Frage an Axel Schäfer von Jonas Z. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Schäfer,
mich interessiert Ihre Meinung zum Entwurf des Bundeskabinetts zur Änderung des Telemediengesetzes vom 22.04.2009.
Wie bewerten Sie Punkte des Gesetzes, die - in meinen Augen - einen erheblichen Eingriff in die demokratische Informationsfreiheit darstellen:
1. Warum wird in diesem Fall eine interne, untransparente Kriterienliste im BKA angestrebt, die im schlimmsten Falle eine unrechtmäßige Erweiterung der Sperrungs- und Indizierungskriterien begünstigt?
2. Warum kann nicht durch einen richterlichen Entschluss eine Indizierung erfolgen bzw. eine solche Kriterienliste erarbeitet werden?
3. Wie bewerten Sie das Verhältnis zwischen den tatsächlichen Wirkungen des Gesetzes und den Einschränkungen der Informationsfreiheit?
Kinder vor Misshandlung zu schützen und Kinderpornographie zu verhindern ist ein wertvolles Ziel, dem sich sicherlich auch niemand der Mitzeichner der Petition entgegenstellen würde. Doch zeichnet sich die moderne Demokratie doch auch durch weitreichende Freiheiten und v.A. Transparenz in der Ausübung der (und nicht nur) Exekutivmacht aus. Aus diesen Gründen halte ich den Gesetzentwurf für problematisch und interessiere mich für Ihre Stellungnahme.
Mit freundlichen Grüßen,
Jonas Zimmermann,
Bochum
Sehr geehrter Herr Zimmermann,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich habe diese seinerzeit direkt an die Fachpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion mit der Bitte um Berücksichtigung in den Verhandlungen zum Zugangserschwerungsgesetz weitergeleitet.
Gerne nehme ich zu den Ergebnissen und Ihren Fragen Stellung, wobei ich ein wenig ausholen muss, um die doch recht komplexen Zusammenhänge zu diesem sensiblen Thema deutlich machen zu können. Die SPD ist sowohl eine Partei der Bürgerrechte als auch eine Partei, die die Sicherheitsinteressen aller mit Augenmaß vertritt. Als Abgeordneter und als Privatperson habe ich sowohl Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland als auch ein Eigeninteresse daran, dass die Balance zwischen den Freiheitsrechten für jedermann auf der einen und den Sicherheitsinteressen des Staates bei der Bekämpfung von Kriminalität gewahrt bleibt. Dies ist uns bei den Verhandlungen zum Zugangserschwerungsgesetz auch gelungen. Im Folgenden möchte ich Ihnen die ausgehandelten und vom Deutschen Bundestag mit Mehrheit verabschiedeten Regelungen detailliert erläutern.
Ich bin überzeugt, wir alle wollen einen effektiven Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung. Die SPD-Fraktion hat dazu mit einem Anfang Mai beschlossenen 10-Punkte-Plan ein umfassendes Konzept mit konkreten zusätzlichen Maßnahmen vorgelegt. Eine unserer Kernforderungen lautet, dass die Strafverfolgungsbehörden dauerhaft personell und technisch gut ausgestattet sind und die internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden weiter gestärkt wird.
In den vergangenen Jahren haben wir zudem bereits das Herstellen, die Verbreitung und den Besitz von Kinderpornografie lückenlos unter Strafe gestellt. Der Kampf gegen Kinderpornografie hat viele Facetten, die sich ergänzen und nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. Unabhängig von der Frage, ob der Missbrauch von Kindern selbst zugenommen hat, stellt sich zunehmend das Problem der Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten im Internet. Dies liegt an den Besonderheiten des Internets, in dem auch rechtswidrige Inhalte schnell verbreitet und anonym sowie ohne soziale Kontrolle konsumiert werden können. Die Bekämpfung der Verbreitung von Kinderpornografie im Internet ist deshalb ein wichtiges Thema. Das dürfte weitgehend unbestritten sein. Auch ist das Internet kein rechtsfreier Raum. Ein rechtswidriges Verhalten dort kann selbstverständlich strafbar sein oder zivilrechtlich verfolgt werden.
Fraglich ist letztlich, mit welchen Maßnahmen die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte im Internet angemessen, rechtsstaatlich sauber und möglichst effektiv verhindert oder zumindest erschwert werden kann.
Bereits nach heutiger Rechtslage werden Kinderpornografie-Seiten, die sich auf deutschen Servern befinden, von den Internetprovidern heruntergenommen. Ein solcher direkter Zugriff ist im Ausland nicht möglich. Nur deshalb stellt sich die Frage nach Zugangssperren. Es geht hierbei aber nicht um eine Internetzensur – es geht um die Bekämpfung krimineller Handlungen in einem ganz besonders gelagerten Fall. Mit dem Gesetz wird das Ziel verfolgt, den Zugang zu kinderpornografischen Inhalten zu erschweren. Uns ist bekannt, dass versierte Nutzer diese Sperrung technisch umgehen können. Es kommt aber auch darauf an, die Hemmschwelle, die an dieser Stelle in den letzten Jahren deutlich gesunken ist, wieder signifikant zu erhöhen. Dem dient neben der Sperrung einzelner Seiten die Umleitung auf eine Stoppseite mit entsprechenden Informationen.
Mit dem nun beschlossenen Gesetz wurde der ursprüngliche Gesetzentwurf ganz wesentlich überarbeitet und verbessert, wobei die SPD-Bundestagsfraktion ihre wichtigsten Änderungsvorschläge in den Verhandlungen mit der Unionsfraktion durchsetzen konnte. Wir haben damit auch die wesentlichen Kritikpunkte, die sich aus der Bundestagsanhörung und der Stellungnahme des Bundesrates ergeben haben, positiv aufgegriffen. Der endgültige Beschluss hat insbesondere folgende Änderungen gebracht.
1. „Löschen vor Sperren“:
Die Regelung kodifiziert den Grundsatz „Löschen vor Sperren“. Danach kommt eine Sperrung durch die nicht verantwortlichen Internet-Zugangsvermittler nur dann in Betracht, wenn eine Verhinderung der Verbreitung der kinderpornografischen Inhalte durch Maßnahmen gegenüber dem Verantwortlichen nicht möglich oder nicht in angemessener Zeit Erfolg versprechend ist. Die Aufnahme in die Sperrliste des BKA erfolgt nur, soweit zulässige Maßnahmen, die auf eine Löschung der Internet-Seiten mit kinderpornografischen Inhalten abzielen, keinen Erfolg haben. Wir haben somit ein zentrales Anliegen der Internet-Community umgesetzt.
2. Kontrolle der BKA-Liste:
Die Neuregelung nimmt den Wunsch nach mehr Transparenz auf und etabliert ein unabhängiges Expertengremium beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Mit Blick auf die vornehmlich juristischen Aufgaben, nämlich der Bewertung, ob Inhalte die Voraussetzungen des § 184 b StGB erfüllen, muss die Mehrheit der Mitglieder des fünfköpfigen Gremiums die Befähigung zum Richteramt haben. Die Mitglieder sind berechtigt, die Sperrliste jederzeit einzusehen und zu überprüfen. Es wird verankert, dass gegen die Aufnahme in die Sperrliste der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Mindestens einmal im Quartal erfolgt zudem zusätzlich auf der Basis einer relevanten Anzahl von Stichproben eine Prüfung, ob die Einträge auf der Sperrliste den Voraussetzungen des § 1 Satz 1 erfüllen. Sollte die Mehrheit des Gremiums zu der Auffassung kommen, dies sei nicht der Fall, hat das Bundeskriminalamt den Eintrag bei der nächsten Aktualisierung von der Liste zu streichen. Das Expertengremium wird vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit für die Dauer der Geltung des Gesetzes (31. Dezember 2012) bestellt.
3. Datenschutz:
Das Gesetz dient ausschließlich der Prävention. Verkehrs- und Nutzungsdaten, die aufgrund der Zugangserschwerung bei der Umleitung auf die Stopp-Meldung anfallen, dürfen nicht für Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden. Damit wird auch ausgeschlossen, dass sich durch Spam-Mails fehlgeleitete Nutzer/innen einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt sehen könnten. Zudem ist keine Speicherung personenbezogener Daten bei den Internetprovidern mehr vorgesehen.
4. Spezialgesetzliche Regelung:
Die im Gesetzentwurf bisher für das Telemediengesetz vorgeschlagenen Regelungen zur Zugangserschwerung werden in eine spezialgesetzliche Regelung überführt. Zudem tritt das Gesetz automatisch zum 31. Dezember 2012 außer Kraft, so dass in jedem Falle die vorgesehene Evaluation auszuwerten ist, auf deren Basis endgültig entschieden werden kann. Wir haben eine Bestimmung aufgenommen, die ausschließt, dass die neu geschaffene Infrastruktur zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche genutzt werden kann. Ausschließliches Ziel des Gesetzes ist die Erschwerung des Internetzugangs zu kinderpornografischen Inhalten. Mit dem neuen Regelungsstandort in einem besonderen Gesetz soll noch deutlicher werden, dass eine Zugangserschwerung auf weitere Inhalte ausgeschlossen bleiben soll. Der Änderungsantrag geht damit auf die vielfach geäußerten Befürchtungen ein, die Zugangserschwerung könnte mittelfristig weiter ausgedehnt werden. Das Kinderpornografiebekämpfungsgesetz regelt eindeutig nur die Zulässigkeit von Sperren bei Seiten mit kinderpornografischen Inhalten. Die SPD konnte bei den Verhandlungen mit der Union am Ende durchsetzen, dass die wesentlichen Regelungen in einem Spezialgesetz normiert werden, die ausschließlich kinderpornografische Inhalte erfassen. Dies wird auch noch einmal in der neuen Gesetzesbegründung festgehalten. Wir sind sogar so weit gegangen, dass die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche auf Grundlage der neu geschaffenen Infrastruktur ausdrücklich ausgeschlossen wird. Eindeutiger kann man nicht regeln, dass es sich um ein reines Präventionsgesetz in einem besonders gelagerten Fall handelt, das nicht auf andere Inhalte oder Zwecke übertragbar ist. Der häufig vorgebrachte zentrale Vorwurf, durch das Gesetz werde eine Infrastruktur geschaffen, die später auch für die Sperrung anderer, beliebiger Inhalte genutzt werden kann, wird dadurch entkräftet.
5. Befristung:
Die Geltungsdauer des Gesetzes ist bis zum 31.12.2012 befristet. Auf der Grundlage der nach zwei Jahren vorzunehmenden Evaluierung wird der Gesetzgeber in die Lage versetzt, zu prüfen und zu bewerten, ob die Maßnahme erfolgreich war, um endgültig zu entscheiden.
Leider wird in der öffentlichen Debatte selten erwähnt, dass die technische Infrastruktur für Internetsperren sich bereits im Aufbau befindet. Durch die Verträge zwischen BKA und den größten Internet-Service-Providern in Deutschland werden diese bereits verpflichtet, die Infrastruktur bereitzustellen und entsprechende Sperrungen in nächster Zeit vorzunehmen. Damit ist der Endkundenmarkt in Deutschland weitgehend abgedeckt. Nach unseren Informationen würden diese Verträge auch dann umgesetzt, wenn es kein Gesetz gäbe. Ich teile durchaus die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verträge, da sie aus unserer Sicht keinen hinreichenden Grundrechtsschutz gewährleisten. Bis es aber möglicherweise zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Sache käme, wäre die Infrastruktur schon lange in Betrieb, ohne dass es gleichzeitig hinreichende Schutzbestimmungen für die Internetnutzer gibt, die wir nun gesetzlich regeln. Die aber wollen wir.
Mit der neuen gesetzlichen Regelung bekämpfen wir nicht nur die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte im Internet, sondern schützen zugleich Internetnutzer, sichern rechtsstaatliche Grundsätze und ermöglichen ein transparentes Verfahren. Uns ist bewusst, dass viele Bürgerinnen und Bürger eine besondere Sensibilität beim Thema Internet haben. Wir teilen das Ziel, das Internet als Raum der freien Kommunikation zu erhalten und zu schützen. Das Internet stärkt die Entfaltungsmöglichkeiten jedes einzelnen von uns ebenso wie die weltweite Entwicklung demokratischer Inhalte. Deshalb kämpft die SPD auf internationaler Ebene gegen die Zensur des Internets. Und wir wollen sie auch nicht in Deutschland.
Ich halte es aber für falsch und unangemessen, im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetz von Zensur zu reden. Niemand würde es als Zensur bezeichnen, wenn die Polizei ein kinderpornografisches Bild an einem Zeitungskiosk beschlagnahmt. Auch Sie selbst sprechen ja nicht von Zensur, wenn Sie auf dem Löschen entsprechender Inhalte auf Internetservern bestehen. Demgegenüber ist eine Maßnahme, mit der der Zugang zu solchen Seiten lediglich durch eine Sperre erschwert wird, sogar die mildere Maßnahme.
Die sicherlich sehr schwierigen Themen, die mit dem Medium Internet und seiner rechtlichen Gestaltung zusammenhängen, lassen sich aus meiner Sicht nur durch Argumente, Information, Dialog und eine angemessene Abwägung unterschiedlicher Interessen und Positionen lösen.
Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie anzuerkennen, aus welchen Motiven heraus ich und die meisten meiner Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion dem Gesetz zugestimmt haben.
Mit freundlichen Grüßen
Axel Schäfer