Warum unterstützen nicht viele Länder die iranischen Demonstranten?
Sehr geehrter Herr S.,
die Proteste der Iranerinnen und Iraner gegen das Mullah-Regime reißen auch fast drei Monate nach dem von Polizeikräften verursachten gewaltsamen Tod von Jina Masha Amini nicht ab. Frauen, auch sehr junge Frauen und Mädchen, sind die treibende Kraft der Proteste für einen gesellschaftlichen Wandel. Ihr Mut, Gesicht zu zeigen und das Kopftuch zu verweigern, wirkt wie eine Initialzündung, mit der sich der über 40 Jahre aufgestaute Protest gegen das Mullah-Regime entlädt.
Die Islamische Republik hat ihre Macht seit ihrer Gründung mit Brutalität und Unterdrückung zementiert, vor allem gegenüber Frauen und Mädchen. Und auch jetzt geht sie immer erbarmungsloser gegen die Proteste vor: Mindestens 300 zumeist junge Menschen haben ihren Kampf für Freiheit und Demokratie bereits mit dem Leben bezahlt. Mehr als 14.000 Menschen wurden festgenommen, viele von ihnen ohne Verfahren eingesperrt, misshandelt, zu Tode geprügelt. Ihre Familien werden unter Druck gesetzt oder verhaftet, um unter Folter und in Schauprozessen Geständnisse zu erzwingen. In einer Erklärung forderte das iranische Parlament, die Proteste als „Krieg gegen Gott“ zu ahnden, worauf die Todesstrafe steht.
Sowohl als Unionsfraktion als auch als Frauen Union der CDU Deutschlands haben wir mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass wir uneingeschränkt an der Seite der Iranerinnen und Iraner stehen, die sich gegen das Regime erheben und für Freiheit und Demokratie kämpfen. Dazu haben wir konkrete Forderungen an die Bundesregierung gestellt. Ich begrüße es sehr, dass die Europäische Union in ihrem zweiten Sanktionspaket gegen den Iran vom November nun auch explizit gegen die Führung der Revolutionsgarden und einer Miliz vorgeht, die an der Unterdrückung der Proteste beteiligt ist. Insgesamt sind damit aktuell Vermögenssperren und Einreiseverbote gegen elf Institutionen und 126 Personen in Kraft.
Angesichts der schweren, systematischen Menschenrechtsverletzungen müssen wir den Druck auf das Regime noch deutlich erhöhen. Die Verurteilung des gewaltsamen Vorgehens der iranischen Führung im UN-Menschenrechtsrat auf deutsche Initiative hin, setzt ein wichtiges Zeichen. Die Bundesregierung hat ihre selbstgesetzten Ansprüche an eine menschenrechtsgeleitete, werteorientierte Außenpolitik gegenüber dem Iran bislang jedoch keineswegs geltend gemacht. Denn dazu gehören weitere Maßnahmen, die die Machtelite des Iran unmittelbar treffen und isolieren – etwa indem die iranischen Revolutionsgarden auf die Liste der EU-Terrororganisationen gesetzt werden. Die jüngste Ankündigung des Regimes, die sogenannte Sittenpolizei auflösen zu wollen, halte ich für ein Ablenkungsmanöver, das an der Praxis der Sicherheitskräfte nichts ändern wird. Iranische Behörden haben erst vor kurzem angekündigt, Urteile gegen festgenommene Demonstranten bald umsetzen zu wollen.
Die Situation im Iran hat zudem eine größere außen- und sicherheitspolitische Dimension. So müssen Deutschland und seine Partner die Zukunft der Verhandlungen um das iranische Nuklearabkommen im Lichte der Proteste neu bewerten. Die Bundesregierung lässt in dieser Frage keinerlei strategischen Plan erkennen. Zudem kann und darf die aktive Beteiligung des Iran am verbrecherischen Krieg in der Ukraine durch den Verkauf von Drohnen an Russland nicht ohne Konsequenzen bleiben.
Wir können und werden nicht tatenlos dabei zusehen, wenn Mädchen, junge Frauen und Männer, die für die Zukunft ihrer Generation und ihres Landes kämpfen, der Willkür eines brutalen Regimes zum Opfer fallen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Annette Widmann-Mauz