Nicht nur in Großbritannien und Dänemark wurden die Corona- Maßnahmen aufgehoben, sondern auch in vielen anderen Ländern in Europa. Sollten wir uns nicht anschließen?
Sehr geehrter Herr Gürpinar,
die Zahl der Neuinfektionen stieg in vielen Ländern Europas steil an und fiel dann wieder. So auch in Dänemark, nachdem dort Maßnahmen aufgehoben wurden.
https://www.corona-in-zahlen.de/weltweit/dänemark
Wenn man will, dass sich eine Pandemie in eine Endemie wandelt, darf man dann weiterhin versuchen, Ansteckungen zu vermeiden? (Was ja mit der harmloseren Virusvariante, die sich in fast allen Ländern sehr schnell verbreitet hat, kaum möglich ist. Hier lohnt sich ein Vergleich.) Sollte nicht jetzt dem Immunsystem Gelegenheit gegeben werden, sich an die neuen Virusvarianten anzupassen?
Nach meiner Kenntnis haben unter anderem auch weitere skandinavische Länder und die Niederlande die Maßnahmen aufgehoben. In Österreich wurde inzwischen auch die Impfpflicht aus verfassungsrechtlichen Gründen aufgehoben.
Sollte nicht aber trotzdem das Personal in den Krankenhäusern aufgestockt werden?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr G.,
eines vorneweg, da Sie auch die Impfpflicht in Österreich angesprochen haben und ich im Deutschen Bundestag gegen eine allgemeine Impfplicht ab 60 Jahre gestimmt habe: die Covid-Impfung schützt gut und zuverlässig gegen einen schweren Verlauf einer möglichen Corona-Erkrankung. Das zeigen uns Studien und insofern ist die Corona-Impfung die beste Möglichkeit, die wir alle individuell haben, uns zu schützen, und eine hohe Impfrate ist wichtig, um das Gesundheitssystem vor weiterer Überlastung zu bewahren. Trotzdem habe ich im Bundestag dem Gesetzesentwurf einer Impfpflicht ab 60 Jahren nicht zugestimmt. Meine Entscheidung muss in jedem Fall vor dem Kontext gesehen werden, dass die gleiche Koalition, die nun in großen Teilen diesen Gesetzentwurf einbringt, quasi zeitgleich fast alle weiteren, sehr viel milderen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung fallengelassen hat.
Insofern finde ich es falsch, alle Maßnahmen in einem Atemzug zu nennen und ihre Notwendigkeit einfach beiseite wischen zu wollen. Was wir allerdings brauchen, ist eine gute und ehrliche Bewertung der Maßnahmen, um sie zielgerichtet einsetzen zu können, damit sie den größtmöglichen Nutzen entfalten können, bei dem geringstmöglichen Eingriff in unser Leben und unsere Gewohnheiten. Das heißt zum Beispiel, dass Schutzmasken immer noch sinnvoll sind an Orten, an denen sich Menschen nahe kommen müssen. Der Eingriff ist für viele Menschen eher gering, erhöht aber die Sicherheit für alle und besonders für vulnerable Gruppen enorm. Oder es heißt, dass der Sommer genutzt werden muss, um Luftfilter und digitale Geräte für Schulen anzuschaffen, damit sowohl ein sicherer Unterricht vor Ort als auch gute Vermittlung des Stoffs daheim möglich ist. Oder es heißt, die Überlastung im Gesundheitssystem, die es auch absolut unabhängig von Corona gibt, endlich ernst zu nehmen, und die Arbeitsbedingungen dort nachhaltig zu verbessern.
Ich kann absolut verstehen, dass Sie die Maßnahmen, die unser aller Leben enorm eingeschränkt haben, für immer loswerden wollen. Allerdings ist Covid 19 eine ernstzunehmende Erkrankung, die lange Nachwirkungen haben kann, und wir müssen allen die Möglichkeit geben, sich so gut wie möglich vor einer Ansteckung zu schützen.
Mit herzlichen Grüßen
Ates Gürpinar