ashraf an den Irak übertragen worden. US-Außenministerin Hillary Clinton erklärte am 29. Juli 2009, die USA blieben in der Frage „Camp Ashraf“ engagiert, aber eine Lösung liege nun in den Händen der irakischen Regierung. Irakische Regierungsvertreter haben mehrfach bekräftigt, das Lager Ashraf in absehbarer Zeit auflösen zu wollen und dessen Insassen innerhalb des Irak umzusiedeln oder sie nach Wunsch in ein Drittland zu befördern. Über das konkrete Vorgehen und einen konkreten Zeitpunkt liegen mir jedoch keine Erkenntnisse vor. Gleichzeitig versicherten irakische Regierungsvertreter, sie wollten den Schutz der Bewohner des Lagers Ashraf sicherstellen, da Übergriffe von Gruppen, die Racheakte verüben wollten, nicht auszuschließen seien.
Der Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt, Günter Nooke, hat am 5. August 2009 erklärt: „Die Berichte, die wir aus dem irakischen Lager Ashraf erhalten, sehe ich mit Sorge. Ich rufe alle Beteiligten auf, zur Besserung der humanitären Situation im Lager beizutragen.“ Der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Bagdad hat die Problematik um das Lager Ashraf am 4. August 2009 gegenüber dem irakischen Premierminister Nuri Al-Maliki angesprochen. Der Geschäftsträger der Deutschen Botschaft Bagdad sprach das Problem gegenüber der irakischen Menschenrechtsministerin Wijdan Salim erneut am 2. September 2009 an; Vertreter des Auswärtigen Amts hatten die Angelegenheit bereits am 21. August 2009 gegenüber dem irakischen Botschafter in Berlin thematisiert. In allen Gesprächen wurde die Einhaltung der Menschenrechte eingefordert. Die Deutsche Botschaft Bagdad steht darüber hinaus in engem Kontakt mit den EU-Partnern, den UN-Organisationen und der US-Botschaft vor Ort, um Informationen über die Lage auszutauschen.
Mit freundlichen Grüßen
Axel Schäfer