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Frage von Martin A. •

Frage an Anton Schaaf von Martin A. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Schaaf,

sie sind in ihrer Partei der Rentenexperte und als solcher haben sie vor kurzem auf einer Wahlveranstaltung in Hamburg gesprochen.

Zu diesem Thema möchte ich ihnen zwei Fragen stellen.

1) Die gültige Wahrnehmungsübereinkunft in Deutschland ist, dass wir zu wenig Kinder hätten, dies zu Altersarmut führe und wir darum auf die Kapitalrente umstellen müssten. Kinderarmut führt demnach zu gesellschaftlicher Armut, Kinderreichtum zu gesellschaftlichen Reichtum.
Diese Wahrnehmung ist jedoch falsch, der hergestellte Zusammenhang gilt sowohl historisch wie aktuell nicht. Statt dessen entsteht der gesellschaftliche Reichtum allein aus der aktuellen Produktivität einer Gesellschaft. Würden sie die Umstellung auf Kapitalrente also mit mangelnder Produktivität, statt mit Kinderarmut begründen, könnte ich ihnen folgen.
Dann stellt sich aber folgende Frage: Gibt es ökonomische Untersuchungen, die belegen, dass Gesellschaften, die ein Kapitalrentensystem präferieren, Produktivitätsgewinne gegen eine Gesellschaft erarbeiten, die ihre Rentner aus einem Umlagerentensystem versorgt?

2) Es wird behauptet, dass die Umstellung auf Kapitalrente den Interessen der jungen Generation diene, weil diese, wenn sie im Erwerbsleben steht, dann nicht so stark belastet würde. Was der zukünftig arbeitenden Bevölkerung vom erarbeitetem Wohlstand bleibt, hängt aber entscheidend von ihrer Verhandlungsmacht in den Tarifauseinandersetzungen ab.
Im gegenwärtigen Umlagerentensystem stehen sich Gewerkschaften und Arbeitgeber im Verteilungskampf gegenüber - Rentner sind neutral.
Frage: Wodurch verbessert sich die Verhandlungsmacht der jungen Generation, wenn zukünftig in einem Kapitalrentensystem Millionen von Klein- und Kleinstrentenkapitalisten bei Tarifauseinandersetzungen in der Waagschale des Kapitals sitzen?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Andresen,

sehr gern gehe ich noch einmal ausführlich auf Ihre Fragen zur Altersvorsorge ein.

Die SPD hat in ihrer Regierungszeit zwischen 1998 und 2009 dafür gesorgt, dass die gesetzliche Rentenversicherung die zentrale Säule der Altersvorsorge in Deutschland bleibt. Sie hat in dieser Zeit alle Angriffe von CDU und FDP zur Abschaffung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung und zum völligen Umstieg auf eine privat finanzierte und kapitalgedeckte Altersvorsorge abgewehrt. Angesichts der enormen Verluste vieler derartiger kapitalgedeckter Altersvorsorgesysteme während der Finanzkrise zeigt sich, wie wichtig es für die soziale Sicherheit vieler Rentnerinnen und Rentner war, dass die SPD an der gesetzlichen Rentenversicherung festgehalten hat.

Zugleich hat die SPD die gesetzliche Rentenversicherung zukunftsfest für den demografischen Wandel gemacht. In wenigen Jahren wird die Zahl der sozialversicherten Beschäftigten drastisch abnehmen, während die Rentenzugänge steigen. Die Generation der „Babyboomer“ nähert sich dem Rentenalter, die Generation „Pillenknick“ muss die sozialen Sicherungssysteme finanzieren. Die von der SPD mitgetragenen Rentenreformen und der Ausbau privater Altersvorsorge als Ergänzung (und nicht als Ersatz wie von CDU und FDP gefordert) hatten vor allem das Ziel, die nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung zu sichern und die Belastung junger Generationen nicht zu groß werden zu lassen.

Beide Ziele wurden erreicht. Deshalb stellt die SPD diese Rentenreformen nicht in Frage.

Allerdings hat vor allem die Entwicklung am Arbeitsmarkt Folgen für die Entwicklung der Renten:

Das Fehlen eines gesetzlichen Mindestlohns, die Benachteiligung von Frauen bei der Bezahlung und durch die fehlenden Angebote zur Vereinbarkeit von Kindererziehung und Beruf sowie die Zunahme von unsicheren und schlecht bezahlten Leih- und Zeitarbeitsplätzen haben zu einem deutlichen Anstieg der Erwerbsarmut geführt. Die Folge von Erwerbsarmut ist Altersarmut.

Deshalb möchte die SPD einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, die Stärkung der Tarifbindung und das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ durchsetzen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse müssen zurückgedrängt werden: Gegenwärtig beziehen 350.000 Vollzeitbeschäftigte zusätzliche Leistungen des Arbeitslosendgelds II.

Das Rentenniveau bleibt bis zum Ende des Jahrzehnts stabil bei rund 50%.

2020 gilt es neu zu bewerten, wie die Ankopplung der Renten an die Erwerbseinkommen vorzunehmen ist. Eine Überprüfung schreibt auch das Gesetz vor. Wir wollen eine wachsende Sicherungslücke in der gesetzlichen Rente verhindern. Würde heute die für die Zeit nach 2030 prognostizierte untere Haltgrenze von 43% gelten, müsste ein Durchschnittsverdiener rund 5 Jahre länger arbeiten (33 statt 27 Jahre), um eine Rente in Höhe der Grundsicherung zu erreichen.

Eine Solidarrente von 850 Euro erhält zukünftig, wer auch nach 30 Beitragsjahren und 40 Versicherungsjahren trotz einer Aufwertung von Zeiten des Niedriglohnbezugs oder langer Arbeitslosigkeit sowie einer verbesserten Berücksichtigung von Teilzeitarbeit während Kindererziehung/ Pflege unter diesem Betrag bleibt und bedürftig ist. 31% der Rentenzugänge mit 40 und mehr Versicherungsjahren erzielt unterdurchschnittliche Rentenanwartschaften. Bei 30 Beitragsjahren entspricht ein früheres Einkommen von
durchgängig 2/3 des Durchschnitts eine Rente von 562 Euro.

Eine flächendeckende Ausbreitung der Betriebsrenten ist unter den bestehenden Bedingungen unrealistisch. Die Entgeltumwandlung wird nach einer Befragung unter Betriebsräten von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nur zu 39% genutzt. Die im Konzept vorgeschlagene „Opt-Out-Regel“ in Kombination mit einer Verpflichtung der Arbeitgeber ein Angebot zu unterbreiten, wird eine neue Dynamik in Gang setzen.

Der Anteil Selbstständiger an den Erwerbstätigen ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Problematisch daran: 2 Mio. Soloselbstständiger verfügen zumeist über ein geringes Einkommen und sind für den Ruhestand nicht abgesichert. In Zukunft wollen wir alle Erwerbsformen und damit auch Wechsel zwischen unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen absichern. Dafür werden wir ein spezielles Tarif- und Beitragsrecht anbieten.

Mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung und entsprechend der Tatsache, dass sich die Löhne nicht nur in Ost und West sondern auch in anderen Regionen Deutschlands deutlich unterscheiden können, müssen wir handeln. Wir werden die Angleichung der Rentenberechnung in Stufen bis zum Jahr 2020 abschließen und zugleich den Aufwertungsfaktor abschaffen. In einem ersten Schritt werden sofort alle pauschal bewerteten Versicherungszeiten (Kindererziehungszeiten usw.) einheitlich mit dem aktuellen Rentenwert berechnet.

Für flexible Übergänge in die Rente:

Gerade für Beschäftigte, die bereits heute aufgrund hoher Arbeitsbelastung oder Invalidität nicht bis zum 65. Lebensjahr arbeiten können, muss der Übergang ins Rentenalter ohne große Einkommensverluste ermöglicht werden:

Abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren:**

Ab einem Alter von 63 Jahren wird es in Zukunft möglich sein, ohne Abschläge in Rente zu gehen. Ein knappes Drittel der Neurentner könnte gegenwärtig diese Möglichkeit nutzen. Gerade für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in besonders belastenden Berufen wäre ein Renteneintritt ohne größere finanzielle Verluste geradezu eine Erlösung, weil hier nur im Ausnahmefall die Regelaltersgrenze erreicht werden kann.

Die Rente mit 67 bleibt ausgesetzt:**

Die Anhebung des Renteneintrittsalters ist erst dann möglich, wenn die rentennahen Jahrgänge, also die 60 - 64-jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, mindestens zu 50% sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.

Mit freundlichen Grüßen

Anton Schaaf