Frage an Axel Knoerig von Heiner M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Knörig,
stimmt es, dass die Engländer die EU verlassen haben, weil ihnen die bedingungslose Integrationspolitik der EU widerstrebte und sie daher keinen anderen Weg gesehen haben? Ist es also das Verdienst von Frau Merkel und der CDU, das Europa auseinander bricht?
Müssen wir daher weitere Austritte befürchten, weil die Kanzlerin und die EU die Integrationspolitik aufrecht halten?
Sehr geehrter Herr Meyer,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 25. Juni 2016, in der Sie zwei Fragen zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) an mich richten.
Die Entscheidung des britischen Volkes aus der EU auszutreten, bedaure ich sehr. Es liegt jetzt zunächst ein-mal an Großbritannien selbst, zu erklären und festzulegen, wie es sein zukünftiges Verhältnis zur EU gestalten möchte.
Zu Ihren Fragen:
1. Stimmt es, dass die Engländer die EU verlassen haben, weil ihnen die bedingungs-lose Integrationspolitik der EU widerstrebte und sie daher keinen anderen Weg gesehen haben? Ist es also das Verdienst von Frau Merkel und der CDU, das Europa auseinander bricht?
Nein, es stimmt nicht, dass die Integrationspolitik der EU der Grund für den Austritt Großbritanniens aus der EU ist. Gerne möchte ich folgendes dazu erläutern:
Großbritannien ist das EU-Mitglied mit den meisten Sonderausnahmen. Sie erstrecken sich auf drei wesentliche Bereiche:
• Erstens ist das Land dauerhaft von der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion ausgenommen. Obwohl Großbritannien, neben Dänemark und Schweden die Kriterien der Europäische Wirtschafts- und Währungsunion erfüllen, haben sie bis heute den Euro als gemeinsame Währung nicht eingeführt.
• Die zweite Ausnahme betrifft den Schengenraum und die Innen- und Justizpolitik. Großbritannien hat sich von Beginn an nicht an der Öffnung der Binnengrenzen beteiligt und ist demnach auch nicht im selben Maße von der Flüchtlingskrise betroffen. Bei der Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU und dem Abkommen mit der Türkei zur direkten Aufnahme von Flüchtlingen bleibt das Land außen vor.
Dazu möchte ich noch ausführen, dass sich Großbritannien in der Vergangenheit besonders deutlich für eine Erweiterung der EU ausgesprochen hat. Auch die eventuelle Aufnahme der Türkei in die EU hat Großbritannien durchweg unterstützt. In diesem Zusammenhang hat Großbritannien 2004 neben Irland und Schweden als einziges Mitgliedsland seinen Arbeitsmarkt direkt für Einwanderer aus den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten geöffnet. Danach ist die Anzahl von EU-Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Großbritannien deutlich gestiegen. Davon hat das Land zwar wirtschaftlich stark profitiert, in der Bevölkerung ist aber die Sorge vor zu großer Migration gestiegen. Die britische Regierung war daher in den letzten Jahren darum bemüht, die Anreize für Einwanderung aus anderen EU-Mitgliedstaaten zu senken.
In der Innen- und Justizpolitik verfügt Großbritannien seit dem Vertrag von Lissabon über ein Opt-In-Recht – das bedeutet, dass es sich bei jedem Gesetzakt entscheiden kann, ob es sich daran beteiligt. Die bisherige Praxis zeigt, dass sich London hier vor allem an Maßnahmen zur Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung wie Europol beteiligt, während es gemeinsamen Standards, etwa im Asylbereich, fernbleibt.
• Die jüngste Sonderausnahme ist 2016 bei den Verhandlungen mit Cameron vor dem Referendum vereinbart worden. Demnach wird sich Großbritannien grundsätzlich nicht an der weiteren politischen Integration in der EU beteiligen.
Fazit: Die Einwanderung war ein wesentlicher Grund in der Argumentationslinie der Befürworter des Brexit. Den Anreiz für die Einwanderung hat aber Großbritannien bereits 2004, durch die Öffnung des Arbeitsmarktes für EU-Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer, selbst geschaffen. Auf die aktuelle Integrationspolitik der EU ist dies nicht zurückzuführen.
2. Müssen wir daher weitere Austritte befürchten, weil die Kanzlerin und die EU die Integrationspolitik aufrecht halten?
Nein, weitere Austritte sind derzeit nicht absehbar. Während der Verhandlungen über die Bedingungen für einen Verbleib Großbritanniens in der EU hatten alle anderen nationalen Regierungen zweierlei betont:
Erstens sprachen sich alle nationalen Regierungen für den Verbleib Großbritanniens in der Union aus.
Zweitens stellten sie klar, dass sie selbst keinen Austritt anstreben.
Auch nach dem britischen Referendum gelten diese Aussagen weiter. Zudem führen die negativen wirtschaftlichen Erfahrungen, die die Briten schon jetzt machen, vor Augen, welchen Mehrwert die EU für ihre Mitgliedstaaten und deren Bürgerinnen und Bürger hat.
Mit besten Grüßen
Axel Knoerig MdB