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Ansgar Heveling
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Frage von Bernd H. •

Frage an Ansgar Heveling von Bernd H. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Heveling,

ich hätte gern gewust, wie Sie zu den permanenten Rechtsbrüchen in der Euro-Frage stehen. Der Maastricht-Vertrag besagt doch klipp und klar, dass kein Land für die Schulden eines anderen Landes haften darf. EFSF un d ESM haben dies bereits ausgehebelt. Jetzt kommt die Bankenunion. Wieviel Steuergelder deutscher Bürger sollen noch verpfändet bzw. ausgegeben werden?

Über Ihre Antwort würde ich mich freuen.
MfG
Bernd Hoffmaann

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Hoffmann,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 14. August zu aktuellen europapolitischen Themen. Sie äußern darin vor allem Ihre Sorge hinsichtlich der Verwendung deutscher Steuergelder auf dem Weg zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion.

Gerne möchte ich im Folgenden näher auf Ihre Bedenken eingehen. Gestatten Sie mir, hierzu etwas weiter auszuholen. Ich bin der Auffassung, dass die jetzige Situation nur im Zusammenhang mit Entscheidungen und Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte beurteilt werden kann. Dementsprechend müssen tragfähige Konzepte für die Zukunft des Euro, die über kurzfristige Krisenbewältigung hinaus gehen, auf den Lehren aus den (Fehl-)Entwicklungen bis heute basieren. Nur so kann die allgegenwärtige Verunsicherung der Bürger wieder aufgehoben werden.

Zunächst ist zu sagen: Die gegenwärtige Krise ist im Kern eine Staatsschuldenkrise und keine Währungskrise bzw. nur eine daraus abgeleitete Währungskrise. Sie hat sich nicht kurzfristig ergeben, sondern über einen langen Zeitraum aufgebaut. Die Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre mag der entscheidende Zündfunke gewesen sein. Die grundlegenden Ursachen stammen allerdings aus einer früheren Zeit. Und die Bundesrepublik ist dabei kein Musterbeispiel. Im Jahr 1969, also vor mehr als vierzig Jahren, wurde der letzte ausgeglichene Bundeshaushalt verabschiedet. Seitdem arbeiten alle staatlichen Ebenen „auf Pump“. Warnende Stimmen, dass eine ausufernde Staatsverschuldung nicht folgenlos bleiben wird, hat es bereits seit den 90er Jahren gegeben. Sie wurden indessen weltweit wenig beachtet. Die europäischen Länder haben ebenso wie die USA fleißig weiter Schulden angehäuft. Einige wenige Länder haben ab den 90er Jahren mit der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte Ernst gemacht und eine nachhaltige Haushaltspolitik etabliert. Hierzu gehört unter anderem Schweden, das ab Anfang der 90er Jahre unter einem sozialdemokratischen Premierminister den Weg der Konsolidierung eingeschlagen hat. Sein damaliges Leitmotto lautete: „Wer Schulden hat, der ist nicht frei.“ Heute müssen wir erleben, wie Recht er damit schon vor zwanzig Jahren hatte. Summa summarum bekommen wir heute – salopp gesagt – die Rechnung für die ungedeckten Wechsel präsentiert, die von allen europäischen Staaten und den USA seit einer Generation ausgestellt wurden.

Des Weiteren ist die Bundesrepublik Deutschland unter den Euroländern der Staat, der als erstes mit schlechtem Beispiel voran gegangen ist. Fundamentales Element des Euro war doch gerade der seinerzeit unter Bundeskanzler Kohl, Außenminister Genscher und Finanzminister Waigel ausgehandelte Stabilitätspakt. Das erste Land, das den Stabilitätspakt gebrochen und gleichzeitig dafür gesorgt hat, wegen dieses Bruchs nicht zur Verantwortung gezogen zu werden, war die Bundesrepublik Deutschland – zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder. Wir haben es mithin den anderen Ländern vorgemacht, dass das Zuwiderhandeln gegen den Stabilitätspakt folgenlos bleibt. Was wir heute erleben, ist mithin der Fluch der bösen Tat.
Ferner sind in der Vergangenheit ohne Frage Fehlentscheidungen bezüglich der Aufnahme von Mitgliedern in die Euro-Gemeinschaft getroffen worden. Griechenland war schon zum Zeitpunkt des Eintritts in den Euro nicht reif für die Mitgliedschaft.

Nichtsdestotrotz halte ich den Euro insgesamt für eine Erfolgsgeschichte. Der Euro ist eine stabile Währung nach innen und außen. Er ist wertbeständig und hat sich in den Jahren seit seiner Einführung positiv entwickelt. Die Inflationsentwicklung ist im Ganzen niedriger als zu Zeiten der D-Mark. Ich bin der Auffassung, dass uns in der Bundesrepublik der Euro mehr geholfen hat, erfolgreich aus der Krise zu kommen, als es mit der Deutschen Mark möglich gewesen wäre. Als exportabhängiges Land hätten wir wahrscheinlich mit der Bürde einer extrem starken D-Mark nach der Krise zu tun gehabt. Dies hätte der Konjunktur höchst wahrscheinlich geschadet. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die Europäische Union – trotz Krise - eine wirtschaftliche Weltmacht ist, die aufgrund ihrer Gesamtheit wirtschaftliche Interessen durchsetzen kann, wohingegen Deutschland im Alleingang eine weitaus schwierigere Position einnehmen würde.

Ich bin weiter der Ansicht, dass derzeit jede Anstrengung unternommen werden muss, den Euroraum zu erhalten. Wie bereits ausgeführt, halte ich einige der in der Vergangenheit getroffenen Entscheidungen unter Beteiligung der Bundesrepublik für falsch: die Aufnahme Griechenlands in die Euro-Gemeinschaft, den Bruch des Stabilitätspakts ohne Sanktion. Sie sind aber nun einmal getroffen worden, und haben den Währungsraum so entstehen lassen, wie wir ihn heute kennen. Nach den Erfahrungen mit der Lehman-Pleite halte ich zum einen die vielfach geäußerte Sorge vor unkontrollierbaren Dominoeffekten nach Herausbrechen einzelner Euro-Länder für durchaus plausibel.
Die nicht kalkulierbaren Folgen bei einem Auseinanderbrechen der Eurozone oder dem Ausfall eines Staates durch Zweit- und Drittrundeneffekte würden die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität aller europäischen Staaten und darüber hinaus der gesamten Weltwirtschaft gefährden. In der jetzigen ohnedies fragilen Situation wäre ein solches Experiment unverantwortlich. Zum anderen halte ich es für nicht vertretbar, Spekulanten durch politisches Mittun auch noch in die Hände zu spielen.

Letzteres ist ein wichtiger Punkt für die Zukunft: Marktverhalten ist notwendig und richtig. Und Märkte brauchen auch Freiräume. Das steht für mich außer Frage. Aber Finanz- und Währungsmärkte, auch Rohstoffmärkte, dürfen sich nicht so von der Realwirtschaft abkoppeln, dass nur noch abstrahierte und – in schwindelerregende Höhen – abgeleitete „Produkte“ das Marktgeschehen beherrschen. Hier brauchen wir einen klaren Ordnungsrahmen. Ich sehe bedauerlicherweise, dass an den Finanzmärkten vielfach keine wirklichen Lehren aus den Geschehnissen der letzten Jahre gezogen wurden. Hier müssen wir uns auch klar von anglo-amerikanischen Sichtweisen abgrenzen. Gerade die Bundesrepublik ist derzeit ein Musterbeispiel: Der Weg aus der Krise basiert auf der Realwirtschaft. Mit der sozialen Marktwirtschaft haben wir auch eine Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die einen tragfähigen Ordnungsrahmen bereit hält: keine strangulierenden Fesseln für den Markt, aber auch keine entfesselten Märkte.

Auf dem Weg heraus aus der Krise hin zu einem stabilen Ordnungsrahmen für Europa sind wir meines Erachtens mit dem nun beschlossenen umfassenden Maßnahmenpaket zur Stabilisierung Europas einen bedeutenden Schritt weitergekommen. So wird unter anderen der von Ihnen angesprochene Stabilitäts- und Wachstumspakt, der auf den Maastrichter-Vertrag von 1992 zurückgeht, umfassend reformiert.

Auch die breite Parlamentsmehrheit für zwei weitere wichtige Stützpfeiler der neuen Stabilitätsarchitektur - ESM und Fiskalvertrag - ist ein starkes Signal für Europa. Dabei bleibt der Grundsatz erhalten, dass Solidarität und Solidität Hand in Hand gehen müssen. Deutschland ist bereit, anderen Ländern zu helfen. Wir erwarten aber auch, dass diejenigen Staaten, die Hilfsmittel aus dem ESM in Anspruch nehmen, alles drauf und dran setzen, so schnell wie möglich wieder auf eigenen Beinen zu stehen.

In Ergänzung zum ESM etablieren fast alle EU-Mitgliedstaaten mit dem Fiskalvertrag eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild, die verbindlich und gerichtlich überprüfbar in den nationalen Gesetzen verankert wird. Zukünftig können nur diejenigen EU-Staaten Hilfsmittel aus dem ESM in Anspruch nehmen, die den Fiskalvertrag unterzeichnet haben. Wer Finanzhilfen will, muss seine öffentlichen Haushalte konsolidieren, Strukturreformen durchführen und Wachstum ermöglichen.

Das letzte Wort bei allen Hilfsmitteln hat der Deutsche Bundestag. Der Deutsche Vertreter beim ESM darf einer Finanzhilfe und den zugehörigen Auflagen nur zustimmen, wenn der Deutsche Bundestag das vorher durch Beschluss erlaubt hat. Fehlt dieser Beschluss, muss der Vertreter mit Nein stimmen. Da solche Beschlüsse einstimmig gefasst werden müssen, kann es keine ESM-Hilfen geben, wenn der Deutsche Bundestag nicht damit einverstanden ist. Das Budgetrecht des Deutschen Bundestages bleibt also in vollem Umfang gewahrt.

Die Finanzkrise hat auch gezeigt, dass nationale Banken mit den gestiegenen Anforderungen und Möglichkeiten eines integrierten Bankenmarktes teilweise nicht umzugehen wussten. Die Schaffung einer Bankenunion ist die Folge aus den Erfahrungen der letzten Jahre. Die Sicherung der Finanzstabilität hat oberste Priorität um das Vertrauen in den Bankensektor zurückzugewinnen, eine normale Kreditvergabe an die Wirtschaft wiederherzustellen und insbesondere auch um den Schutz des Geldes der Steuerzahler und Sparer zu gewährleisten. Die auch von Ihnen geäußerte Angst der Bürger vor einer Haftung für Schulden ausländischer Banken kann ich an dieser Stelle gut verstehen. Die Abgeordneten der CDU/CSU Fraktion haben sich aus diesem Grund besonders dafür eingesetzt, dass die EU-Bankenaufsicht nur für systemrelevante, grenzüberschreitende Banken greift und kleinere Regionalbanken - dies gilt insbesondere für die spezifisch deutsche Verbundstruktur der Sparkassen und Volksbanken - weiterhin unter nationaler Aufsicht bleiben. So wird nach bisherigem Verhandlungsstand die EZB nun als Interimslösung die Aufsicht von ca. 150 großen Banken übernehmen.

Insgesamt bin ich der Überzeugung, dass wir die Krise nicht lösen, wenn wir den Euro aufgeben. Genauso wenig ist die Lösung, andere Euro-Länder fallen zu lassen. Die Verflechtungen sind so eng, dass die Folgen nicht absehbar wären. Bedauerlicherweise sind bisher aus der gesamten Wissenschaft hierzu auch keine plausiblen Beurteilungen erfolgt. Mein Eindruck ist, dass die Experten außerhalb der Politik ebenso verunsichert sind wie die Politik selbst.

So zeigt der gegenwärtige Ökonomen-Streit nicht zuletzt, dass selbst die Wissenschaft keinen „Königsweg“ zu weisen vermag. An dieser Stelle möchte ich im Gegenzug zu dem offenen Brief der Wirtschaftswissenschaftler vom 5. Juli 2012 noch auf die zweite öffentliche Gegenreaktion „Stellungnahme zur Europäischen Bankenunion“ vom 6. Juli hinweisen, die ebenso ca. 190 Wirtschaftswissenschaftler unterzeichnet haben. Diese unterstützen sehr wohl den Vorstoß einer europäischen Bankenaufsicht mit wirksamen Durchgriffsrechten.

Natürlich ist eine durch Garantien abgesicherte Euro-Stabilisierung auch mit vielen Risiken versehen. Davor möchte ich gar nicht die Augen verschließen. In der Abwägung erscheint mir der durch die Bundesregierung eingeschlagene Kurs aber so tragfähig zu sein, dass ich ihn auch politisch mittragen kann. Dabei möchte ich Ihnen nochmals nachdrücklich versichern, dass ich keine Entscheidung, die in diesem Zusammenhang getroffen wurde, jemals leichtfertig oder unvorbereitet gefällt habe.

Abschließend bleibt zu sagen: Anfang der zwanziger Jahre zur Zeit der Hyperinflation in Deutschland sowie Ende der zwanziger Jahre mit der großen Weltwirtschaftskrise hat es an aufeinander abgestimmtem Handeln der Staaten gemangelt– mit den allseits bekannten Folgen. Die Finanzkrise der letzten Jahre hat uns jedoch gezeigt, dass die Politik durch aufeinander abgestimmtes Handeln der Staaten eine Krise in den Griff bekommen kann. Auch mit Blick auf die Euro-Stabilisierung lässt sich das erkennen. Bei aller Sorge und bei allem Unwohlsein bezüglich der weiteren Entwicklung zeigt mir der Vergleich mit der Geschichte, dass wir, dass Europa, dass die gesamte Welt aus der Vergangenheit einiges gelernt hat.

Ich hoffe, dass ich Ihre Bedenken weitestgehend zerstreuen konnte. Für weitere Rückfragen stehe ich Ihnen selbstverständlich jederzeit gerne zur Verfügung. Bis dahin verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Ansgar Heveling MdB

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