Frage an Ansgar Heveling von Bernd H. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Heveling,
im Bundestag soll am 29. September über das Euro-Rettungspaket abgestimmt werden.
Einzig Frank Schäffler von der FDP scheint erkannt zu haben das das ein Fass ohne Boden ist.
Wie stehen Sie zu der Geldvernichtung, die ja wieder mal eine getarnte Bankenrettung ist und sonst nichts!
Viele Grüße
B. Holtz
Sehr geehrter Herr Holtz,
für Ihr Schreiben im Zusammenhang mit den anstehenden Entscheidungen des Deutschen Bundestages bezüglich der Euro-Stabilisierungsinstrumente bedanke ich mich sehr herzlich. Gerne nehme ich Ihnen gegenüber zu meiner Position in dieser Frage Stellung.
Bitte sehen Sie mir nach, dass ich hierzu etwas weiter aushole und einen über die aktuelle Krise hinausreichenden Kontext wähle. Ich bin der Auffassung, dass die jetzige Situation nur im Zusammenhang mit Entscheidungen und Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte beurteilt werden kann. Dementsprechend müssen tragfähige Konzepte für die Zukunft des Euro, die über kurzfristige Krisenbewältigung hinaus gehen, auf den Lehren aus den (Fehl-)Entwicklungen bis heute basieren.
Zunächst ist zu sagen: Die gegenwärtige Krise ist im Kern eine Staatsschuldenkrise und keine Währungskrise bzw. nur eine daraus abgeleitete Währungskrise. Sie hat sich nicht kurzfristig ergeben, sondern über einen langen Zeitraum aufgebaut. Die Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre mag der entscheidende Zündfunke gewesen sein. Die grundlegenden Ursachen stammen allerdings aus einer früheren Zeit. Und die Bundesrepublik ist dabei kein Musterbeispiel. 1969, also vor mehr als vierzig Jahren, wurde der letzte ausgeglichene Bundeshaushalt verabschiedet. Seitdem arbeiten alle staatlichen Ebenen „auf Pump“. Warnende Stimmen, dass eine ausufernde Staatsverschuldung nicht folgenlos bleiben wird, hat es bereits seit den 90er Jahren gegeben. Sie wurden indessen weltweit wenig beachtet. Die europäischen Länder haben ebenso wie die USA fleißig weiter Schulden aufgehäuft. Einige wenige Länder haben ab den 90er Jahren mit der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte Ernst gemacht und eine nachhaltige Haushaltspolitik etabliert. Hierzu gehört unter anderem Schweden, das ab Anfang der 90er Jahre unter einem sozialdemokratischen Premierminister den Weg der Konsolidierung eingeschlagen hat. Sein damaliges Leitmotto lautete: „Wer Schulden hat, der ist nicht frei.“ Heute müssen wir erleben, wie Recht er damit schon vor zwanzig Jahren hatte. Summa summarum bekommen wir heute – salopp gesagt – die Rechnung für die ungedeckten Wechsel präsentiert, die von allen europäischen Staaten und den USA seit einer Generation ausgestellt wurden.
Des Weiteren ist die Bundesrepublik Deutschland unter den Euroländern der Staat, der als erstes mit schlechtem Beispiel voran gegangen ist. Das sollten wir bei der Abwägung zu den jetzt anstehenden Entscheidungen nicht vergessen. Fundamentales Element des Euro war der seinerzeit unter Bundeskanzler Kohl, Außenminister Genscher und Finanzminister Waigel ausgehandelte Stabilitätspakt. Das erste Land, das den Stabilitätspakt gebrochen und gleichzeitig dafür gesorgt hat, wegen dieses Bruchs nicht zur Verantwortung gezogen zu werden, war die Bundesrepublik Deutschland – zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder. Wir haben es mithin den anderen Ländern vorgemacht, dass das Zuwiderhandeln gegen den Stabilitätspakt folgenlos bleibt. Was wir heute erleben, ist mithin der Fluch der bösen Tat.
Außerdem sind in der Vergangenheit ohne Frage Fehlentscheidungen bezüglich der Aufnahme von Mitgliedern in die Euro-Gemeinschaft getroffen worden. Griechenland war schon zum Zeitpunkt des Eintritts in den Euro nicht reif für die Mitgliedschaft.
Gleichwohl halte ich den Euro insgesamt für eine Erfolgsgeschichte. Der Euro ist eine stabile Währung nach innen und außen. Er ist wertbeständig und hat sich in den Jahren seit seiner Einführung positiv entwickelt. Die Inflationsentwicklung ist niedriger als zu Zeiten der D-Mark. Ich bin auch der Auffassung, dass uns in der Bundesrepublik der Euro mehr geholfen hat, erfolgreich aus der Krise zu kommen, als es mit der Deutschen Mark möglich gewesen wäre. Als exportabhängiges Land hätten wir wahrscheinlich mit der Bürde einer extrem starken D-Mark nach der Krise zu tun gehabt. Dies hätte der Konjunktur höchst wahrscheinlich geschadet. An den währungspolitischen Entscheidungen der Schweiz sehen wir jetzt, wie schnell sich eine starke Währung zu einem Problem entwickeln kann. Unabhängig von der Frage, welche systemischen Effekte ein Austritt Deutschlands aus dem Euro mit sich brächte, halte ich eine Rückkehr zur Deutschen Mark daher nicht für sinnvoll und ausgeschlossen.
Ich bin auch der Auffassung, dass derzeit die Anstrengung unternommen werden muss, den Euroraum zu erhalten. Wie bereits ausgeführt, halte ich einige der in der Vergangenheit getroffenen Entscheidungen unter Beteiligung der Bundesrepublik für falsch: die Aufnahme Griechenlands in die Euro-Gemeinschaft, den Bruch des Stabilitätspakts ohne Sanktion. Sie sind aber nun einmal getroffen worden, und haben den Währungsraum so entstehen lassen, wie wir ihn heute kennen. Die derzeitigen Spekulationen gegen einzelne Euroländer zielen gerade darauf ab, einige Länder aus dem Euro herauszubrechen. Nach den Erfahrungen mit der Lehman-Pleite halte ich zum einen die vielfach geäußerte Sorge vor unkontrollierbaren Dominoeffekten für durchaus plausibel.
Die nicht kalkulierbaren Folgen bei einem Auseinanderbrechen der Eurozone oder dem Ausfall eines Staates durch Zweit- und Drittrundeneffekte würden die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität aller europäischen Staaten und darüber hinaus der gesamten Weltwirtschaft gefährden. In der jetzigen ohnedies fragilen Situation wäre ein solches Experiment unverantwortlich. Zum anderen halte ich es für nicht vertretbar, den Spekulanten durch politisches Mittun auch noch in die Hände zu spielen.
Letzteres ist ein wichtiger Punkt für die Zukunft: Marktverhalten ist notwendig und richtig. Und Märkte brauchen auch Freiräume. Das steht für mich außer Frage. Aber Finanz- und Währungsmärkte, auch Rohstoffmärkte, dürfen sich nicht so von der Realwirtschaft abkoppeln, dass nur noch abstrahierte und – in schwindelerregende Höhen – abgeleitete „Produkte“ das Marktgeschehen beherrschen. Hier brauchen wir einen klaren Ordnungsrahmen. Ich sehe bedauerlicherweise, dass an den Finanzmärkten vielfach keine wirklichen Lehren aus den Geschehnissen der letzten Jahre gezogen wurden. Hier müssen wir uns auch klar von anglo-amerikanischen Sichtweisen abgrenzen. Gerade die Bundesrepublik ist derzeit ein Musterbeispiel: Der Weg aus der Krise basiert auf der Realwirtschaft. Mit der sozialen Marktwirtschaft haben wir auch eine Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die einen tragfähigen Ordnungsrahmen bereit hält: keine strangulierenden Fesseln für den Markt, aber auch keine entfesselten Märkte.
Das von den Staats- und Regierungschefs im Juli dieses Jahres beschlossene umfassende Maßnahmenpaket geht aus meiner Sicht einen tragfähigen Weg zur Lösung der Krise. Es besteht aus vier Teilen: Erstens weiteren Konsolidierungsanstrengungen Griechenlands und Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung, zweitens einer Erhöhung und Verlängerung des griechischen Kreditrahmens durch die Eurostaaten und den IWF, drittens der Verringerung der griechischen Schuldenlast durch Beteiligung des Privatsektors und viertens der Flexibilisierung der Instrumente des Rettungsschirms, zum vorbeugenden Einsatz bei drohenden Ansteckungsgefahren für andere Länder der Eurozone. Der Eurozonengipfel hat damit ein klares Signal gesetzt, damit Griechenland zu nachhaltigem Wachstum und tragfähiger öffentlicher Verschuldung finden kann. Selbstverständlich ist unabdingbar, dass Griechenland und andere gefährdete Länder verbindlich Stabilisierungsmaßnahmen einleiten, so wie Portugal und Spanien es bereits getan haben.
Was leitet sich daraus nun für die bevorstehenden Entscheidungen ab?
Ich bin der Überzeugung, dass wir die Krise nicht lösen, wenn wir den Euro aufgeben. Genauso wenig ist die Lösung, andere Euro-Länder fallen zu lassen. Die Verflechtungen sind so eng, dass die Folgen nicht absehbar wären. Bedauerlicherweise sind bisher aus der gesamten Wissenschaft hierzu auch keine plausiblen Beurteilungen erfolgt. Mein Eindruck ist, dass die Experten außerhalb der Politik ebenso verunsichert sind wie die Politik selbst. Das Unwohlsein in der Bevölkerung kann ich daher verstehen.
Natürlich ist eine durch Garantien abgesicherte Euro-Stabilisierung auch mit vielen Risiken versehen. Davor möchte ich gar nicht die Augen verschließen. In der Abwägung erscheint mir der durch die Bundesregierung eingeschlagene Kurs aber so tragfähig zu sein, dass ich ihn auch politisch mittragen kann – jedenfalls dann, wenn für die Zukunft auch weitere stabilisierende Maßnahmen der Euroländer verpflichtend und sanktionsbewehrt festgelegt werden. Hierzu zählen beispielsweise die Einführung von Schuldenbremsen in den Verfassungen der Mitgliedstaaten. Hier haben wir in sehr kurzer Zeit auch schon einiges erreicht.
Bei allen Stabilisierungsmechanismen ist es für mich schließlich unabdingbar, dass eine ausreichende Parlamentsbeteiligung sichergestellt ist, so wie es das Bundesverfassungsgericht auch gerade bestätigt hat. Das ist nicht einfach, da gegebenenfalls sehr kurzfristig weit reichende Entscheidungen getroffen werden müssen. Hier sehe ich aber durchaus Möglichkeiten: Wir in der christlich-liberalen Koalition diskutieren derzeit ein Stufenmodell, um eine angemessene Beteiligung sicher zu stellen. Auch wenn wir Parlamentarier uns bei den Entscheidungen sicherlich ebenso unwohl fühlen wie die Bevölkerung, ist es unabdingbar, dass wir die Verantwortung weiter unmittelbar in Händen halten und nicht substantiell weiter delegieren. Sonst droht nach der Wirtschafts- und Finanzkrise und der Staatsschuldenkrise die Legitimations- und Demokratiekrise. Hier sind wir aber auf dem richtigen Weg.
Deshalb ist auch klar, dass Eurobonds nicht die Lösung der Probleme im Euro-Währungsraum sind. Wir werden auch weiterhin dafür einsetzen, dass aus der Währungs- keine „Transferunion“ entsteht. Denn der Euro ist Grundlage unseres eigenen Wohlstands. Die Antwort auf die Fehler von gestern kann nicht eine Rückabwicklung der europäischen Integration, sondern nur eine Anpassung und Fortentwicklung der Integration sein. Ich bin davon überzeugt, dass Deutschlands Zukunft sich nicht zuletzt an seiner Einbettung in ein funktionierendes Europa entscheidet.
Abschließend ist zu sagen: Anfang der zwanziger Jahre zur Zeit der Hyperinflation in Deutschland sowie Ende der zwanziger Jahre mit der großen Weltwirtschaftskrise hat es an aufeinander abgestimmtem Handeln der Staaten gemangelt– mit den allseits bekannten Folgen. Die Finanzkrise der letzten Jahre hat uns jedoch gezeigt, dass die Politik durch aufeinander abgestimmtes Handeln der Staaten eine Krise in den Griff bekommen kann. Auch mit Blick auf die Euro-Stabilisierung lässt sich das erkennen. Bei aller Sorge und bei allem Unwohlsein bezüglich der weiteren Entwicklung zeigt mir der Vergleich mit der Geschichte, dass wir, dass Europa, dass die gesamte Welt aus der Vergangenheit einiges gelernt hat.
Ich hoffe, Ihr Anliegen hiermit ausreichend beantwortet zu haben. Bei Bedarf sende ich Ihnen zur Klärung weiterer möglicher Fragen gerne eine ausführliche Information des Bundesfinanzministeriums zur Euro-Stabilisierung nach.
Mit freundlichen Grüßen
Ansgar Heveling